Gemeinsam sitzen wir angespannt im Wartebereich und warten nur darauf, dass Thea aufgerufen wird. Ben ist ungeduldig auf und ab gegangen. Zoe hat einfach nur meine Hand gehalten und immer mal wieder besorgte Blicke zu Ruby schweifen lassen. Thea hat ständig Worte in Rubys Ohr gemurmelt, die niemand außer die beiden haben verstehen können. Ruby starrt die ganze Zeit einfach nur geradewegs zu Boden. Und ich wippe nervös mit meinem Bein, weil ich mit mir nichts anderes anzufangen weiß.
Ich weiß, dass Thea in Sicherheit ist. Das tun wir alle. Wir wissen, dass sie nicht mehr in Lebensgefahr schwebt, aber trotzdem hören die Gedanken in meinem Kopf nicht auf, mich mit möglichen anderen Ausgängen zu quälen. Ich sollte erleichtert sein, aber mir ist nach Weinen zumute. Und es wären keine Freudentränen. Es ist die Angst. Die Ungewissheit. Von nichts eine Ahnung zu haben. Einmal hat sich Ben getraut, Thea zu fragen, was passiert sei, aber sie hat nur abgeblockt. Gesagt, dass sie uns später davon erzählen würde und dass das Krankenhaus kein angemessener Ort dafür sei. Dabei ist ihr Blick kurz zu Ruby geschnellt und für mich hat es danach keiner weiteren Erklärungen bedurft. Ich weiß nicht, ob Ruby es bemerkt hat, aber Thea tut es um ihretwegen nicht. Vermutlich weil Rubys Exfreund der Täter gewesen ist.
Aber worüber haben sie hinter dem Krankenwagen ansonsten gesprochen, wenn nicht darüber? Ruby wird wissen, wer für all das hier verantwortlich ist. Oder wollte Thea es vor Ruby einfach nicht erneut hervorholen? Ruby nicht vor uns schlecht dastehen lassen?
Deshalb habe ich nicht erneut nachgehakt. Nicht einmal, als Thea eine Stunde später aufgerufen worden ist und wir nur noch zu viert dort gesessen haben. Ich habe die Fragen so lange hinuntergewürgt, bis sie hochgekommen und nicht mehr zu stoppen gewesen sind.
Ich brauche Antworten und zwar dringend. Nicht später, sondern jetzt. Ansonsten würde ich keine Sekunde länger in diesem gottverdammten Krankenhaus aushalten.
»Kannst du mir bitte sagen, was mit Thea passiert ist? Sie hat dir das doch erzählt, als ihr alleine wart, oder nicht?«, frage ich Ruby leise. Ich bin müde und ich will sie nicht verschrecken. Ich will, dass sie redet, und nicht, dass sie sich weiter verschließt.
Zunächst schweigt sie allerdings, ohne nur die Miene zu verziehen – ihr Blick weiterhin starr zu Boden gerichtet, als würde es sie umbringen, ihn davon zu lösen. Deshalb wende ich irgendwann den Blick ab und schließe erschöpft die Augen. Das ist alles zu viel für mich. Und zu früh. Ich wollte nicht so schnell wieder ein Fuß in ein verfluchtes Krankenhaus setzen – nicht mit dem Gedanken, dass jemand, der mir nahesteht, verletzt ist. Nicht schon wieder.
Bilder, die ich längst verdrängt habe, blitzen in meinen Gedanken auf. Bilder von meinen Eltern. Wie sie sich extra freigenommen haben, um mich beim Staffellauf in der siebten Klasse anfeuern zu können. Wie sie mir zu meinem fünfzehnten Geburtstag eine Kamera, die ich mir schon seit Monaten gewünscht hatte, geschenkt haben. Gerade kann ich ihr Lachen, ihre Liebe, ihre Fürsorge so greifbar nahe spüren, dass mir schlecht wird.
»Tobias ist Thea nachgestellt«, haucht Ruby dann, aber ich sauge jedes Wort wie ein Schwamm auf, weil ich es wissen muss, »Vorhin. Ich weiß es selbst nicht genau. Thea redet auch mit mir nicht darüber. Ich glaube, er hat ihr einfach die Schuld an der Trennung gegeben.« Ernsthaft? Das ist alles? Dann rastet er gleich so sehr aus? Nur weil Thea mit ihr zusammen sein kann und er nicht mehr?
»Er behandelt sie nicht so, wie sie es verdient hätte. Er ist kein guter Freund. Das weiß ich und das weiß sie, aber sie unternimmt nichts dagegen.«
Jetzt schlucke ich schwer. Vielleicht-
»Ich wusste, dass er ein Arsch ist, aber ich hätte niemals gedacht, dass er so weit gehen würde«, erwidert Zoe fassungslos. Sie sieht so aus, als habe man ihr von dem Unmöglichen erzählt, aber ich weiß es besser. Eigentlich weiß ich es gar nicht, aber alles, was Thea damals gesagt hat, deutet auf das Eine hin. Bevor das heute passiert ist, habe ich Theas Worte kein einziges Mal hinterfragt – mir nicht die Frage gestellt, was dahinterstecken könnte. Ich habe einfach angenommen, dass Ruby und ihr Exfreund ihre Auseinandersetzungen gehabt haben werden – dass er vielleicht kälter und nicht so liebevoll zu ihr gewesen ist, als Ruby es gerne gehabt hätte. So was eben. Jetzt aber sehe ich die Worte meiner besten Freundin in einem ganz anderen Licht, denn dann würde plötzlich alles so viel mehr Sinn ergeben. Warum es von Anfang an klar gewesen ist, dass Rubys Exfreund die Trennung nicht stillschweigend ertragen würde.
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Unbreakable
RomanceDu kannst mich schlagen, mich aber niemals brechen. Selbst wenn du mit erhobener Faust vor mir stehst, werde ich nicht mehr zurückweichen. Du wirst mich nicht klein kriegen, egal, wie sehr du es auch versuchen magst. Kein Schmerz der Welt wird mich...