26. Kapitel

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S C H A T T E N P F O T E

Blutgestank füllte seine Nase, fauchende, verzweifelte Katzenschreie dröhnten an seine Ohren.
»Das war meine Ratte, du Dachsherz!«
»Schweig! Ich hab' sie gefangen!«

Schattenpfote hörte kaum noch zu, so normal waren diese Schreie in den letzten zwei Monden für ihn geworden. Jeden Tag hörte er es und jeden Tag störte es ihn weniger.

»Ihr Hasenhirne! Hört auf, alle beide. Ihr benehmt euch wie Junge. Kommt lieber mit und schließt euch unserer Patrouille an!«, meinte Hagelsturm, ein junger, etwas angeberischer Krieger.

»Was für 'ne Patrouille?«, murrte ein schwarz-weißer Kater mit markanter Zeichnung im Gesicht.

»Du weißt es gar nicht, Dachsklaue?«
Die Stimme des jungen grauen Katers klang überrascht.
»Froststern will eine Patrouille zum NebelClan schicken und Federstern erklären, was mit dem hier«, er machte eine abfällige Schwanzbewegung in Schattenpfotes Richtung, »passiert, wenn dieser alte Kater ihm nicht bis zum Ende der Blattleere irgendein Clan-Territorium zur Verfügung stellt.«

»Hm. Nee. Hab nich' so viel Spaß, grundlos Katzen abzumurksen.«

»Och komm! Wir töten sie ja nicht.«

»Nerv nich', Kleiner.«

Leise über alte Katzen fluchend stolzierte Hagelsturm davon.

Schattenpfote fauchte alarmiert bei den Worten der EisClan-Katzen. Sie wollten in seinen Clan eindringen und damit drohen, ihn zu töten, wenn Federstern kein Territorium räumte?

Kopfschüttelnd lief er in seinem Gefängnis hin und her, immer weiter.
Nur unterbewusst bemerkte er die Katzen, die das Lager, oder wie auch immer man diese Gasse nennen konnte, verließen.
Immer wieder drehte er erst kurz vor der Wand ab, da zerriss ein Schrei die Stille. Es war eine Kätzin, die geschrien hatte, und das animalische Geräusch zeugte von unerträglichen Schmerzen.

Ein breiter Kopf schob sich durch den Spalt am Eingang.
»Du bist doch Heiler, oder? Komm und mach dich nützlich!«

Der mürrische schwarz-weiße Kater schlüpfte hinein und stieß Schattenpfote grob in die Gasse.
Was beim SternenClan ist los?

Als der ältere Krieger anhielt, lag vor ihnen auf dem kalten, dunklen Boden eine keuchende Kätzin, die alle paar Herzschläge schrille Schreie ausstieß und deren Flanken im flachen Takt ihrer Atemzüge bebten. Ihr Bauch schien aufgequollen zu sein und das schwarzgelbe Fell spannte sich nur über ihre Knochen.
Wie verzweifelt muss er sein, dass er mich zur Hilfe ruft? Mich, den Feind?

»Was hat sie?«
Schattenpfote war heillos verwirrt und drohte, in Panik zu geraten.

»Sie bekommt Junge, du Mäusehirn!«, fauchte der dachsartig gefleckte Kater grob.

Der NebelClan-Schüler sah zweifelnd zu. Sie sah alt aus, um Junge zu bekommen. Fast schon zu alt. Doch dafür war jetzt keine Zeit, die Jungen waren eben kurz davor, hinauszukommen.

»Tu doch was!«, herrschte der Krieger ihn an. Er schien die Qualen der Kätzin kaum ertragen zu können.
»Wozu bist du Heiler, wenn du nichts kannst?!«

Weil ihr mich einen halben Mond nach meiner Ernennung gefangen genommen habt!
Doch er wagte nicht, es auszusprechen.
Er war zu feige.
»Ich... Ich war nicht lange Heiler«, maunzte er nur kleinlaut.
Sollte er überhaupt seinen Feinden helfen? Was würde Sonnenglanz dazu sagen? Efeubrand?
Diese Jungen können nichts dafür!

Krampfhaft kramte er in seinem Gedächtnis nach irgendetwas, was Honigwolke ihm darüber erzählt hatte, doch er fand nur eines.
»Kann jemand einen Stock holen?«, bat er.

Ohne zu zögern wirbelte der Krieger herum und verließ die Gasse mit fliegenden Pfoten.
So gern wäre Schattenpfote ihm gefolgt, doch zu viele Katzen standen zwischen ihm und der Freiheit.
Bald, tröstete er sich, bevor der Graue sich wieder auf die Kätzin konzentrierte.

Eine heftige Wehe schüttelte ihren Körper und da erblickte er einen winzigen, schleimigen Katzenschweif.
Wurden Junge nicht mit dem Kopf zuerst geboren?
Ähm... schlecht. Sehr schlecht.

Etwas planlos versuchte er, dem Kätzchen mit Pfoten und Schnauze nach draußen zu helfen und da glitt es als zappelndes, in einer Fruchtblase steckendes Bündel auf den kalten Stein, der nur grob mit verfilzten Rattenpelzen ausgelegt war.
Grauenvoll, in welchen Zuständen die Jungen auf die Welt kamen, fand Schattenpfote.

Da er selbst absolut keine Ahnung hatte, was zu tun war, schob er das Junge zu seiner - immer noch schmerzverzerrten - Mutter, was scheinbar nicht ganz falsch sein konnte, denn sofort begann sie, es mit hektischen Zungenstrichen gegen den Strich von der Fruchtblase zu befreien und - das hatte Honigwolke einmal erzählt - die Atmung anzuregen.

Dachsklaue, der hektische schwarz-weiße Krieger, von dem Schattenpfote vermutete, dass er der Vater der Jungen war, kehrte mit weiten Sprüngen und einem festen Stock aus Buchenholz in die Gasse zurück.

Dankbar nickte der NebelClan-Schüler ihm zu und positionierte den Ast vor der Schnauze der Schwarz-Gelben.
»Wenn noch eine Wehe kommt- beiß drauf«, wies er sie unsicher an.
Nun fiel ihm ein, dass er die Kätzin bereits einmal gesehen hatte. Bei Hagelsturms Kampf um die Kriegerzeremonie hatte sie sich vor die Schüler gestellt und versucht, sie zu beschützen. Froststern hatte die Sturmnacht genannt.
Doch sie war gescheitert.

Erschrocken bemerkte er, wie viele Augen auf ihn gerichtet waren. Vermutlich alle EisClan-Katzen, die nicht mit Froststern zum NebelClan gekommen waren, beobachteten ihn und ihre Blicke brannten sich wie Feuer in seinen Pelz. Das hier zeigte ihm einmal mehr, dass er es nicht mit Clankatzen zu tun hatte.

Das scheußliche Knirschen von brechendem Holz ließ ihn aufhorchen und er drehte sich wieder Sturmnacht zu. Keinen Augenblick zu früh, denn nun fiel ein zweites Junges auf den kaum gepolsterten Boden, diesmal etwas kleiner. Schattenpfote hatte genau so viel Ahnung wie vorher und so schob er auch dieses Junge zur Schnauze der schwarz-gelb gefleckten Kätzin, deren Schecken an pulvrige Wolken erinnerten, wie aus Schwefel. Als hätte jemand eine Staubwolke in der Nacht in Flammen gesteckt.

»Das war's«, keuchte Sturmnacht und sofort schubste ein halbes Dutzend EisClan-Krieger ihn in sein Gefängnis zurück. Ohne einen Dank.
Aber was hätte er auch erwarten sollen? Er war nur ein Feind und dass er ein unerfahrener Heilerschüler war, empfanden sie vermutlich als positiven Nebeneffekt.
Wieder begann er, Kreise zu laufen. Unzählig viele Kreise, bis sich seine Pfoten einen Pfad in den Stein gegraben hatten, ohne Worte und irgendwie auch ohne Gefühle. Nichts spürte er in sich außer Leere.

Nur gedämpft hörte er Froststerns Patrouille zurückkehren, doch die triumphierende Stimme des Anführers, als er jaulte: »Federstern hat zugestimmt! Bis zur Blattfrische haben wir ein Territorium!«, veränderte etwas in ihm. Etwas wie Kampfgeist, doch noch zu entkommen, spürte er erwachen.

Und wieder erkannte er in den Reihen seiner Feinde die leuchtenden, sternenhaften Augen von Taupfote.

Warrior Cats - Sternenpfade || Band I-IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt