Kapitel 64: Spiel mir das Lied vom Tod

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   [Nora:]

»Was gibt's heute Mittag?«, fragt Ben möglichst beiläufig, öffnet die Kühlschranktür, nur um sie anschließend wieder zu schließen, weil sich nach dem zwanzigsten Mal immer noch nichts darin befindet, was er gerne essen wollen würde.

»Kartoffelauflauf«, antworte ich, während ich die Kartoffeln in Scheiben schneide. Zoe würde jeden Moment vorbeikommen, nachdem sie sich den Vormittag mit Michael und Marta vertrieben hat. Vor ein paar Tagen erst hat sie beschlossen, das Kriegsbeil zwischen ihr und den beiden endgültig beiseitezulegen. Sie ist nicht länger sauer auf sie und sie weiß, dass die beiden es von ganzem Herzen bereuen, es ihr verheimlicht zu haben. Zoe versteht auch, dass es nicht an ihnen gewesen ist, es ihr zu sagen, sondern an ihrer Mutter. Dementsprechend meidet Zoe sie noch immer. Auf Anrufe reagiert sie gar nicht, auf Nachrichten nur sehr distanziert und abweisend. Letzteres tut sie auch erst seit einer Woche. Sie will sich langsam wieder an ihre Mutter herantasten, aber es wird dauern, bis Zoe ihr vergeben haben wird. Anders ist es bei ihrem leiblichen Vater, mit dem sie – natürlich – sehr viel Zeit verbringt. Ich habe ihn auch bei eines der Treffen kennengelernt und er ist wirklich sehr gutherzig und liebevoll. Man merkt ihm deutlich an, wie sehr er versucht, die verlorene Zeit mit seiner Tochter nachzuholen, und ich kann nicht anders, als bei der Erinnerung daran zu lächeln, weil er Zoe wirklich guttut. Weil sie strahlt, sobald sie ihn nur sieht oder von ihm redet. Das wird zwar nie das kompensieren können, was sie in ihren jungen Jahren gebraucht hat und ihr genommen wurde, aber es ist das Beste, was sie trotz allem bekommen kann. Ihr Vater gibt wirklich sein Bestes.

Und ja. Ich wollte ihr mit dem Essen eine kleine Freude bereiten. Schließlich-

»Also Zoes Lieblingsessen?«, merkt er neckend an.

Warte.

Sofort blicke ich auf und schaue ihn stirnrunzelnd an. »Woher-?«

»Zoe und ich sind auch Freunde, weißt du?«, fällt er mir ins Wort und rollt theatralisch mit den Augen, setzt aber ein breites, stolzes Grinsen auf, »Du bist nicht die Einzige, die sie kennt.« Offensichtlich nicht. Seit der Sache mit Zoe und ihren Eltern scheinen die beiden sich viel besser zu verstehen. Ich weiß nicht, was genau zwischen ihnen passiert ist, aber es kümmert mich nicht, solange Zoe glücklich ist. Und irgendwo auch Ben.

»Du gibst nur mit deinem Wissen an«, werfe ich ihm ebenfalls augenrollend entgegen, wofür er mir gespielt beleidigt die Zunge herausstreckt.

»Bei Zoe nur irgendwas zu wissen, verdient schon einen Preis«, kontert er und ich zucke nur mit den Schultern. Irgendwo hat er recht. Zoe erzählt einem einen Scheiß darüber, wie es ihr geht und was sie denkt. Wenn sie es nicht will, weißt du es nicht. Als ich sie damals kennengelernt habe, habe ich drei Wochen gebraucht, um bloß herauszufinden, wann sie Geburtstag hat, weil sie es mir nicht sagen wollte. Sie hat mich das erste halbe Jahr nicht zu sich Nachhause genommen, weil sie mir ihre familiären Umstände nicht erklären wollte. Ein paar Wochen später bin ich ihr, Marta, Michael und Ruby auf dem Weihnachtsmarkt begegnet. Sie hat sich nicht die Mühe gemacht, mich ihnen oder sie mir vorzustellen. Am nächsten Tag habe ich sie darauf angesprochen und sie hat nur abgewunken. Deshalb bin ich einfach davon ausgegangen, dass sie mit ihren Eltern und ihrer Schwester unterwegs gewesen wäre. Erst zwei Monate später, kurz bevor wir zusammen gekommen sind, hat sie mir die ganze Wahrheit erzählt, weil Leon mit seinem losen Mundwerk einen Kommentar dazu gebracht hatte und ich Zoe daraufhin gefragt hatte.

Also ja. Zoe ist bei Weitem das Gegenteil von einem offenen Buch. Ihr Lieblingsessen hat sie mir auch erst drei Monate, nachdem ich sie kennengelernt habe, verraten. Obwohl ich sie oft genug danach gefragt hatte.

Plötzlich erfüllt ein lauter Ton meines Handys den Raum. In dem gleichen Moment vibriert Bens Handy. Natürlich denken wir uns nichts dabei – nehmen an, es wäre bloß Zufall –, als wir draufschauen. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als wir den Inhalt der Nachrichten sehen.

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