27. Kapitel

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F U N K E

Ihre Kehle fühlte sich so trocken und heiß an wie der Wüstensand unter ihren wund gelaufenen, vor Erschöpfung taumelnden Pfoten.
Die glühende Sonne briet fast senkrecht auf sie herab und schien ihren staubigen Pelz in Brand zu stecken.
Hunger, Erschöpfung und unerträglicher Durst zerrten mit jedem Schritt an ihr.

Neben ihr warf ein goldener Pelz das Sonnenlicht zurück und erstrahlte als ein blendendes Licht.
Sonnes Augen waren stumpf auf den Boden gerichtet, die Rippen stachen unter ihrem Fell hervor, es schien, als hätte man lediglich dünnes Fell auf ein Knochengerüst gespannt.

Wie eine lauernde Raubkatze schlichen sich Erinnerungen an sie an, bahnten sich einen Weg in ihr Herz, obwohl sie mit allen Mitteln versuchte, sie zu vertreiben.
Bilder von einer bis auf die Knochen abgemagerten Kätzin, deren Pfoten im heißen Sand versanken.
Vor Funkes innerem Auge sah sie die graubraune Katze erneut zusammenbrechen. Erneut dieselben Worte sagen wie an jenem schicksalhaften Tag vor zweieinhalb Monden.

Sie musste den Blick abwenden, denn Sonne sah in diesem Moment genauso aus wie Falkenfrost.
Um auf andere Gedanken zu kommen, fragte sie wie schon unzählige Male: "Kannst du sie schon sehen? Wie weit ist es noch?"

Und wie jedes Mal bekam sie ein "Ich weiß es nicht, Funke" zurück. Die rote Kätzin schauderte. Sonnes Stimme klang so leer und gleichgültig.

"Wie nennt man eine fliegende Schlange?", wollte sie ihre Begleiterin aufmuntern.

"Jetzt nicht, Kleine."

"Hey! Ich bin nicht mehr klein, sondern mindestens sechs Monde alt!"

"Du bist klein, Funke. Und solange wir nichts zu fressen finden, ändert sich daran auch nichts!"

"Na dann jagen wir eben!"

"Es ist zu warm zum Jagen."

"Und nachts ist es zu kalt. Aber sobald die Sonne untergeht, willst du ja sowieso nicht raus sondern schlafen. Wann sollen wir denn dann jagen?"

Sonne zuckte gekränkt zusammen.
"Du hast keine Ahnung, was du da sagst! Du weißt nicht, wie es ist, wenn..."

"Wenn was?"
Als sie sah, wie Sonnes Augen angstvoll glänzten und ihre Pfoten zitterten, kam sofort ein schlechtes Gewissen in ihr hoch.
"Tut mir leid", miaute sie kleinlaut.

Die blassgoldene Kätzin schüttelte nur den Kopf, als würde sie versuchen, eine Erinnerung zu verdrängen.
"Du kannst nichts dafür."

Bestimmt sind wir bald bei den Felsen aus Flammen! Und dann...
Was war dann eigentlich? Wie brachten diese Felsen sie weiter auf der Suche nach ihrer Bestimmung?
Kein bisschen.
Irgendetwas musste dieser Ort doch verändern! Schließlich besagte die Prophezeiung, dass...

Eine Prophezeiung, von der ich nicht einmal weiß, ob sie überhaupt existiert.
Entmutigt richtete sie ihre grünblauen Augen nach vorne.
Der Himmel hatte die gleiche Farbe wie Sonnes Augen, am Horizont flimmerte die Luft und ließ Himmel und Erde ineinander verschwimmen.
Doch etwas winziges, dunkles dort am Rande des Himmels ließ sie stutzen. Konnte das sein?
Es war nicht mehr als ein verschwommener Punkt, doch dieser flimmerte in den Rottönen von Feuer.

Über ihr erfüllte das gewaltige Kreischen eines Raubvogels die unendliche Stille des wolkenlosen Himmels.
Als sie begriff, was sie sah, schien ihr Herz schier zu explodieren vor Freude und Hoffnung.
Ja! Unendliche Monde sind wir gewandert, haben gesucht und sind gescheitert, aber wir haben es geschafft!

Falkenfrost? Siehst du das?

Das leise Krähen vom Himmel aus war die Antwort.
"Sonne! Sonne! Siehst du das? Da vorne am Horizont! Die Felsen! Wir sind fast da! Sonne!"

Müde blickte die Goldene nach vorn, dann weiteten sich ihre Augen überrascht.
"Unfassbar", murmelte sie geschockt, "dass ich diesen Ort jemals wiedersehe."

"Freust du dich denn gar nicht?", fragte Funke enttäuscht. Will sie etwa nicht zu den Felsen? Sind wir womöglich den ganzen Weg umsonst gelaufen?

"Doch, doch, ich habe nur... Angst. Angst, dass genau das noch einmal passiert."

"Aber was, Sonne? Was? Findest du nicht, ich habe ein Recht darauf, das zu erfahren? Nach all dieser Zeit?"

"Wenn wir da sind", sagte die goldene Kätzin.
Ungeduldig fiel Funke in einen leichten Trab. In ihren kleinen Körper schienen plötzlich die Lebensgeister zurückgekehrt zu sein, ihre Beine explodierten schier vor Energie.

"Komm schon, Sonne!"

***

Imposant und gewaltig ragten die Gesteinsmassen vor ihr auf. Dunkelrot wie Blut waren die Felswände, ein Geruch nach Rauch und Feuer stieg ihr in die zuckende Nase. Eine dunkle, fast schwarze Musterung zog sich über das Gestein, wie dornige Blumenranken, die verdorrt waren von der flammenden Hitze der Sonne.
Überwältigt starrte Funke an den Felsen aus Flammen hoch.
Was ist hier nur passiert?

Hinter ihr holte Sonne langsam auf, ihre verschwitzten Pfotenballen hinterließen dunkle Abdrücke im Sand.
"Ich denke, ich bin dir eine Erklärung schuldig."

Das denke ich auch!, dachte Funke und wartete darauf, dass Sonne begann, zu sprechen.
"Also gut." Sie schien tief durchzuatmen, sich zu fassen.
"Ich habe Zeit meines Lebens im Stamm des jagenden Feuers gelebt.

Wir, die Stammeskatzen, hatten ein glückliches und friedvolles Leben, geleitet von unseren Vorfahren, dem Stamm der ewigen Sonne und den Legenden, die älter sind als die Zeit.
Ich selbst, Sonne die durch Wolken bricht, trug meinen Namen mit Stolz, denn er erinnerte an unsere Ahnen.
Ich war... glücklich. Ich hatte treue Freunde, einen liebenden Gefährten und prächtige Jungen.«

Ihre Stimme zitterte, als sie offensichtlich versuchte, die Kontrolle nicht zu verlieren. Es schien, als würde sich ein gewaltiger Sturm aus Schmerz und Hass in ihr zusammenbrauen und nur darauf warten, alles in ihr zu zerfressen.

»Dann... dann kamen diese Flammen. Doch eigentlich gab es nichts, was brennen konnte! Dieses Feuer war dunkel wie Blut und hat alles gefressen, mit dem es in Berührung gekommen ist. Auch Katzen...

Ich habe gesehen, wie das Feuer meinen Gefährten Flut verschlungen hat. Noch heute höre ich seine Schreie mit jedem Krähen eines Vogels. Er hat versucht, unsere Jungen zu retten. Frost, Dämmerung und Echo.
Doch es war zu spät. Er war so mutig!«
Nun steigerte sich ihre Stimme zu einem qualvollen Heulen.

»Und ich... Ich war so feige! Ich bin gerannt, um mein Leben gerannt, bis meine Pfoten wund und blutig waren und meine Lungen zu bersten schienen. Ich habe alles zurückgelassen, was ich jemals geliebt habe.

Weil ich zu egoistisch war, um mich für andere zu opfern.«
Nun bebte Sonnes Körper wie ein Beutestück in Todeskrämpfen, nachdem es von einer Schlange gebissen wurde.
Funke war so betroffen, dass selbst ihr nichts einfiel, was ihre Reisegefährtin aufmuntern konnte. Es war, als hätte sich ein Schatten über die schweigenden Katzen gelegt, der dunkler und bedrohlicher war als der des über ihnen gleitenden Falkens.

Schließlich maunzte Funke, nur um das Schweigen zu brechen: »Es ist nicht deine Schuld. Du kannst nichts dafür, was passiert ist und keine Katze kann dir vorwerfen, dass du überleben wolltest!«

Doch Sonne schüttelte nur den Kopf. Ausdruckslos glänzten ihre blassen Augen.
»Das sagt sich so leicht. Du bist noch so jung und naiv, Funke, und du weißt nicht, wie man sich fühlt, wenn man die Schuld am Tode einer geliebten Katze trägt.«

Weil sie nicht wusste, was sie darauf erwidern konnte, drückte sie ihre Schnauze in Sonnes Fell. »Es wird bald dunkel«, sorgte sie sich. »Wir sollten hineingehen für die Nacht.«
Zitternd schluckte Sonne, dann nickte sie zögerlich.
Möglichst unbeschwert trabte die kleine flammenfarbene Kätzin um die Felsen herum, bis sie einen gewaltigen Riss im feuerroten Gestein erblickte, der wie ein klaffender Schlund aus Finsternis wirkte.
Funke spähte hindurch-
Und sprang mit einem gewaltigen Satz wieder zurück in den heißen Sand.
Vieles hatte sie erwartet, aber nicht das!

Die Höhle im Inneren glich einem Schlachtfeld.

Warrior Cats - Sternenpfade || Band I-IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt