66. Kapitel

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Die Schmerzen waren unerträglich. Sie verschlangen alles in Funkenpfotes Körper, verbrannten ihre Lungen und zerfetzten ihr Herz. Der Schädel der Schülerin brummte lauter als ein Hornissenschwarm, doch irgendwie schaffte sie es, sich aufzurichten. Auf wackeligen Pfoten sah sie Blut, Fell, Knochen blitzen, als Wildherz Eisstern die Klauen in die Kehle grub. Das hasserfüllte Heulen wurde zu einem schrecklichen Gurgeln und ebbte schließlich ganz ab.

»Nein!«, brachte sie mühsam hervor, eine gewaltige Flutwelle der Verzweiflung kochte in ihr hoch.
Wildherz hob den Kopf und richtete die Augen auf Funkenpfote.
Sie waren kalt wie zersplittertes Eis und von der Farbe eines fahlen Himmels. Moment mal... Wildherz hat keine solchen Augen!
Das war wohl das Erste, was man an der Schildpattfarbenen bemerkte - ihre schwarze Gesichtshälfte mit dem tiefblauen Auge und die Rote, in deren Mitte ein Smaragd zu funkeln schien.

»Was ist mit ihr los?«, keuchte Schattenschwinge, seine Ohren angelegt. »Das sind nicht ihre Augen! Das ist nicht sie!«
Panisch stolperte Funkenpfote von Wildherz weg, rutschte mit brummendem Schädel in einer Blutlache aus. Feigling!, zischte eine Stimme in ihrem Kopf.

Sie nahm all ihren Mut zusammen und sprang wieder vor, direkt in die Klauen des Monsters, aus dem Wildherz geworden war. Sie spürte Fell reißen, unerträglicher Schmerz zuckte durch ihren Rücken. Dann ließ das schildpattfarbene Ungetüm von ihr ab.

Überrascht und verwirrt beobachtete sie, wie Wildherz zurückstolperte, den Kopf hin und her schwenkte, fauchte, als hätte sie große Schmerzen.
»Ihr werdet alle sterben!«, heulte eine Stimme aus ihrem Maul, die nicht ihre eigene war. Als hätte ein fremdes Wesen von ihr Besitz ergriffen.

»Du Schlange«, zischte die Stimme der Schildpattfarbenen selbst. »Du hast mich benutzt! Verreck doch do-«
Das Fauchen brach ab, und erneut drang das tiefe Grollen aus Wildherz' Kehle.

»Du hast keine Chance, Kätzchen. Gib einfach auf und lass die wahren Krieger die Schlacht gewinnen.« Das Knurren klang höhnisch und eindeutig männlich. Doch für einen Moment meinte Funkenpfote, in einem der eisblauen Augen einen Hauch Grün aufblitzen zu sehen.

Sie sah die verkrampften Muskeln unter dem Pelz der Schildpattfarbenen, konnte in ihren Augen einen Strudel aus Grün, Tiefblau und der Farbe des splitternden Eises erkennen und sah den Kraftaufwand, als Wildherz mit etwas kämpfte, das größer war als sie. Ihr Fell färbte sich stellenweise silberweiß, dann wieder orange-schwarz, ihre Beine wurden schmaler, um dann wieder vor Muskeln zu strotzen.

Es war, als würden vor ihr zwei Katzen um einen Körper kämpfen. Alles wirkte so surreal, dass Funkenpfote sich fragte, ob das alles einfach nur ein verrückter Traum war. Vielleicht träumte sie das alles nur und würde gleich aufwachen, gleich Falkenfrost und Feder neben sich spüren und als kleiner Fellball mit flauschigem Pelz die Welt erkunden.

Doch das war real und machte ihr unfassbare Angst. Angst, die sich mit grausigen Klauen in ihr Herz bohrte.
Wildherz konnte für einen Moment sprechen, ihre etwas raue Stimme klang, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen.
»Töte ihn«, hauchte sie. »Jetzt, bevor es zu spät-«
Dann brach sie wieder ab und ihr Körper wurde größer, geradezu riesig, mit kräftigen Muskeln. Ihr Fell wurde silbergrau, dann teils weiß.

Keuchend stand ein gewaltiger, silberweiß gefleckter Kater vor ihnen, mit Augen wie zersplittertes Eis.
»Stärker als ich dachte«, murmelte er vor sich hin. »Aber sie hat keine Chance.«
Er hob seine Stimme, nicht zu einem Jaulen, jedoch so laut und durchdringend, dass Funkenpfote der Kopf dröhnte. Der majestätische Krieger stand erhobenen Hauptes vor den Katzen, seine Augen funkelten kalt. Kalt, das war das erste Wort, das ihr zu diesem Kater einfiel. Eis das zweite und Blut das dritte, obwohl er silberweißes Fell hatte.

»Kämpft!«, heulte er, so laut, dass seine Schreie bis zu den fallenden Sternenkriegern hallten.
»Kämpft, bis auch der letzte Stern fällt! Kämpft, bis es keine Clans mehr gibt. Kämpft, bis niemand mehr versucht, das Eis zu brechen!«

Das war der Moment, in dem sich ihre Pfoten selbstständig machten. Alles in ihr schrie »lauf!«, doch stattdessen sprang sie auf den Silberweißen zu. Panik pochte in ihrer Brust, Blut donnerte in ihren Ohren, doch sie konnte sich nicht umdrehen. Ihre Krallen gruben sich in Fell, Haut, Fleisch, Knochen, doch der Krieger zuckte nur kurz zusammen, wirbelte dann herum und verpasste Funkenpfote einen heftigen Schlag gegen die Brust, dass ihr die Luft wegblieb und sie rückwärts taumelte. Verdammt! Sie war immer schon eine miserable Kämpferin gewesen.

Die Panik schnürte ihr die Kehle zu. Ihre Lungen brannten, als sie ins blutige Gras fiel und hilflos mit den Pfoten strampelte. Über ihr ragte der Schatten des Kriegers auf, und sie trat mit aller Kraft ihrer unkontrollierbaren Hinterpfoten nach dem Pelz des Katers. Sie presste die Augen zu, darauf gefasst, dass sich jeden Moment ihr Blick ein für alle Mal verdunkeln würde.

Doch stattdessen verschwand der düstere Schatten von ihrem Rücken. Einen Moment lang war sie so perplex, dass sie mit erhobenen Pfoten rücklings auf dem blutigen Boden liegen blieb, bis wieder das Leben in ihre Beine zurückkehrte und ihre Pfoten ihr wieder gehorchten.
Die junge, vernarbte braune Kriegerin, die vor ein paar Herzschlägen noch an Eissterns Pelz gerissen hatte, war trotz ihrer tiefen Wunden aufgestanden und hatte sich auf den Silberweißen gestürzt. Ihre Klauen gruben sich tief in seinen Pelz, grellrotes Blut befleckte ihr Fell.

»Meinen Vater habt ihr geholt, meine Schwester und nun auch noch meinen Bruder. Meine Mutter habt ihr mir genommen und mein Augenlicht. Aber ich werde nicht zulassen, dass du die Clans vernichtest, Eisklang! Gib auf oder ich zerfetze dir deinen elenden Pelz, bis zu um Gnade winselst!«
Ihre Stimme bebte vor Wut, blaugrünes Feuer sprühte aus ihrem einen verbliebenem Auge und ohne jegliche Angst fetzte sie dem Kater über das Gesicht.
Woher will sie seinen Namen kennen?
Funkenpfote meinte, diesen Namen irgendwann von Blendfeuer gehört zu haben, doch sie hatte keine Ahnung, wie und wann.

Blut hätte hervorquellen müssen, hätte die Klauen der Vernarbten verkleben müssen und die Augen Eisklangs hätten wie blutige, leere Höhlen ausgesehen.
Doch so war es nicht und erneut kam Funkenpfote alles vor wie in einem Traum.
Die Kriegerin krallte sich im Auge des Silberweißen fest und es war, als würde die eisblaue Farbe heraussickern, in einem Strudel aus Grün und Tiefblau untergehen. Eisklang regte sich kaum, wo er vorher doch ein derart kräftiger Krieger gewesen war. Wo die Klauen der SturmClan-Kriegerin sein Fell zerfetzten, so erschien Schildpatt darunter, und nachdem die Kätzin ihre Zähne tief im Genick des Katers vergraben hatte, flaute die lodernde Wut in ihren Augen ab.

»W-was zum Wald der Finsternis...«, hauchte Schattenschwinge, der sich ängstlich weggeduckt hatte.
Der Körper des Katers schrumpfte in sich zusammen, die Beine wurden dürr und sehnig und das Gesicht teilte sich in zwei Hälften - Feuer und Schatten.

Keuchend und mit trübem Blick, in dem dennoch Hoffnung loderte, lag Wildherz vor ihnen.
»Danke«, hechelte sie - mehr bekam die junge SturmClan-Kriegerin nicht heraus.
Die braune Kriegerin nickte, wurde sogleich jedoch umgerissen von einer massigen Katze, die beinahe so viele Narben hatte wie die Braune.

Erneut blickte sie sich gehetzt um, ihre türkisen Augen huschten über das Grauen, das sich ihr bot. Die ganze Welt schien nur noch aus Blut zu bestehen, mindestens die Hälfte der Katzen lag regungslos am Boden. Ein seltsames Gefühl stieg in ihr auf, eine Mischung aus Furcht, Verzweiflung und Trauer, als sie die leeren Augen von Donnerbruch und Frostblatt sah.

Ein tiefes Grollen riss sie aus ihrer Trance.
»Ihr habt da etwas vergessen, scheint mir.«
Wie auf ein unsichtbares Kommando fuhren alle drei Katzen herum.

»Ich bin eine Anführerin. Ein Leben habe ich noch. Und mein letztes Leben wird euer Tod sein.«

Warrior Cats - Sternenpfade || Band I-IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt