Kapitel 60: Trautes Heim - Glück allein

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Ich weiß nicht mehr, was in der Nacht nach dem Anruf noch passiert ist. Ich weiß nur noch, dass ich die ganze Nacht lang geweint habe. Ganz am Rande habe ich mitbekommen, wie ständig Menschen bei uns ein und aus gegangen sind, aber ich bin zu sehr mit mir selbst beschäftigt gewesen, um zu realisieren, wer genau und zu welcher Zeit das gewesen ist. Oft genug habe ich darüber nachgedacht, mein Handy vor Wut gegen die Wand zu schmettern, aber was, wenn Zoe mir eine Stunde später eine Nachricht geschrieben hätte? Deshalb habe ich meinen Impuls unterdrückt.

Am nächsten Tag bin ich zu meiner Spätschicht gegangen und habe einen Fehler nach dem anderen gemacht, sodass mich Jessica, meine Schichtleiterin an dem Tag, sogar Nachhause geschickt hat. In der Schicht darauf ist es allerdings nicht besser geworden und Jessica hat mich irgendwann zur Seite genommen, um mich zu fragen, was los sei. Meine Lippen haben zu sehr gezittert und meine Gedanken sind zu sehr mit Zoe beschäftigt gewesen, dass ich nicht habe antworten können. Das hat Elena für mich erledigt und Jessica grob informiert, was zurzeit bei mir vor sich geht. Natürlich habe ich einen mitleidigen Blick von meiner Schichtleiterin erhalten, was mir Tränen in die Augen getrieben hat, aber ich habe sie weggeblinzelt. Ich würde bestimmt nicht auf der Arbeit losheulen.

Das Ende vom Lied ist gewesen, dass ich erneut Nachhause geschickt worden bin, was meinen Drang zu weinen, nicht besser gemacht hat. Ich habe ernsthaft versucht, mich abzulenken, aber nichts hat geholfen. Egal, was ich angefangen habe, meine Gedanken sind am Ende immer wieder zu Zoe und ihrem Abschied getriftet. Jedes einzelne Mal davon habe ich gegen die Tränen angekämpft. An beiden Tagen ist Thea vorbeigekommen. Zwar immer mit Ruby zusammen - warum auch immer sie sich keine einzige Sekunde lang trennen können -, aber Thea hat ihr Bestes gegeben, mich auf andere Gedanken zu bringen und mich abzulenken. Nicht, dass sie es hingekriegt hätte, aber ich habe den Versuch sehr geschätzt.

Am Montag habe ich frei. Regulär. Nicht, weil ich wieder heimgeschickt worden bin. Weil ich also ohnehin nichts Besseres zu tun habe und Nadine heute immer noch Urlaub hat, helfe ich ihr bei ihrem Umzug. Die Tage davor hatten wir zwar schon angefangen, aber hatten nicht wirklich den Kopf dafür. Dementsprechend sind wir nicht weit gekommen. Thea ist nach ihrer Arbeit dazugestoßen. Ruby wollte ebenfalls mithelfen, nachdem ihre Schule am Nachmittag enden würde. Natürlich können die beiden keinen Tag ohne einander verbringen.

Ich würde gerne sagen, es würde es nicht, aber es stört mich. Ich verstehe es nämlich einfach nicht. Ich weiß, dass Zoe Rubys Cousine ist und sie sich sehr gut verstanden haben, aber sie ist auch meine Freundin. Und es ist nicht so, als würde sie mir erst seit gestern etwas bedeuten. Ich verstehe auch, dass Ruby Thea wichtig ist, aber bin ich ihr das nicht auch? Warum also ist es so, dass sie Ruby mir ständig vorzieht? Es ist nicht so, als wäre Thea nicht für mich da. Oder für Ben. Das ist sie. Aber eben nur mit Ruby zusammen oder wenn Ruby keine Zeit hat. Als dürfe Ruby keine Sekunde alleine verbringen, weil sie sonst daran zugrunde gehen würde.

Fuck. Ich will so nicht denken. Ich will meiner besten Freundin nicht vorwerfen, dass sie nicht genug für mich da ist, nur weil sie es auch für Ruby ist. Und ich weiß, dass ich Ben und Nadine habe. Ich weiß, dass Thea trotz allem sofort kommen würde, wenn ich sie darum bitten würde. Ich weiß, dass Ruby hingegen mit ihren Eltern zusammenwohnt - mit den Leuten, die mitverantwortlich dafür sind, dass Zoe komplett von der Bildfläche verschwunden ist. Es nervt mich selbst, was Zoes Verschwinden mit meinen Gefühlen macht. Ich kann kaum klar denken und meine Gedanken machen mich fertig.

»Nora?«, höre ich Nadine sagen und leicht verwirrt schnellt mein Blick zu ihr - wie sie mit einer Kiste zur Tür hereinkommt.

»Hmm?«

»Ich habe gefragt, ob du Hunger hast«, wiederholt sie, »Dann würde ich uns schnell etwas kochen.« Oh.

»Ähm ... Danke, aber ich hab' noch keinen Hunger.«

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