Kapitel 50: So nah und doch so fern

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   [Gegenwart]

[Nora:]

Es ist die Hölle.

Eigentlich wollte Zoe bereits nach zwei Wochen wiederkommen, aber die Uni hat mehr Zeit eingefordert, als ursprünglich geplant, sodass sie mir seit Wochen nicht sagen kann, wann sie kommen kann. Ich könnte sie auch besuchen, aber wenn sie so viel mit der Uni zu tun hat, will ich sie auch nicht nerven, auch wenn ich sie unheimlich gerne sehen wollen würde. Ich würde sie so gerne gerade in meinen Armen halten und küssen. Stattdessen sitze ich mit Ben und Thea auf der Couch und wir schauen uns Filme an. Immer, wenn irgendeiner oder irgendeine von uns am Leiden ist. Das ist zu unserer Tradition geworden. Dir geht es nicht gut? Wir machen einen Filme- oder Serienabend und verschlingen Tonnen an ungesundem Zeug. Manchmal hilft es wirklich. Diesmal verstärkt es nur die Sehnsucht nach meiner Freundin, die ich gerade gerne an meiner Seite hätte. Ich verliere mich in der Vorstellung, ich könnte gerade mit ihr hier liegen und den Abend verbringen.

Ich: Vielleicht sollte ich deine Noten absichtlich sabotieren, damit du schneller wieder heimkommen kannst

Zoe <3: haha

Ich kann mir bildlich vorstellen, wie sie ihren Kopf in den Nacken legt und lauthals lacht. Oh Gott, ich vermisse sie wirklich. Ich will es mir nicht mehr bloß vorstellen müssen. Ich will es wirklich sehen. Ich will sie sehen. Mit ihren gottverdammten Grübchen. Mit ihren Sommersprossen, die sich unter ihrer Haut versteckt halten, man aber sieht, wenn man genau hinschaut. Wenn man dazu kommt, einen genaueren Blick auf diese Frau zu werfen.

Zoe <3: Ich vermisse dich auch

Das Schlimmste? Eine Stunde später kommen auch noch Nadine und Ruby hinzu und jeder hat seine Freundin an seiner Seite, nur ich nicht.

Okay, fairerweise muss ich sagen, dass ich es ihnen angeboten habe und außerdem kuschelt keines der Paare miteinander, aber trotzdem. Allein der Gedanke, dass sie bei ihren Partnern und Partnerinnen sein können, während Zoe vermutlich zwei Stunden entfernt von mir an ihrem Schreibtisch sitzt und ihr Unizeug am Machen ist. Statt an meiner Seite zu sein, wo sie auch hingehört, muss ich hier alleine in ihrem Hoodie verbringen, der mittlerweile mehr nach mir als nach ihr riecht. Trotzdem habe ich ihn an und das auch nur, weil es heute wie aus Eimern schüttet und die Temperaturen plötzlich um dutzende Grade gefallen sind.

Ich seufze. »Irgendwie ist das Ganze ziemlich deprimierend«, werfe ich in die Stille hinein, als der Film gerade zu Ende geht. Ich lege den Kopf in den Nacken und starre gedankenverloren zur Decke.

Normalerweise habe ich kein Problem damit, einfach nichts zu tun. Mich mit Freunden zu treffen und einen ganzen Tag nur auf der Couch mit Filmen zu verbringen. Wäre da nur nicht die Tatsache, dass ich Zoe so sehr vermisse.

»Der Film, das Wetter oder der Fakt, dass Zoe nicht hier ist?«, fragt Thea stirnrunzelnd nach und legt die Schüssel mit Chips zurück auf den Couchtisch.

Ich rolle theatralisch mit den Augen. »Wir haben uns gerade eine Komödie angeschaut«, erinnere ich sie daran, »Und du weißt, dass ich Regen mag.« Daraufhin verzieht Ruby die Miene und ich sehe, wie sich ein breites Grinsen auf Theas Gesicht stiehlt, sobald sie das bemerkt. Zwischen den beiden geht etwas ab, das ich nicht verstehe, und ich möchte es auch eigentlich gar nicht verstehen. Ich will nur Zoe hierhaben. Ich will mit ihr auch Blicke austauschen, die nur wir beide verstehen. Mit Thea oder Ben ist es nicht dasselbe. Ich will es mit meiner Freundin tun.

»Ach Schwesterchen«, sagt Ben und legt einen Arm um mich.

»Ich bin die Ältere von uns beiden«, kontere ich kühl und will seinen Arm wegschieben, aber er lässt nicht locker, bis ich dann doch aufgebe.

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