[Thea:]
Meine Mutter hat geweint, als sie die Tür aufgerissen und mich in den Arm genommen hat. Mein Vater hat mich ebenfalls umarmt, aber er hat nicht geweint. Seine Augen haben verdächtig im Lichtschein geglänzt, aber er hat sie nicht gewähren lassen. Das alles, obwohl ich ihnen gesagt habe, dass es mir gut gehe. Dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchen. Trotzdem sind sie schnellstmöglich heimgekommen. Trotzdem haben die Hände meiner Mutter gezittert und die meines Vaters sich fest um mich geschlungen, als hätten sie beide Angst gehabt, mich ansonsten zu verlieren.
Sogar Finn hat mich angerufen, weil meine Eltern ihm geschrieben haben. Am Telefon hat er besorgt geklungen. Ihn hat weniger interessiert, was genau passiert ist, sondern mehr, ob es mir gut geht – was mir in die Karten gespielt hat. Ich wollte ehrlich nicht jedem erzählen, wie es überhaupt dazu gekommen ist – auch Ruby zuliebe. Ich wollte nicht, dass die Fragen auf Ruby zurückgeworfen werden oder sie im schlechteren Licht stehen lassen könnten. Ich hatte generell kein Interesse daran, es nur irgendwem zu erzählen, was für alle in Ordnung gewesen ist. Nur meinen Eltern habe ich die Wahrheit erzählt.
Vom Arzt habe ich eine Woche Krankenschein bekommen, den ich zu meiner Arbeit schicken soll. Er meinte, es seien – zu meinem Glück – keine Knochen gebrochen, aber dass ich schon einige fiese Prellungen davongetragen habe. Dementsprechend soll ich mich die Woche schonen und habe eine Salbe und Schmerztabletten verschrieben bekommen.
Als ich mich später umgezogen habe, habe ich zum ersten Mal sogar den Raum verlassen, um es nicht direkt vor Rubys Augen zu tun. Es würde sich schlichtweg so anfühlen, als würde ich Ruby meine Verletzungen unter die Nase reiben wollen – als würde ich ihre Schuldgefühle hervorholen wollen.
»Willst du noch was machen?«, frage ich sie, sobald wir am Abend auf meinem Bett sitzen und wir nichts miteinander anzufangen wissen. Was tut man, nachdem man einen so ereignisreichen Tag hinter sich gebracht hat? Wenn Ruby so in Gedanken versunken aussieht? »Oder wollen wir schlafen gehen?«, füge ich hinzu, als sie nicht antwortet, obwohl ich genau weiß, dass das das Letzte ist, was ich eigentlich tun möchte. Weil ich weiß, dass es das Schlimmste ist, uns beiden unseren eigenen Gedanken zu überlassen. Ruby wird sich selbst mit ihren Vorwürfen zerstören und ich werde nach den Ereignissen heute kein einziges Auge schließen können. Weil ich jedes Mal Tobias' Gesicht und seinen brutalen Wahnsinn vor Augen hätte.
Keine von uns beiden würde heute schlafen können, sollten wir uns für diese Variante entscheiden. Aber dann müssten wir nicht miteinander reden. Ich müsste nicht mit ihr reden.
»Wie ist das mit Tobias passiert?«, fragt Ruby plötzlich und stellt damit eine Frage, die mich schwer schlucken lässt, »Ich meine, hat er dich einfach angefangen, zu schlagen, sobald du ihn bemerkt hast? Oder bevor du das hast? Es lässt mir keine Ruhe.«
Mein erster Impuls ist es gewesen, mich zu fragen, warum sie mir diese Frage auf einmal gestellt hat, aber eigentlich ist es klar. Es ist nur so, dass ich nicht möchte, dass nur irgendwer, den ich kenne, weiterhin darüber nachdenkt. Genauso wie es Ruby tut, wird es auch Nora tun. Oder Ben. Und so weiter. Ich will nicht, dass sie sich damit plagen, obwohl es mir gut geht. Obwohl ich lebend aus der Sache herausgekommen bin. Obwohl ich selbst nicht mehr darüber nachdenken möchte.
»Ich weiß nicht, ob du das-«
»Thea, was meine Fantasie mit mir anstellt, ist schlimmer als alles, was du mir erzählen könntest. Also bitte sag es mir«, kontert sie – der Ausdruck auf ihrem Gesicht flehend –, »Natürlich nur, wenn du es willst. Ich werde dich nicht dazu zwingen.«
Ich seufze. Weil mir nichts dagegen einfällt. »Er wollte reden«, gestehe ich, »Über euch beide. Er wollte dich wiedersehen. Um das persönlich zu klären. Das wollte ich aber nicht. Weil er der Meinung war, dass ihr noch eine Zukunft hättet. Ich wollte ihn aus seinen Illusionen holen und dann ist er ausgetickt«, ich schließe die Augen, um mich selbst zu besänftigen, aber das sorgt nur dafür, dass die Situation erstaunlich lebhaft vor meinem inneren Auge abläuft, sodass ich sie schließlich wieder öffne, »Er hat einige nicht so schöne Dinge über dich gesagt. Ich hab' da einfach rot gesehen und hab' zurückgefeuert«, ich atme einmal tief durch, »Das war's. Danach ist es eskaliert.«
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Unbreakable
RomanceDu kannst mich schlagen, mich aber niemals brechen. Selbst wenn du mit erhobener Faust vor mir stehst, werde ich nicht mehr zurückweichen. Du wirst mich nicht klein kriegen, egal, wie sehr du es auch versuchen magst. Kein Schmerz der Welt wird mich...