Kapitel 44: Konsequenzen

56 3 11
                                    

   Ich habe nicht mit meinen Eltern geredet, als ich Nachhause gekommen bin. Ich habe auch Nora und Ben ignoriert, die wie so oft heute bei uns gegessen haben – obwohl sie mich gegrüßt hatten. Ich hatte einfach nicht den Nerv dafür. Stattdessen habe ich den unnötigen Ballast in mein Zimmer geschleudert und bin mit meinen Kopfhörern wieder raus. Ohne etwas zu sagen. Nach Essen ist mir nicht gewesen.

Ich brauche eine Auszeit. Ich brauche Zeit für mich. Ich brauche Zeit zum Nachdenken. Es ist so lächerlich, sich so wegen der Liebe zu verhalten, und doch tun es die meisten – als gäbe es nichts Schlimmeres. Dabei gibt es das. Nora und Ben sind der beste Beweis. Sie haben alles verloren, als ihre Eltern gestorben sind, mussten durch die Hölle gehen, um wieder zueinander zu finden. Und ich gehe an der verdammten Liebe kaputt. Es ist so dumm. Erbärmlich. Traurig. Ich hasse es.

Dabei weiß ich, dass es okay ist. Ich habe nicht den gleichen schweren Ballast wie die Zwillinge zu tragen, aber das bedeutet nicht, dass mein Leid weniger bedeutsam wäre, wenn es sich für mich so anfühlt. Dasselbe Ereignis kann verschiedene Reaktionen nach sich ziehen. Die einen gehen durchs Leben, als wäre nie etwas passiert, die anderen verlieren sich in ihren negativen Gefühlen. Und beide Reaktionen sind in Ordnung. Das kann ich gerade nur nicht wirklich begreifen.

Ich bin nie ein großer Fan von trauriger Musik gewesen, aber nachdem mit Rebecca Schluss gewesen ist, hatte ich mir eine Playlist erstellt, um besser mit dem Schmerz umgehen zu können. Keine Ahnung, ob es wirklich geholfen hat oder nur dafür gesorgt hat, dass ich mich viel mehr in meinen beschissenen Gefühlen gesuhlt habe. Drunk text me von Lexi Jayde, das ich von Nora kenne, ist dabei ziemlich weit oben im Kurs gewesen. Wie oft habe ich mir gewünscht, dass Rebecca mich anrufen würde? Mir schreiben würde, dass sie mich eigentlich noch liebt? Dass sie es verdammt nochmal bereut, mir so weh getan zu haben? Mich so sehr verletzt zu haben? Ich wollte sie wieder, aber bin heute froh, dass sie nichts davon getan hat. Oder es erst gar nicht konnte. Ich hätte mir damit selbst keinen Gefallen getan.

If You're Gonna Lie von FLETCHER habe ich mir mindestens genauso oft angehört. In mir drinnen ist irgendwann während der letzten Wochen unserer Beziehung der Wunsch aufgekommen, dass sie ruhig lügen soll, aber dann zumindest an einem Ort, an dem ich es hören möchte – über Dinge, die ich auch wollen würde. Sie sollte mir sagen, dass sie mich immer noch wolle, dass sie mich noch immer liebe. Ich wollte Lügen hören, die mir zumindest ein besseres Gefühl gegeben hätten. Stattdessen hat sie mich fallen gelassen. Es hat ihr vermutlich nicht einmal leidgetan.

Mit Narcissist von Avery Anna ist meine gesamte angestaute Wut in mir geplatzt und herausgequollen. Ich war wütend und verletzt, aber noch immer verliebt. Dieses Lied hat mir gezeigt, dass ich nicht alleine bin mit meiner Situation war. Dass es genug solcher Arschlöcher gibt, die einem das Herz brechen, weil sie zu sehr von sich selbst überzeugt sind, weil sie den Fehler nie bei sich selbst suchen, weil sie niemals bloß auf die Idee kommen könnten, dass etwas mit ihnen nicht stimmen könnte. Inmitten dieser Wut habe ich den Song Sorry To Your Next Ex von Haiden lieben gelernt. Ich habe aufgehört, mir selbst die Schuld zu geben. Oder ich hatte das zumindest vor und mir schien es so, als könnte das mit diesem Lied möglich werden. In Rebeccas verkorksten Welt habe vermutlich nur ich alles falsch gemacht. Sie wird die perfekte Freundin gewesen sein. Natürlich.

Silence von FLETCHER habe ich gebraucht, um zu erkennen, dass ich Rebecca nicht brauche. Dass ich sie nur so sehr liebte und sie deshalb zurück wollte. Ich würde aber auch ohne sie überleben. Ich würde auch ohne sie mein Leben wieder normal leben und sogar Spaß haben können. Ich brauchte sie nicht. Ich brauchte nur Zeit, Raum und Stille, um zu heilen. Bei diesem Schritt haben mir aber auch Nora und Ruby helfen müssen.

UnbreakableWo Geschichten leben. Entdecke jetzt