Kapitel 22: Ein einziger Anruf

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   [Thea:]

Schon seit Stunden liege ich in seinen Armen gekuschelt und wir schauen uns einen Star Wars-Film nach dem anderen an, ohne dass nur irgendwer das Wort ergreift, und selbst wenn, dann bringt Ben das Thema rund um Ruby nicht an. Er lässt mir die Freiheit, selbst entscheiden zu können, ob, wann und wie viel ich von Ruby erzählen mag. Genau das ist es, was ich so sehr an Ben liebe: Seine bedingungslose Liebe, Wärme und Akzeptanz. Ich liebe ihn so sehr, wie man seinen besten Freund nur lieben kann.

Heute erst habe ich mir ganz fest vorgenommen, Nora von Rebecca zu erzählen. Endlich reinen Tisch zu machen, aber ich konnte es nicht. Stattdessen habe ich ihr nur von Ruby erzählt, aber selbst da habe ich mich ziemlich quer gestellt, weil ich selbst noch nicht bereit gewesen bin, darüber zu reden. Ich wollte all das, was zwischen uns passiert ist, nicht einordnen. Ich wollte einfach die Augen verschließen und schauen, was die Zukunft uns beiden bescheren würde. Ist das naiv? Ist das Wunschdenken? Schließlich ist es das, wonach ich mich gerade am allermeisten sehne. Ich will einfach nur mit Ruby Zeit verbringen, ohne mich ernsthaft mit den Konsequenzen auseinandersetzen zu müssen. Ich will nicht einmal daran denken, dass sie eigentlich einen Freund hat.

Fuck. Ich beginne, wie Rebecca zu denken. Hat sie jemals so gedacht? Hat sie sich nur für eine Sekunde darum geschert, wie kaputt sie mich machen würde, wenn sie fremdgeht? Wie zerstört sie mich zurücklassen würde? Ich schere mich nämlich nicht im Geringsten um Rubys Freund, aber es kümmert mich schon, dass sie einen hat. Ich würde nicht genauso tief sinken. Nicht in diesem Punkt.

»Du weißt, dass ich dich über alles liebe, oder?«, durchbreche ich als Erste die Stille zwischen uns. Irgendwie hatte ich das starke Verlangen, ihn das wissen zu lassen, weil er gerade auf eine ganz andere Art und Weise als Nora für mich da ist. Diese Zwillinge schickt der Himmel, keine Frage.

Daraufhin grinst Ben breit und streicht mir eine verlorene Strähne aus dem Gesicht. »Ich weiß, ich dich auch«, beginnt er sanft, ehe sein Grinsen breiter wird, »Ganz im Ernst, wie könnte man mir auch widerstehen?«, fragt er selbstgefällig, »Nadine ist der beste Beweis.« Ich kann es mir nicht verkneifen, die Augen zu verdrehen.

Okay, zugegeben, manchmal ist er auch ein richtiger Idiot. Immerhin weiß ich, dass er es nicht wirklich so meint. Im Herzen ist er ein wirklich guter Kerl. Einer, auf den man sich immer verlassen kann.

»Apropos«, mein Blick fällt auf sein Handy, »Telefoniert ihr nicht normalerweise abends? Wird es nicht langsam Zeit?«

Er allerdings schüttelt nur mit dem Kopf. »Ja, eigentlich schon, aber du bist gerade wichtiger. Ich habe ihr schon geschrieben, dass du mich jetzt mehr brauchst. So klasse, wie diese Frau ist, hat sie das natürlich verstanden.« In seinen Augen sehe ich das rege Funkeln, sobald er über sie redet, und kann nicht verhindern, ein weiteres Mal mit den Augen zu rollen. Trotzdem muss ich dabei lächeln.

Das, was ich momentan am wenigsten gebrauchen kann, ist jemand, der von seiner Freundin schwärmt. Das würde ich ihm aber nicht sagen, weil er ganz bestimmt danach Rücksicht auf mich nehmen würde und das will ich nicht. Er soll so viel über sie reden dürfen, wie er mag. Schließlich wirkt er dann immer am allerglücklichsten und das freut mich wirklich für ihn. Er hat jedes Glück der Welt verdient. Genauso wie seine Schwester.

Nadine war für ihn dagewesen, als er sie am meisten gebraucht hatte. Anders als Nora hat er sich nicht so sehr von seinen Gefühlen – von der Trauer über den Tod seiner Eltern – zerfressen lassen. Mit Sicherheit hat er gelitten, keine Frage, aber er hat seine Gefühle an zweite Stelle gepackt. Oberste Priorität hatte immer seine Schwester für ihn gehabt. Deshalb hat er sich zusammengerissen und ist sofort arbeiten gegangen, sobald er konnte. Dort hat er dann Nadine kennengelernt, die in den ersten Wochen für ihn zuständig gewesen ist, bis er mit seiner Arbeit vertraut gewesen ist. Auch wenn er selbst sie anfangs nicht an sich herangelassen hat, weil er Nora nicht vernachlässigen wollte – ihr nicht das Gefühl geben wollte, nur weil er verliebt sei, würde sie ihm weniger bedeuten –, hat er sich ihr nach Monaten ihrer Beziehung geöffnet. Sie ist ihm trotzdem nicht von der Seite gewichen. Sie hat ihn und seine Ängste akzeptiert, weil sie ihn einfach bedingungslos liebt. Natürlich habe ich sie dann bereits in den ersten Wochen sofort in mein Herz geschlossen. Sie ist so eine liebevolle Seele. Sie hat nicht einmal ein Problem damit, dass er und ich so eng miteinander sind. Ihr haben die Worte gereicht, dass zwischen uns beiden nie etwas laufen würde, weil wir füreinander wie Geschwister seien – bevor sie überhaupt wusste, dass ich rein gar nichts von Männern möchte. Sie stört sich auch nicht daran, dass er Nora immer an erste Stelle packen würde – komme, was wolle. Weil sie weiß, welche Geschichte er hinter sich hat und selbst wenn nicht, sie weiß, dass Familie alles sein kann, wenn die Bindung stark genug ist. Und Nora und Ben verbindet ein starkes Band. Vermutlich würde Nadine auch Streit mit ihm anfangen, wenn er es anders handhaben würde. Sie würde nicht zulassen, dass er seine Prioritäten für sie ändert.

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