33. Kapitel

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S C H A T T E N P F O T E

Alles drehte sich um ihn herum, fauchend fielen die EisClan-Katzen über ihn und Taupfote her. Noch lauteres Kreischen erfüllte die Luft und hallte an den uralten Baumstämmen wider. Nur verschwommen sah er Klauen aufblitzen, doch den Schmerz, als Froststerns Zähne sich in seinen Hals bohrten, flammte ungedämpft durch den Körper des jungen Heilerschülers, dessen schlaffe, dürre Glieder jetzt schon entkräftet waren.

Die starken Kiefer schnürten ihm qualvoll die Luft ab und Panik stieg in ihm hoch, als das Leben in seinem Körper unerträglich langsam erstickt wurde. Nein! Er konnte nicht sterben! Sie waren doch so weit gekommen, waren dem Clan ohne Sterne beinahe entflohen!

Noch mehr Schreie. Er erblickte irgendwo am Rand seines Sichtfeldes eine Katze nach der anderen. Eine grausige Schlacht entbrannte und die kämpferischsten Clans des Waldes schlugen mit Krallen und Zähnen aufeinander ein.

Plötzlich wurden die Zähne des Anführers mit voller Wucht aus seiner Kehle gerissen, hinterließen blutige Abdrücke und der NebelClan-Schüler schnappte nach Luft, ließ gierig Sauerstoff seine Lunge füllen.
Mit weit aufgerissenen Augen musterte er seinen Retter, dessen dunkles Fell an einen nebligen Nachthimmel und die Augen an Sterne des Silbervlieses erinnerten.
Der muskulöse Kater drosch mit den Hinterläufen auf Froststern ein und schon bald verschwanden die brutalen Krieger inmitten von einem Gewirr aus Zähnen, Krallen und dickem, heißen Blut, das wie Regen von den Bäumen zu spritzen schien.

Immer stärker wurden Schattenpfotes Schuldgefühle, rissen an seinen Eingeweiden. Er hatte den Feind zum Lager eines fremden Clans geführt, damit sein eigener Clan es nicht mit diesen Kriegern aufnehmen musste.
War das feige?
Unehrenhaft?
Vermutlich, doch in seiner Erschöpfung und Panik hatte der junge Heilerschüler definitiv Besseres zu tun, als über die Aufrichtigkeit seiner Tat nachzudenken.
Schon zischten Krallen an seinem Ohr vorbei. Erschrocken zuckte er zurück und fauchte abwehrend, als er sich einem dunkelgrauen Kater gegenübersah.
Hagelsturm. Der arrogante junge Krieger, wegen dem Taupfote nie ihren Kriegernamen erhalten hatte, fetzte ihm einen tiefen Riss in sein rechtes Ohr. Heißes, rotes Blut sickerte an Schattenpfotes Wange herunter und es fühlte sich an, als hätte sich eine Flamme in sein Ohr gebrannt.

Unbarmherzig schlug der dunkelgraue Krieger zu, geschickt wie eine Clankatze, aber brutal wie der Streuner, der er war. Immer tiefer stach der Schmerz in Schattenpfotes Körper, verschlang seinen Pelz schier. Der moosbewachsene Boden war schon ganz rutschig vom Blut des Heilerschülers.

»L-lass mich in Ruhe!«, winselte er kläglich, doch vermutlich klang er etwa so furchteinflößend wie eine sterbende Maus.

»Froststern hat gesagt, ich solle dich töten. Und das Wort des Anführers ist Gesetz, nicht wahr? Du wolltest ja keine friedliche Lösung...«
Ein höhnischer Unterton begleitete seine Worte, als er fortfuhr.
»Diese Schlacht ist deine Schuld, Kleiner. Das vergossene Blut klebt an deinen Pfoten.«

Alles in ihm zog sich qualvoll zusammen, nicht, weil er gekränkt war, sondern, weil Hagelsturm recht hatte. Was, wenn bei diesem Kampf eine Katze stirbt?

Zu spät bemerkte er die Tatze, die ihm mühelos die Beine unterm Körper wegschlug, und er prallte schmerzhaft auf die Seite, den Gestank von Blut in der Nase.
Hagelsturm zerfetzte ihm den Pelz, und Schattenpfote fühlte sich unfassbar wehrlos, als wäre er nur ein zappelnder Käfer, der auf dem Rücken lag und von Jungen herumgeschubst wurde.

»Lass ihn los, Hagelsturm!«
Dem markerschütternden Heulen folgte Taupfote, die sich gegen drei gestandene Kriegerinnen verteidigte, sich nun aber mit voller Wucht auf ihren Bruder stürzte und von Schattenpfote herunterstieß. In einem Knäuel aus Krallen, Flüchen, Blut und Zähnen rollten die EisClan-Katzen über den blutigen Boden und stießen wüste Beleidigungen aus, die Schattenpfotes Wortschatz aus scheußlichen Dingen bei weitem überstiegen.

Benommen rappelte der panische Schüler sich auf.
Wo sollte er nur hin? Links von ihm schlitzte ein kräftiger heller Krieger seiner Gegnerin die Flanke auf, hinter ihm ertönte schmerzerfülltes Jaulen. Er war umzingelt von kämpfenden Katzen, in seinen Ohren rauschte das Blut und seine gesamte rechte Seite schmerzte so, dass er nicht wagte, hinzusehen.

Hinkend stolperte er davon, blind vor Angst und Schmerz, bis das Geschrei des Kampfes langsam verhallte. Kopfschüttelnd versuchte er, sein Sichtfeld zu klären, doch vergebens. Immer mehr feine Stiche brannten sich in sein Fleisch, und schließlich erkannte er, dass er geradewegs in ein dichtes, vom silbernen Frost überzogenes Brombeergebüsch getaumelt war. Der silberne Kater zwängte sich hindurch, wobei sich die Widerhaken der Dornen schmerzhaft in seinem Pelz verfingen.
Nun stolperte er auf harten, von unzähligen Pfoten festgetrampelten Boden, wo er entkräftet liegen blieb. In seinem Kopf wirbelten noch Gedanken, Panik und schlechtes Gewissen, doch all seine Sinne waren so vernebelt, dass er sich wehrlos in die unendlich tiefe Finsternis gleiten ließ.

***

»War er das, Dämmerschwinge? Hat er die bösen Katzen hierhingeführt? Mohnblüte hat gesagt, er war das.«

»Ich weiß es nicht, Sonnenpfote. Aber egal, ob er es war oder nicht, wir müssen ihm helfen. Holst du bitte die Mohnsamen?«

Schattenpfote blinzelte, versuchte, seine Sinne wiederzubeleben -
Und bereute es im nächsten Moment, denn heftig und unbarmherzig schoss der Schmerz in seine Glieder.

»Schsch...«, mahnte eine sanfte Stimme. »Bleib liegen. Deine Wunden sind tief.«
Die Besitzerin der Stimme klang freundlich und ruhig und doch lag eine Bestimmtheit in ihrer Stimme, die Schattenpfote reglos liegen bleiben ließ.
Vor ihm ließ ein orangener Kater, noch jünger als er selbst, einige kleine, schwarze Körner fallen. Mohnsamen.
Nur einen halben Mond lang hatte er wie ein normaler Heilerschüler gelebt, aber die betäubende Wirkung von Mohnsamen gehörte immerhin noch zu seinem kläglichen Grundwissen. Und er sehnte sich unfassbar nach Linderung seines unerträglich pochenden Schmerzes. Ohne, dass die freundliche Kätzin oder der Orangene noch etwas sagen mussten, leckte er gierig die kieselartigen Samen auf und ließ den Kopf wieder schlaff auf den Erdboden fallen.
Sein Kopf fühlte sich seltsam leer an, als hätte eine Windböe alle Gefühle und Gedanken weggefegt.

»Huch! Wir haben uns ja noch gar nicht vorgestellt! Ich bin Dämmerschwinge«, miaute die Kätzin, die nun in sein verschwommenes Sichtfeld trat.
Auffordernd schnippte sie dem jungen Kater mit dem Schweif über den Rücken und dieser stotterte leise und mit angstvoll aufgerissenen Augen: »S-sonnenpfote.«

Dämmerschwinge, die hellbraune Kätzin, tappte aus dem Bau.
»Ich gehe und sehe nach anderen Verletzten. Sonnenpfote, bleib bitte hier. Denk dran, draußen wird noch gekämpft!«

Der hellrote Schüler starrte den wehrlosen Schattenpfote einfach nur aus kugelrunden Augen an, mit panisch bebenden Flanken. Noch immer war der Kopf des grauen Katers leer wie ein hohler Baumstamm, doch ein Funke von Angst drang durch sein Bewusstsein.

Als Sonnenpfote einige Schritte auf ihn zulief, die Krallen ausfuhr und sie ihm tief in die Kehle rammte.

Warrior Cats - Sternenpfade || Band I-IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt