Kapitel 54: An Tagen wie diesen

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Wie so oft liege ich auf Zoes Schoß, während sie auf der Couch in unserem Wohnzimmer sitzt und in ihrer Prüfungsliteratur herumblättert. Ich habe versprochen, mich zusammenzureißen und sie dabei nicht zu stören, aber es fällt mir verdammt schwer. Stattdessen versuche ich mich mit Instagram, TikTok und Handyspielen abzulenken, bis Zoe endlich fertig mit ihrem Unikram ist. Oder bis Ben von der Arbeit heimkommt, was aber noch Stunden dauern wird.

Es ist nicht so, als wäre ich beleidigt. Ich weiß, wie viel ihr dieses Studium bedeutet - wie viel Zeit und Mühen sie darin investiert, weil sie es wirklich schaffen möchte. Sie weiß selbst, dass sie nicht die Beste im Lernen ist. Oder eher in Motivation Haben, aber sie gibt ihr Bestes. Sie versucht sich zu konzentrieren und ihre Aufmerksamkeit nicht auf alles andere außer ihrem Lernstoff zu richten. Allein deshalb halte ich mich schon zurück, wenn sie es so ernsthaft versucht. Und zugegeben, weil sie verdammt heiß und süß aussieht, wenn sie so konzentriert in den Büchern liest. Manchmal lege ich auch mein Handy weg und starre Zoe minutenlang an, bis sie zu mir schaut und mich verschmitzt angrinst, weil sie weiß, was sie mit mir macht. Und wie wenig ich diesen Anblick leid sein könnte. Ich habe das Gefühl, ich könnte Zoe stundenlang bloß anschauen und mir würde dabei nicht langweilig werden. »Du kannst deine Augen wirklich nicht von mir abwenden, was?«, sagt sie lachend, aber ich zucke nur grinsend mit den Schultern. Kann ich nicht. Das wissen wir beide.

Unabhängig davon, was genau wir machen, meistens hören wir dabei Musik im Hintergrund. Wie auch jetzt gerade. Auch wenn ich lese und Zoe zeichnet. Oder wenn wir kochen. Oder essen. Manchmal auch beim Sex, obwohl ich in diesem Fall auf meine Playlist bestehe. Zoes Playlist ist mir zu finster und traurig, um in Stimmung zu kommen, und wenn ich gerade dabei bin, mich gut zu fühlen, will ich nicht im nächsten Moment anfangen, zu weinen, weil ein trauriges Lied läuft. Das versteht Zoe. Sie weiß aber auch, dass ich ihren Musikgeschmack sehr zu schätzen weiß - dass ich sie nicht deswegen nicht hören möchte. Ich respektiere ihn und ich mag es, wenn sie darüber redet, wie viel ihr manche Songs bedeuten - wie sehr ihr manche Lieder geholfen haben, zu verstehen, dass sie nicht alleine ist und dass es besser werden wird. Dass es Hoffnung gibt. Ich liebe es, ihre strahlenden Augen zu sehen, wenn sie begeistert und euphorisch von etwas redet, das ihr viel bedeutet - was sie wirklich liebt.

Wir haben uns auf eine Lösung geeinigt. Wir haben eine gemeinsame Playlist erstellt, in der sowohl Songs von ihr als auch von mir laufen. Während sie Songs wie 3am von Halsey, Demons von Imagine Dragons, Self Sabotage von Abe Parker oder Declined sowie Liberated von Britton hinzugefügt hat, habe ich Lieder wie Right Round von Flo Rida (ft. Ke$ha), Devil Is A Woman von Cloudy June, There's Nothing Holding Me Back von Shawn Mendes, I Fucking Love You von Zolita, Wasted Youth von FLETCHER, Some Say von Nea oder No Lie von Sean Paul (ft. Dua Lipa) reingepackt habe. Es ist ziemlich offensichtlich, wie unterschiedlich unser Musikgeschmack ist und ich glaube, auf Dauer könnte ich nicht nur Zoes Musik hören. Nicht, weil ich sie nicht mögen würde, sondern weil ich weiß, dass sie die Songs nicht einfach nur so hört. Sie fühlt sie. Jede einzelne Stelle, jedes einzelne Wort. Ich weiß, dass sie diese Lieder hört, weil sie sich hineinversetzen kann - den Schmerz und die Gedanken nachvollziehen kann. Das ist der Grund, warum ich nicht das erste Mal, als ich ihre Musik gehört habe, angefangen habe, zu weinen. Weil ich mir nicht im Ansatz vorstellen kann, wie viel Schmerz und Leid Zoe über all die Jahre hinweg in sich getragen hat, und ich in diesen Momenten einen kleinen Einblick erhalten habe. Einen, der mir die Sprache verschlagen und die Luft zum Atmen genommen hat. Ich habe geweint, weil ich wusste, dass sich Zoe so gefühlt haben muss, ich das aber für sie nicht wollte. Und ich nicht für sie da gewesen bin. Oder zumindest nicht die ganze Zeit. Zoe hat immer darauf bestanden, dass ich an nichts schuld sei. Das glaube ich ihr aber nicht.

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