Kapitel 23: Endlose Sorge

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   Ich habe es auch in neun Minuten hierhergeschafft.

In der Eile stolpere ich aus dem Auto und rufe Ruby noch ein weiteres Mal an, um nicht gleich wie ein kranker Stalker an dem Haus klingeln zu müssen. Das würde ich allerdings tun, wenn es sein müsste.

»Thea?« Oh Gott, ich glaube, mir rutscht mein Herz beinahe in die Hose.

»Ruby! Alles gut bei dir?? Es klang vorhin am Telefon so, als ob-«

»Was machst du hier?«, höre ich Rubys Stimme, aber diesmal anders. Viel näher.

Sofort schnellt mein Blick nach vorne und ich sehe eine zierliche Gestalt im Dunkeln – eine, die gerade ihr Handy vom Ohr nimmt. Ich höre mich laut schlucken.

»Ich, ähm...«, ich fasse mir nervös an den Hals, »Ich habe mir Sorgen gemacht. Wegen dem, was dein Freund gesagt hat, und dann wegen dem, was du gesagt hast, und plötzlich war der Anruf weg. Ich ... ich hatte Angst, dass dir was passiert sein könnte, also habe ich Zoe nach der Adresse gefragt. Ich bin echt kein Stalker, glaub mir, ich-«, quassele ich einfach drauf los, aber unterbreche mich selbst, als ich einen warmen Körper an meinem fühle. Ruby ist sanft gegen mich gelaufen und vergräbt ihr Gesicht an meiner Brust. Ich spüre, wie sie am gesamten Körper zittert und sie sich verzweifelt an mich klammert, als wäre ich ihr Rettungsanker.

Was zur Hölle?

»Bring mich hier weg«, sagt sie leise – fast schon kraftlos – und ich ziehe sie augenblicklich in eine feste Umarmung. Ich ertrage es nicht, sie so zu sehen.

Also hat mich mein Gefühl doch nicht getäuscht.

»Ruby!!«, brüllt plötzlich eine laute Stimme und ich zucke kurz zusammen, ehe ich mich wieder zusammenreiße und mich schützend vor Ruby stelle.

Dieser Mistkerl wird sie nicht zu Gesicht bekommen – nicht, nachdem ihr Körper sich sichtlich zu verkrampfen scheint, wenn er in der Nähe ist. Dieser Arsch tut ihr nicht gut. Ganz und gar nicht. Und es ist noch viel schlimmer als anfangs angenommen. Es ist ein ganz anderes Level als bei Rebecca. Sie ist zwar das Letzte gewesen, aber es ist nie so schlimm wie das hier geendet.

»Was macht diese Schlampe hier, Ruby? Was soll der Scheiß?«, fragt er und mir kommt jetzt bereits die Alkoholfahne entgegen. Trotzdem verziehe ich keine Miene, um ihn einzuschüchtern. Ich werde ganz sicher keine Angst vor ihm haben. Diesen Triumph über mich werde ich ihm ganz sicher nicht geben.

»Diese Schlampe kümmert sich um deine Freundin, weil du zu inkompetent dafür bist«, entgegne ich ihm hart. Ich sehe deutlich, wie sein Kiefer zu arbeiten beginnt und sich seine Zähne fest aufeinander pressen.

»Du verdammte Huren-«

»Auf dieses Niveau begibst du dich also, ja? Hure oder nicht, aber wenigstens habe ich mehr Anstand als du und muss nicht wahllos mit Beleidigungen um mich werfen, weil ich sonst nichts erwidern kann«, werfe ich ihm zornig entgegen. Ich spüre, wie Ruby meinen Arm fester umklammert, und dränge sie daher zum Auto. Sie will scheinbar genauso dringend wie ich hier weg. Sie will all das hier nicht mehr länger durchmachen. Ich werde nicht diejenige sein, die sie hier hält.

»Und jetzt haust du einfach ab!? Du bleibst gefälligst hier, Ruby!«, brüllt er, geht nicht auf meine Worte zuvor ein. Er übergeht sie und wendet sich jetzt an Ruby, weil er sie bereits so sehr in seiner Gewalt hat. Er weiß, dass er bei ihr Erfolg haben wird, und das kotzt mich noch viel mehr an.

Ich merke, wie sich Ruby von mir lösen und vermutlich ihrem Freund gehorchen möchte, doch ich halte sie zurück. Normalerweise überlasse ich Leuten ihren freien Willen, aber was wäre ich für ein Mensch, eine Freundin in die Arme eines solchen Arschlochs zu lassen? Vermutlich möchte sie es nicht einmal, sondern tut es, weil sie Angst hat. Angst, die berechtigt ist.

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