19. Kapitel

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S C H A T T E N P F O T E

Der Schreck fuhr ihm in die Knochen, kalt wie Eis, als er den ohrenbetäubenden Schrei hörte. So schnell ihn seine Beine trugen, raste er aus dem Bau heraus-
Und erstarrte augenblicklich.

Ein riesiger schneeweißer Kater stürmte ins Lager, seine kalten hellblauen Augen funkelten hasserfüllt wie zwei Eiskristalle. Die riesigen Pranken wirbelten Schlamm auf, als er mit einem gewaltigen Sprung in der Lagermitte landete und fauchend die hellgrauen Krallen ausfuhr.
Rings um ihn herum wichen Katzen zurück, er hörte Kleepfote hinter sich aufschreien.
Ein seltsames Gefühl sagte ihm, dass er diesen Kater schon einmal irgendwo gesehen hatte. Aber wo? Und wann?

Noch eine Katze folgte ihm, eine grauweiße Kätzin mit vernarbtem, gesträubtem Fell. Immer mehr Krieger folgten und plötzlich fuhr es Schattenpfote wie ein Krallenhieb in die Knochen. Das war der Kater aus meiner Vision!

Panisch wollte er zurückspringen, doch da drängten schon seine Geschwister an ihm vorbei.
Mit einem mutigen Fauchen stellte sich Federstern entschlossen vor den Eindringlingen auf.

"Was willst du hier, Froststern?"
Seine Stimme bebte kein bisschen, als er dem riesigen Kater in die Augen starrte, dennoch klang sie ruhig.

"Du weißt es genau! Wir haben ein Recht darauf, als richtiger Clan zu leben! Aber ihr verleugnet es. Schon deine Mutter hat das getan! Und die Anführer aller Clans. Und alles, woran ihr denkt, ist, wie ihr uns am besten vernichten könnt, weil wir euch die Territorien streitig machen!?
Wenn ihr es uns nicht gebt, dann holen wir uns eben, was uns zusteht!"

Alles ging so schnell, dass Schattenpfote kaum mitkam. Moment... Froststern? Etwa der EisClan-Anführer?
Diese Frage musste er sich nicht mehr stellen, denn nur einen Herzschlag später heulte der Fremde:
"EisClan! Angriff!"

Immer mehr Katzen schwärmten aus dem dichten Schilf und stürzten sich auf die völlig überrumpelten NebelClan-Katzen, die sich verzweifelt wehrten.
Was soll ich nur tun? Panik stieg in ihm auf. Er konnte sich nicht wehren und seinen Clan-Gefährten auch nicht helfen.
Da fiel ihm wieder ein, was ihm zuerst solche Angst gemacht hatte. Honigwolke! Er musste sie finden, aber wie?

Als er gerade an den Kämpfenden vorbeigelaufen war, erblickte er im Augenwinkel Froststern, der sich auf etwas kleineres, silbernes stürzte. Das ist ja Mondpfote!
Was sollte er tun? Ich muss ihr irgendwie helfen!

Doch er stutzte, denn der riesige Kater machte keine Anstalten, sie zu verletzen, drückte sie nur zu Boden und zischte fast unhörbar ins Ohr der silbernen Kätzin, gerade so laut, dass Schattenpfote es hören konnte.

"In deinem Clan gibt es einen Auserwählten. Finde ihn und beseitige ihn! Aber nicht die Schildpattfarbene, die du fast schon umge..."
Er senkte die Stimme noch weiter, sodass Schattenpfote nichts mehr mitbekam. Aber wollte er das überhaupt? Verwirrung schwirrte in seinem Kopf herum, benebelte seine Sinne und er fragte sich: Was hat Mondpfote damit zu tun? Wen soll sie beseitigen? Er ahnte, dass das alles nicht gut ausgehen würde.

So viele Fragen geisterten in seinem Gedächtnis, der graue Kater schüttelte sich, um sich wieder zu konzentrieren und lief weiter; schließlich musste er Honigwolke finden. Aber deine Gedanken waren an einem ganz anderen Ort. An einem finsteren Ort.

Verzweifelt zwang er seine Pfoten, weiter zu laufen und sich nicht trotzig wie ein Junges in den Boden zu stemmen, während er vorsichtig von einer trockenen Stelle zur Nächsten hüpfte.

Wo kann sie nur sein?

Langsam gab er die Hoffnung auf. Der graue Kater begann, einfach quer durch das Territorium zu spurten, seine Pfoten ließen Schlamm aufspritzen, er rief verzweifelt Honigwolkes Namen.
Ohne Erfolg.
Mit bebender Brust ließ er sich keuchend in den Schlamm fallen und hob den Blick zum bewölkten Himmel.

Etwas winziges, weißes löste sich vom dichten Wolkenpelz und schwirrte in einem Zickzack immer weiter herunter, bis es schließlich vor seinen Pfoten im Dreck landete, seine winzigen Kristalle schlammbraun färbte und schließlich dahinschmolz.

"Ist das eine Schneeflocke?", sprach Schattenpfote seine Gedanken laut aus.
Doch auch, als immer mehr kleiner Flocken vom Himmel fielen, er konnte sich nicht darüber freuen.
Er hatte versagt.
Ein letztes Mal heulte er mit aller Kraft, die er noch hatte: "Honigwolke!", bevor sein Kopf erschöpft in den Schneematsch sank.

Ein fernes Wimmern ließ ihn aufhorchen. Konnte das sein?
Völlig entkräftet stand er strauchelnd auf und taumelte in die Richtung, aus der er das Geräusch gehört hatte. Tatsächlich, nach nur wenigen Herzschlägen sah er honigfarbenes Fell aufblitzen, Hoffnung wärmte seine Pfoten und rutschend und schlitternd kam er bei seiner Mentorin an.

Ihr Schweif lag schlaff auf dem Boden und ihr Bauch war blutverklebt.
Vollkommen überfordert und verzweifelt starrte er die Heilerin an. "Honigwolke", wisperte er.
Wieder drang ein schwaches Wimmern aus ihrer Kehle und Schattenpfote musste sich direkt vor ihr Gesicht hocken, um ihre Worte zu verstehen.

"V-v-vers...schwi-inde h-hi...ier!", röchelte sie.
Nein! Er konnte sie doch nicht alleine lassen.
Angestrengt versuchte er, seine Gedanken zu ordnen. Wie konnte er ihr helfen? Der graue Kater atmete ein, zweimal tief durch, dann dachte er nach.

Ihre Wunden müssen sauber sein! Dafür sollte ich sie aus dem Schlamm heraustragen. Aber, Mäusedung, ich bin nicht stark genug! Vielleicht kann ich einen Umschlag machen? Aber hier ist nichts außer Schilf! Das muss auch gehen!

Er scharrte Schlamm um ihren Bauch herum weg, sah sich die Wunde an - und musste gleich wieder den Blick abwenden. In der Mitte der gewaltigen Blutlache klaffte ein langer Riss im Bauch der Kätzin, aus dem schon Fleisch herausquoll.

Trotzdem raste er zum nächstbesten Schilfstängel, riss ihn ab und sprang zurück an Honigwolkes Seite. Ruhig bleiben, sagte er sich immer wieder, es hilft ihr nicht, wenn ich in Panik verfalle.

Mit flinken Pfoten schob er das Schilf vorsichtig unter ihren Bauch und schlang den mehrere Schwanzlängen langen Stängel um die Wunde. Spinnweben!
Er brauchte Spinnweben, um die Blutung zu stillen! Aber da erinnerte er sich daran, dass die Wunde zuerst gereinigt und verbunden werden musste, damit die Spinnweben keine Infektion auslösten.

Wo fand er das alles? Er hatte keine Ahnung.
Ich kann sie nicht heilen!

Während er so angestrengt nachdachte, dass er kurzzeitig vermutete, sein Kopf würde explodieren, ließ ihn ein Fauchen zusammenzucken. Wieder ein schwaches Wimmern von Honigwolke: "L-lauf!"

Nein! Er würde sie nicht alleinlassen. Gerade schloss er die Zähne um das weiße Genick der Heilerin, um sie wegzutragen, doch dornenscharfe Zähne packten sein Hinterbein und zogen ihn mit der Kraft eines Hundes zurück.

Sofort drehte er sich um und erblickte einen schwarz-weißen Kater mit funkelnden bernsteingelben Augen, der seine Zähne immer tiefer in Schattenpfotes Fleisch bohrte.
Ein flammender Schmerz durchzuckte sein Hinterbein, als die Zähne des Katers an seinen Knochen schabten. Schattenpfote heulte schmerzerfüllt auf, als auch noch eine schwarze Kätzin mit gelbbraunen Flecken sich auf ihn stürzte und ihm die Krallen über die Flanke zog.
Er hatte keine Chance, als die Krieger immer weiter auf ihn einschlugen und kratzen mit Krallen, scharf wie Marderzähne.

Ein Dritter sprang auf ihn zu, ein kräftiger Grauer, der mit solcher Wucht auf seinem Kopf landete, dass ihm schwarz vor Augen wurde. Vor seinem Blick tanzten Sterne und das Letzte, was er sah, waren immer mehr EisClan-Krieger, die, angeführt von Froststern, auf ihn zupreschten.

Warrior Cats - Sternenpfade || Band I-IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt