Kapitel 8: Nach Jahren

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   [Nora:]

Ich atme scharf ein.

Ich hätte nicht gedacht, ihr jemals wieder in die Augen zu schauen – ihr jemals wieder zu begegnen. Trotzdem steht sie vor mir und lächelt mich mittlerweile unsicher an – nachdem sie den ersten Schreck überwunden hat –, wozu ich nicht imstande bin. Dafür trifft mich der Schock noch zu sehr.

»Zoe«, murmele ich vor mich hin, doch sie dürfte mich verstanden haben.

Ich fluche innerlich.

Ich hätte es bereits wissen müssen, als Thea mir erzählt hat, dass die besagte Cousine nicht ihre Eltern, sondern ihre Tante besuchen würde. Es hätte mir klar sein müssen, aber alles in mir hat sich vehement dagegen gesträubt, zu glauben, dass wir jemals wieder aufeinandertreffen könnten. Als würde Verdrängen dagegen helfen, sie jemals wieder sehen zu müssen. Dafür sorgen, dass es plötzlich doch nicht sie sein würde.

»Hi«, begrüßt sie mich leise – vermutlich aus Angst, sich zu sehr aufzudrängen. Diese Angst ist durchaus berechtigt, denn ich hätte mir zugetraut, dass ich die Flucht ergriffen hätte, wenn sie zu vertraut mit mir umgegangen wäre.

Und dafür hätte ich mich selbst schelten können. Warum überhaupt? Warum sollte ich vor ihr fliehen wollen? Wir sind immerhin ein Jahr zusammen gewesen und sind nicht einmal im Schlechten auseinander gegangen. Der Kontakt – sowie unsere Beziehung – hatte sich mit den Monaten einfach zerlaufen.

Trotzdem verkrampft sich mein Körper, sobald ich ihr nach all den Jahren wieder gegenüberstehe. Ist das Abneigung? Oder einfach nur Angst?

Aus dem Augenwinkel kann ich erkennen, wie Thea skeptisch eine Augenbraue hochzieht. Ich könnte alles darauf verwetten, dass sie etwas ahnt und ich hoffe inständig, dass sie es zumindest nicht ansprechen wird.

Was sie jedoch tut. Immerhin beugt sie sich zu mir rüber und lässt Zoe nicht wissen, was sie mir mitzuteilen hat. »Ihr kennt euch?«, flüstert sie dicht an mein Ohr gedrängt und ich bringe keine andere Reaktion zustande, außer einfach stumm zu nicken. Wenigstens hat sich meine Vermutung bestätigt, dass Thea nichts von diesem großen Zufall hier wusste – dass sie das Ganze nicht für mich inszeniert hat, weil sie mich wieder mit Zoe verkuppeln möchte. Denn dafür hätte ich sie umgebracht.

Um genauer zu sein, kannten Zoe und ich uns nur mal. Die Frage ist, ob wir das immer noch tun. Es sind schließlich drei Jahre vergangen. Sind wir dann nicht vielmehr Fremde? In den paar Jahren konnte sich Einiges verändern und wir sind noch jung gewesen. Natürlich hat es das auch, weil wir besonders in diesen Jahren noch ständig im Wandel sind. Ich kannte Zoe – besser als jede andere, besser als meine eigene Westentasche –, aber wie viel von dieser Zoe werde ich heute noch vorfinden können?

»Thea, kann ich dich ... ähm ... kurz unter vier Augen sprechen?«, fragt Ruby plötzlich und allein schon in ihren Augen kann ich genau sehen, wie sie nur darauf aus ist, mich und Zoe alleine reden zu lassen. Ich weiß nicht, ob ich sie dafür köpfen oder küssen möchte.

Einerseits will ich mich mit Zoe aussprechen. Schließlich steht Einiges zwischen uns, seit wir nicht mehr zusammen sind und den Kontakt zueinander verloren haben. Wenn Zoe Rubys Cousine und Thea eine meiner besten Freundinnen ist und die beiden wiederum gute Freundinnen zu sein scheinen – oder zumindest werden könnten –, wäre es das Beste, wenn Zoe und ich reinen Tisch machen würden, um es für alle Beteiligten nicht unnötig merkwürdig und angespannt zu machen. Schließlich sind wir beide nie im Schlechten auseinandergegangen. Trotzdem fühlt es sich nach all den Jahren so an, als gäbe es noch so viel Ungesagtes zwischen uns, und davor habe ich Angst, wenn ich mit ihr alleine gelassen werde. Ich will über Vergangenes reden, doch zugleich packt mich auch die Furcht, Dinge zu erfahren, denen ich mich besser nie gestellt hätte.

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