An Weinachten und den ersten beiden Weihnachtstagen haben wir die Tage das erste Mal getrennt verbracht. Vor allem aus dem Grund, weil wir uns nicht zwischen unseren Familien entscheiden wollten (ganz nebenbei, dass keine unserer Familien es uns dann wohl jemals verziehen hätte) und weil Ruby in der Zeit nicht alleine wäre. Ich brauchte mir ehrlich keine Sorgen um sie zu machen und sie brauchte auch keine Angst zu haben. Es ist aber die Zeit gewesen, in der ich gemerkt habe, dass ich sie sofort vermisst habe, als sie nicht mehr da gewesen ist. Es war komisch, wenn die Person, mit der du jeden einzelnen Tag hast verbringen können, plötzlich weg gewesen ist. Am zweiten Weihnachtstag hatte ich mich an diesen Zustand etwas gewöhnt, aber wenn etwas Lustiges passiert ist, ist Ruby die Erste gewesen, der ich davon erzählen wollte. Wenn ich am Esstisch mit meinen Eltern und den Zwillingen saß, habe ich ihre Hand auf meiner vermisst. Selbst in Momenten, in denen ich nicht alleine war und durchaus Spaß hatte, habe ich sie vermisst, weil ich all das mit ihr zusammen erleben wollte. Ich wollte sie nicht bloß an meiner Seite haben, weil ich mich alleine fühlte, sondern weil ich sie generell gerne die ganze Zeit um mich herum hatte.
Komischerweise habe ich mich aber nicht getraut, ihr das zu schreiben. Wir haben über andere Dinge geschrieben. Egal, wie wohl und angenommen ich mich bei Ruby auch gefühlt habe, hatte Rebecca ihre Spuren hinterlassen und ich hatte Angst, Ruby damit zu sehr zu bedrängen. Wir waren gerade mal eineinhalb Monate zusammen. Was, wenn es ihr zu schnell gehen würde? Was, wenn sie sich das bei Weitem noch nicht vorstellen konnte? Wenn sie bei Weitem noch nicht so fühlte? Ich wollte nicht wieder die Einzige sein, die das fühlte.
Die Bedenken haben sich aber aufgelöst, als mir Ruby genau das als Erste am Telefon gebeichtet hat. Und ehrlich. Das Gefühl ist atemberaubend gewesen. Ich habe so breit gegrinst, dass mir die Wangen geschmerzt haben und konnte es kaum erwarten, sie am nächsten Tag endlich wiederzusehen. Ich habe sogar die Stunden und Minuten runtergezählt, bis es so weit sein würde. Ruby hat es süß genannt und ich habe darauf die Augen verdreht, obwohl ich wusste, dass sie es nicht sehen konnte.
Am Dienstag fahren wir nach Bens Frühschicht mit dem Zug zu dem Flughafen in Frankfurt am Main los. Wir werden bis Freitagnachmittag bleiben, weil unser Flug an dem Tag um halb sechs gehen würde. Dadurch bedingt, dass Ben zu Silvester auf jeden Fall Zuhause sein muss.
Über die gesamte Fahrt hinweg machen wir lauter alte Songs über die Spotify-Funktion – dass ich Musik aussuche und die anderen bei mir zuhören können – an und bei jedem einzelnen frage ich Ruby, ob sie dieses kennt, woraufhin sie meistens augenrollend nickt. Ich bin immer noch nicht ganz darüber hinweggekommen, dass sie Dangerous nicht gekannt hat. Irgendwann sagt sie: »Thea, ich bin nur zwei Jahre jünger als du, keine gesamte Generation.« Spätestens ab da sehe ich ein, dass das mit Dangerous nur eine einmalige Sache gewesen zu sein scheint.
Der Check-In stellt sich als nicht schwer heraus, weil wir das bereits online erledigt haben, also müssen wir nur noch unser Gepäck abgeben. Auch die Passkontrolle verläuft reibungslos. Bei der Sicherheitskontrolle haben wir nur kleine Schwierigkeiten, weil Bens Metalldetektor zu piepsen beginnt und wir kurz warten müssen, bis der männliche Mitarbeiter Zeit hat. Natürlich können wir uns einen Kommentar dazu nicht verkneifen. Erst als wir beim Wartebereich angelangen, gesteht Ruby, dass sie noch nie geflogen sei, und ich starre sie zunächst ungläubig an. Sie hat sich das all die Zeit über kein einziges Mal anmerken lassen. Als ich mit zehn Jahren das erste Mal geflogen bin, lag ich jedem bereits Wochen vorher damit in den Ohren, weil ich eine beschissene Angst vor dem ersten Mal hatte. Und jetzt sitzt mir meine Freundin gegenüber und wirkt wie die gechillteste Person auf Erden. Das merke ich auch wieder, als wir kaum zehn Minuten in der Luft sind und Ruby sich bereits müde die Augen reibt und immer wieder gähnt.
Zumindest in den letzten Stunden, als schon lange der Mond hoch am Himmel steht, versuche ich, zu schlafen, aber ich kann nicht. Die Vorfreude, was in der Türkei auf uns warten würde, ist zu groß. Deswegen gebe ich mich damit zufrieden, dass ich Rubys Hand halten darf und sie ihren Kopf schlafend auf meine Schulter gelegt hat. Wenigstens eine, die ein Auge zubekommen kann.
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Unbreakable
RomanceDu kannst mich schlagen, mich aber niemals brechen. Selbst wenn du mit erhobener Faust vor mir stehst, werde ich nicht mehr zurückweichen. Du wirst mich nicht klein kriegen, egal, wie sehr du es auch versuchen magst. Kein Schmerz der Welt wird mich...