70. Kapitel

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Die Katze jagte über das Moor, ihre langen Beine trugen sie rasend schnell dahin.
Mondlicht schimmerte auf ihrem Fell, das allmählich wieder die verkrusteten Wunden bedeckte. Ihre Klauen gruben sich in den Boden, als sie tief ausholte zu weiten Sprüngen. Die violetten Heideblüten wirkten silbern im fahlen Schein der Mondkatze.

Ein Mond war vergangen seit der blutigen Nacht, jener Nacht, in der fast die Hälfte der Krieger gefallen war. Auch der SturmClan hatte stark gelitten unter den Verlusten. Die Beute war reichlich, doch der Clan hungerte, einfach, weil es nicht genug Krieger gab, um sie zu erlegen.

Die Katze verlangsamte ihr Tempo an der Stelle, an der ein Riss die Erde teilte. Heide war darüber gewachsen, doch der tiefe Schlitz klaffte noch immer im Boden wie die Pforte zur Unterwelt. Zeitlos.

Mit einem Blick in den Riss erkannte man nichts als Finsternis. Sie war lauernd und gähnend, als würde dort in der Tiefe ein finsteres Wesen nur darauf warten, jeden zu verschlingen, der sich in sein Territorium wagte.

Die Katze schüttelte das ungepflegte grau-braune Fell und atmete tief durch, im Wissen, was gleich geschehen würde. Die Vögel der Nacht schwiegen, der Mond am sternenlosen Himmel verbarg sich hinter schleierhaften Wolken. Die Welt wartete darauf, dass etwas passierte.

Und der zottelige Kater mit den zwei verschiedenen Augenfarben tat es ebenfalls. Er wusste alles, was den Clans bevorstand, und deshalb war er hier.
Und dann passierte tatsächlich etwas. Etwas von einer Größe, der keine Katze gewachsen war und auch sonst nichts, was lebte.

Auch der Kater war dieser uralten Naturgewalt nicht gewachsen und das wusste er ebenfalls. Doch es war nicht sein Ziel, das hier zu besiegen. Nein, er sah es als seine Chance.
Mit den Krallen ritzte er etwas in den Boden, zwischen die störenden Heidebüschel, aber so groß und deutlich, dass jede vorbeikommende Katze es bemerken musste. Wenn sie mehr im Hirn hat als Ahornsprungs Sohn...

Ein tiefes Grollen ertönte, als würde die Erde unter ihm selbst röhren. Vor ihm öffnete sich der Riss im Boden, tief und finster, bis von tief unter der Erde etwas Rotes aufblitzte. Die Erde bebte, zitterte, schüttelte sich wie ein nasser Hund. Felsbrocken flogen in die Höhe, dann etwas, das der Kater noch nie gesehen hatte.
Es war wie eine Feuerfontäne aus flüssigem Gestein, dass gen Himmel schoss. Leuchtende Funkenfetzen spritzten zu allen Seiten, brannten sich tief ins Fleisch des Katers. Der lodernde Schmerz zerriss ihn von innen, als das flüssige Feuer wieder auf den Boden prasselte.

Vor Schmerz benommen richtete er seine zwei verschiedenen Augen in den Riss hinein. Nur eine Baumlänge unter ihm wogten die flammenfarbenen Wellen, züngelten an den Wänden des nun riesigen Risses entlang. Erneut schien die Welt zu erbeben, die Heise, die gerade erst gewachsen war, wurde mitsamt ihren Wurzeln aus dem Boden gerissen. Der Boden wurde zerwühlt, als würde tief unter ihnen ein gewaltiges Kaninchen sein Nest graben.

Der Graubraune atmete mit donnerndem Herzen tief durch, blickte ins flüssige Feuer, in die flammende Tiefe unter ihm. Tu es, sagte eine kleine Stimme in seinem Kopf permanent, ohne aufzuhören, und wurde dabei unerträglich laut.
Er sah sich um. Warf einen letzten Blick auf die zerrissene Welt.

Dann sprang er.

Jeder Herzschlag schien sich wie ein Blattwechsel zu dehnen. Er drehte sich in der Luft, bis er den Blick auf die wogenden Tsunamis aus züngelnden Flammen richtete.
Dann kamen die Schmerzen, als er bis auf die Knochen verbrannte.
Die Hitze versengte sein Fleisch. Er wollte schreien, doch bekam nur unerträglich heißes Gestein ins Maul, das seine Kehle von innen verbrannte. Die Qualen zerfetzten ihn, sein Körper zerfiel, dann sank er in endlose Finsternis, in der kaum noch eine Flamme züngelte.

Doch auf dem Himmelsfels, der im bleichen Mondlicht wirkte wie ein gewaltiger Stern, saß eine kleine, rötliche Katze. Das silberne Licht ließ ihr Fell silbern wirken.
Sie hatte etwas gesehen. Etwas, das ihr unsägliche Angst machte.

Die Katze hob den Kopf und heulte ihr Lied in den Himmel, wie es schon ihre Mutter getan hatte und deren Mutter und alle Boten davor. Wie das Klagelied eines Wolfes wurde es vom Wind zum Moor getragen, zum Sumpf und in den Wald und noch viel weiter. Es handelte von dem, was geschehen war und von dem, was geschehen würde. Geschehnisse, die größer waren als sie selbst. Denn sie war nur ein winziger Teil der Zeit, sie immer weiter floss wie ein unaufhaltsamer Fluss.
So sang sie also, um die Traditionen ihrer Familie weiterzutragen bis in die Ewigkeit hinein.
Und sie sang, um die Clans zu warnen vor dem, was ihnen bevorstand.

»Nach neun Monden voll Finsternis,
Das Feuer bündet, was uns zerriss.
Ein Funke, klein und flimmernd gar
Sucht einst nach dem, was wirklich war.
Mit einem Herz aus Sternenglanz
Und gutem Willen, voll und ganz.
Gab nicht auf, in dieser Nacht
Und für immer mit der Hoffnungs Macht.

Und wenn die Sterne fallen nun
So mögen sie in Frieden ruh'n.
Doch am Himmel, schwarz und leer
Ein Lichtlein flimmert, sonst keine mehr.
Der letzte Stern am Himmel steht,
Wenn der letzte Sturm verweht.

Dies' Nacht, blutig und ohne Reue
Krieger brachen geschworene Treue.
Stellten sich auf des Feindes Seit'
Verflucht seien sie für die Ewigkeit.
Doch drei Helden, ihr Schicksal verstrickt
Von den Sternen Hilfe geschickt
Erleuchten den Himmel diese Nacht
Und für immer mit des Friedens Macht.

Und obgleich die Sterne fallen
Der Mond, er wird auf ewig strahlen
Und mit ihm die Wächterin der Zeit
Oh, bis in alle Ewigkeit.
Vor dreizehn Monden, in derselben Nacht
Unsere leuchtenden Retter erwacht.

Und obgleich ihre Pfade finster waren
So trotzten sie dennoch jeden Gefahren.
Sie erleuchteten unsre düsteren Wege,
Unser aller wackeligen Stege.
Sie brachen das Eis in dieser Nacht
Und für immer mit des Mutes Macht.

Frieden kehre ein, vom Himmel gesandt,
Doch schon bald ein neuer Krieg entbrannt.
Gefahren, die es nicht zu bekämpfen gilt
Oder niemand mehr des Kriegers Plätze füllt.
Flieht, ihr Clans, folgt dem letzten Stern
Zu finden das neue Vermächtnis so fern.«

Und als das Lied der Wildkatze in der Ferne verklang, vom Winde verweht, brach der Riss so weit auf, dass eine gewaltige Feuerfontäne auf das Moor niederging.

Warrior Cats - Sternenpfade || Band I-IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt