Kapitel 66: Einmal kurz durchatmen

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   Sobald ich herausgetreten bin, peitscht mir der kalte Wind ins Gesicht, aber ich begrüße ihn. Er lässt mich zu klarem Verstand kommen und ich kann mir gerade so einen Fluch verkneifen.

Was habe ich mir eigentlich dabei gedacht? Was zur Hölle habe ich da drinnen getrieben?

»Fuck«, fluche ich und schließe kurz die Augen, sobald ich die Tür hinter mir aufgehen höre, aber ich weigere mich, mich umzudrehen. Ich hoffe, dass es irgendjemand sein wird, den ich nicht kenne. Irgendjemand, der froh ist, das Krankenhaus endlich verlassen zu können, und einfach an mir vorbeigehen wird.

»Ruby trägt keine Schuld«, sagt Zoe und ich fluche innerlich, »Sie macht sich schon genug Vorwürfe. Du hättest sie nicht so anschreien müssen.«

Natürlich habe ich kein Glück. Natürlich musste mir Zoe folgen. Warum überhaupt sie? Warum nicht Ben? Sollte Zoe nicht lieber bei Ruby bleiben und ihr das schlechte Gewissen ausreden, das ich ihr erst eingeredet habe?

Ich schaue Zoe jedoch nicht an, sondern behalte den Blick stur nach vorne gerichtet. Ich könnte den verurteilenden Blick nicht ertragen. Nicht von Zoe. Nicht, wenn ihre Worte schon genug weh tun.

»Denkst du, das weiß ich nicht?«, erwidere ich. Meine Stimme bebt vor unterdrückten Gefühlen. Diesmal würde ich nicht wieder schreien, aber ich kann nicht verhindern, meine Hände zu Fäusten zu ballen, und zu merken, wie mich die Wut innerlich zerfrisst. »Das ist mir klar! Fuck, ich kann ihren Exfreund nur nicht treffen, um ihm eigenhändig die Kehle aufzureißen. Ich kann gar nichts machen! Ich kann nur herumstehen und warten. Allein der Gedanke, dass es viel schlimmer für Thea hätte enden können«, mir laufen stille Tränen die Wangen runter, doch ich ignoriere sie, »Gott, ich will Ruby keine Schuld geben, aber ich kann nicht anders, als zu denken, dass all das hier erst gar nicht passiert wäre, wenn die beiden sich nie kennengelernt hätten. Oder wenn Ruby schon viel früher den Mund aufgemacht hätte.« Ich will nicht wieder jemanden verlieren. Ich würde das nicht ertragen. Es darf einfach nicht passieren. Ich weiß, dass ich egoistisch bin. Ich weiß, dass ich zu viel verlange, wenn ich will, dass man meine Launen einfach so erträgt, ohne dem etwas entgegenzubringen. Ich weiß, dass ich Scheiße gebaut habe.

»Ich verstehe das«, Zoe tritt neben mich und aus dem Augenwinkel kann ich erkennen, dass sie mich auch nicht anschaut, wofür ich sehr dankbar bin, »Es ist normal, so zu denken. Ich will nur sagen, dass du auch Ruby verstehen musst. Sie gibt sich sowieso schon die Schuld für alles. Das eben hätte nicht sein müssen.« Mehr sagt sie nicht. Das braucht sie aber auch nicht.

»Ich weiß«, hauche ich leise.

Es ist das Gleiche, als ob ich mir die Schuld für den Unfall von jemandem geben würde, nur weil diese Person eine Besorgung für mich machen wollte – oder auf dem Weg zu mir gewesen ist. Man trägt überhaupt keine Schuld und trotzdem fühlt es sich so an. Vielleicht hätte Ruby ahnen können, dass das hier passieren könnte, aber hätte sie ihm das wirklich zugetraut? Geglaubt, dass es so weit kommen würde? Ihr Exfreund ist der Schuldige. Er allein. Er hat diese Scheiße gebaut, mit der wir jetzt alle klarkommen müssen.

Gott, wie sehr ich ihn gerade verabscheue. Ich hatte noch nie zuvor ernsthafte Mordgedanken, aber dieser Mann macht mich rasend. Und er ist eine Bedrohung für die Personen, die mir wichtig sind. Es ist eine ganz einfache Gleichung. Fressen oder gefressen werden. Er kann von Glück sprechen, dass ich nicht weiß, wie er aussieht.

Aber deshalb trifft Ruby keine Schuld.

»Ich werde mich später bei ihr entschuldigen«, entgegne ich seufzend, »Ich brauche nur einen Moment für mich.« In dieser Eiseskälte. Wie sollte ich meine Gedanken sonst wieder reinwaschen?

UnbreakableWo Geschichten leben. Entdecke jetzt