Kapitel 52: Verbündete

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   [Nora:]

Dunkelheit. Mich würde immer zuerst die Dunkelheit umgeben, bis ich wenige Male blinzele und Ben plötzlich vor mir stehen sehe. Auf der Stelle muss ich breit grinsen, aber das vergeht schnell, sobald ich seinen benommenen Gesichtsausdruck erkenne. Sofort schießt das Adrenalin durch meinen Körper und mein Herz klopft so laut in meiner Brust, dass ich Schwierigkeiten habe, ihn gut zu verstehen. Stattdessen male ich mir bereits die schlimmsten Szenarien aus, bis die Worte meine Ohren schließlich erreichen.

»Unsere Eltern... Sie...«, er verzieht das Gesicht und ich sehe ihm deutlich an, wie schwer es ihm fällt, es zu sagen – wie sehr er diese Worte herauswürgen muss, »Sie hatten einen Unfall.« Ich reiße den Mund auf, sprinte auf ihn zu, hoffe, dass es nur ein wirklich schlechter Scherz ist, doch seine Miene verrät mir, dass das nur Wunschdenken ist. Ich will etwas darauf erwidern, will fragen, wie es ihnen gehe, aber mir bleiben die Worte im Hals stecken – als hätte ich zu große Angst, die Antwort zu erhalten.

Das nimmt Ben mir allerdings ab.

»Sie sind tot.«

Sofort reiße ich panisch die Augen auf – finde mich benommen in der Dunkelheit wieder. Erneut. Ich höre meinen eigenen lauten Herzschlag gegen meine Brust hämmern und setze mich aufrecht hin, um meine Orientierung wiederzuerlangen. Erst nach unzähligen Minuten realisiere ich, dass es ein Traum gewesen ist.

Ich atme einmal tief durch und fahre mir zerstreut durch mein zerzaustes Haar.

Noch immer kann ich das pulsierende Adrenalin in meinen Venen spüren, aber alles in mir drinnen entspannt sich augenblicklich, sobald ich eine vertraute Hand auf meiner spüren kann.

Zoes.

»Alles okay? Hast du schlecht geträumt?«, fragt sie mich im Halbschlaf und reibt sich angestrengt die Augen, als habe sie richtige Mühe, sich wachzuhalten, »Du zitterst.«

»Ja«, sage ich und kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, »Aber jetzt ist wieder alles in Ordnung.« Ich hauche ihr einen keuschen Kuss auf den Mund, den sie mit einem Grinsen erwidert, und lege mich dann wieder hin. Verschlafen nimmt sie mich in den Arm und kuschelt sich an mich, was mir ein Lächeln entlockt.

Dabei ist es nur die halbe Wahrheit gewesen.

Es ist schön, wenn man nach einem Alptraum aufwacht und bemerkt, dass man nicht alleine ist – dass man nicht jeden verloren hat, der einem mal etwas bedeutet hat. Es ist herzerwärmend, wenn dieser Jemand sich an dich schmiegt und dir das Gefühl gibt, dass du das nicht alleine durchmachen musst – dass er für dich da ist, egal, was ist. Ohne nur ein Wort darüber verlieren zu müssen. Du weißt es einfach. Du merkst es an Gesten wie diesen.

Genau aus diesem Grund hat Ben in dem ersten halben Jahr, sobald wir zusammengezogen sind, bei mir im Bett geschlafen. Ich habe es gebraucht, nach meinem Alptraum aufzuwachen und Ben direkt neben mir zu haben, der mir versichern konnte, dass es ihm gut gehe und er nicht plötzlich aus meinem Leben verschwinden würde. Ich habe es gebraucht, einen lebenden, atmenden Körper neben mir zu spüren, um zu wissen, dass all das nur ein mieser Traum gewesen ist.

Aber meine Ängste und Alpträume werden nicht plötzlich verschwinden, nur weil ich Zoe habe. Ganz sicher nicht. Sie werden mich vermutlich noch viel länger verfolgen und das bereitet mir noch viel mehr Sorgen und Ängste, aber Zoes Nähe hilft mir, mich nach einem solchen Alptraum trotzdem wieder sicher und geborgen zu fühlen – mich nicht zu sehr darin hineinzusteigern, sondern leichter wieder einfach durchatmen und zu sich selbst sagen zu können, dass schon wieder alles gut werden würde. Dass ich eines Tages ruhig schlafen können werde und nicht jede Nacht tierische Angst haben muss, erneut jemanden zu verlieren, der mir wichtig ist. Ich will, dass ich daran glauben kann, dass alles mit der Zeit besser werden wird, selbst wenn es sich nach wie vor nicht danach anfühlt. Selbst nach drei Jahren. Aber das wird es. Irgendwann. Daran will ich wirklich glauben.


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