Kapitel 48: Im Schutz der Nacht

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   Wie erwartet bin ich beim Essen fast gestorben, aber Ben und Nora hatten beide recht gehabt. Es ist definitiv mein Lieblingsgericht und das ist es wert gewesen, dafür zu sterben.

Stunden, nachdem mein Mund wie Feuer gebrannt hat und wir uns angeregt unterhalten haben, liegen Ruby und ich erschöpft in meinem Zimmer auf unseren Betten. In einem Moment, der mir passend erschien, habe ich meine Eltern zur Seite genommen und ihnen die Situation mit Ruby erklärt, während sich die anderen noch immer herrlich am Esstisch amüsierten. Natürlich habe ich ihnen nicht die ganze Wahrheit erzählt, aber ich habe auch nicht gelogen. Dass sie nach der Trennung fürs Erste nicht mehr Nachhause wollte, wo ihr Freund auf sie lauern könnte, weil sie ihn nie wieder sehen wollte – weil sie nicht im Guten auseinandergegangen sind. Es hat mich nicht gewundert, dass meine Eltern mich daraufhin besorgt angeschaut haben. Vermutlich ging diese Sorge in beide Richtungen: Zum einen Ruby gegenüber wegen ihres Exfreundes, und zum anderen mir gegenüber, die sich mit einer eingelassen hat, die sich erst kürzlich von ihrem Freund getrennt hat. Ich habe ihnen jedoch versichert, dass ich mir sicher bezüglich ihrer Gefühle für mich bin – dass sie erst deshalb den Schlussstrich hat ziehen können, obwohl es schon so viel früher nicht mehr zwischen ihnen lief. Ich habe klargestellt, dass ich diesmal schlauer und nicht mehr so naiv wie bei Rebecca bin. Ich habe die Situation bestimmt unter Kontrolle.

Meine Eltern haben sich nicht quer gestellt. Sie haben Ruby mehr als einmal wissen lassen, dass sie hier jederzeit willkommen sei und mit Freuden hierbleiben dürfe. Bei ihnen weiß ich, dass sie es auch so meinen. Es sind keine daher gesagten Floskeln, um sich einzuschleimen oder einen guten Eindruck zu hinterlassen. Sie haben sogar noch am selben Abend trotz der späten Stunde und den Protesten von Ruby, die meinte, dass das auch morgen gehen würde, aus unserem Gästezimmer die Matratze in mein Zimmer getragen, damit sie sich wohler fühlen könne. Sie sind davon ausgegangen, dass es bestimmt komisch für Ruby wäre, all die Zeit alleine im Gästezimmer zu verbringen.

So liegen wir gerade auch: Ich in meinem und Rubys in ihrem Bett. Trotzdem habe ich die Augen geöffnet und starre geradewegs zur Decke empor. Erst jetzt kann ich all das, was heute passiert ist – und heute ist eine ganze Menge passiert –, verarbeiten und verdauen.

Heilige Scheiße. Ich habe wieder eine Freundin. Also nein, nicht nur eine. Es ist Ruby. Es geht mir nicht darum, eine feste Freundin zu haben, sondern dass es Ruby ist. Die Person, die ich so sehr lieben gelernt habe.

»Thea?«, fragt eben diese plötzlich in die Stille hinein. Wir hatten so lange geschwiegen und in unseren jeweiligen Betten gelegen, dass ich gedacht habe, sie wäre schon längst eingeschlafen. Vielleicht hat sie auch genauso viel wie ich zu verarbeiten. Und wahrscheinlich ist es nicht nur vielleicht, sondern ziemlich sicher so. Auch für sie ist heute jede Menge passiert. Und sie hat sich einen riesigen Schritt getraut.

»Hmm?«, mache ich und drehe meinen Kopf zu ihr, aber ich kann nur schemenhaft erkennen, wie sie ihren Oberkörper aufgerichtet hat und in meine Richtung blickt. Dadurch, dass ihre Matratze auf dem Boden liegt und mein Bett daher höher gelegen ist, muss ich nicht viel aufschauen.

»Darf ich mich zu dir ins Bett legen?« Ihre Worte kamen zaghaft und verunsichert, als wolle sie sich mir nicht zu sehr aufdrängen. Als habe sie Angst, sie würde mir sonst die Chance nehmen, Nein zu sagen.

Ich muss schmunzeln, aber ich lache sie nicht aus. Ich finde es nur unheimlich süß. »Na klar.« Augenblicklich rücke ich näher zur Wand und sie macht es sich neben mir bequem. Jetzt ist sie mir so nah, dass ich ihr Gesicht besser erkennen und ihren angenehm süßlichen Duft vernehmen kann.

Sie hat sich mit dem Gesicht zu mir hingelegt. Ich kann trotz der Dunkelheit erkennen, dass sie mich anschaut – genauso, wie ich es auch tue. »Was ist los? Kannst du nicht schlafen?«, frage ich leise nach – wie immer, wenn ich ihr nicht zu nahe treten möchte. Ich will ihr selbst die Entscheidung überlassen, ob sie antworten möchte oder nicht. Ich will es nicht als selbstverständlich annehmen. Vor allem nicht nach ihrem Freund.

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