52. Kapitel

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»M-mondfeuer?«, stotterte er und hätte sich gleich darauf am liebsten selbst die Krallen übergezogen. SternenClan, er klang wie ein verängstigtes Junges.
»Aber... weißt du es denn nicht? Mondfeuer hat von Frostste-«

Federstern unterbrach ihn sanft.
»Ich weiß, was sie einst tun wollte. Doch sie hat ihrem finsteren Pfad vor den Pfoten des SternenClans abgeschworen. Vertrau mir, und wenn du das Gefühl hast, sie... Du weißt schon... dann erkläre es Blütenfrost. Ich kenne keine Katze, die so vertrauenswürdig ist wie sie.«
Noch immer zögerte Schattenschwinge. Aber warum sollte Federstern ihn auf eine Reise schicken mit Katzen, denen er nicht vertraute? Nein, sein Anführer war nicht so verantwortungslos, er wusste von der Prophezeiung. Wenn Schattenschwinge starb, konnte das das Ende seines - oder aller - Clans bedeuten.

»In Ordnung. Ich werde sie gemeinsam mit Mondfeuer und Blütenfrost suchen. Aber wo? Wo sollen wir Taupfote finden? Was, wenn wir sowieso zu spät sind? Wenn sie...«
Seine Stimme brach, er wollte den Satz gar nicht beenden. Wollte sich nicht ausmalen, dass Taupfote wegen seines dummen Verhaltens sterben konnte. Zu viel Blut unschuldiger Krieger klebte schon an seinen Pfoten seit dem Kampf vor einigen Monden, bei dem Froststern ums Leben gekommen war.
Und er selbst irgendwie auch.
Ziemlich absurder Gedanke, fand Schattenschwinge, doch ihm war nicht zum Schnurren zumute beim Gedanken daran, dass er, der friedliche Heiler, der nicht einmal einer Fliege etwas zuleide tun konnte, für einen brutalen Krieg verantwortlich sein würde, falls dieser ausbrach.

»Du kannst es versuchen. Allerdings kann ich auch einfach ein paar Krieger losschicken, die Taupfote suchen. Das wäre mir ehrlich gesagt lieber, als dich hinaus zu schicken, wo Eisschatten womöglich immer noch nach dir sucht.«
Federstern legte ihm schützend, wie ein Vater seinem Sohn, den Schweif über den Rücken.
»Ich schätze deinen Mut, Schattenschwinge, aber es wird verdammt gefährlich werden. Willst du das wirklich tun?«

»Ja, Federstern. Ich habe Taupfote in diese Situation gebracht, jetzt hole ich sie auch wieder raus.«

Der Grünäugige seufzte. »Ich kann dich zu nichts zwingen... aber dir noch ein paar Katzen mitschicken. Kannst du Reisekräuter für fünf Katzen holen? Dann triff dich mit den Anderen hier, wenn du fertig bist.«
Schattenschwinge nickte, ein dicker Kloß schnürte ihm die Kehle zu. Er hatte Angst, aber er wollte es nicht wahrhaben. Angst um Taupfote. Und Angst um sich selbst.
Doch der Heiler setzte einen Pfotenschritt vor den anderen und tat, was Federstern ihm gesagt hatte.

***

Was er nicht gedacht hatte, war, dass er nun, umzingelt von EisClan-Katzen und mit der Schnauze im strömenden Regen um sein Leben fürchten musste. Schmutziges Wasser rann seine Kehle herunter, als er zu sprechen versuchte, doch Eisschattens Krallen gruben sich unerbittlich in sein Genick. Panik schoss durch seine Glieder, die Todesangst fuhr ihm ins Herz. Schattenschwinge zappelte schwach mit verkrampften Gliedern, doch die Grau-Weiße krallte sich nur noch tiefer in sein Fleisch.

»Endlich«, grollte Eisschatten - oder hieß sie schon Eisstern? - mit Triumph in der Stimme. Blutgeruch füllte seine Nase, sein eigenes Blut, das in den Regen rann und in einem Strudel aus Rot und Braun zu einem Fluss am Rand des Donnerweges floss.
Gerade war sie dabei, ihm die Zähne in die Kehle zu schlagen, zum letzten Todesbiss anzusetzen, da zerschnitt eine Stimme die Luft.
Eine silberweiße Kätzin trat vor, die einzige NebelClan-Katze, die nicht von mehreren EisClan-Kriegern an den Boden genagelt wurde.

Mondfeuer.
SternenClan, steh mir bei! Was tut sie da?
»Bist du jetzt vollkommen mäusehirnig?«, fauchte die Silberne arrogant.
»Wenn du den tötest, werden alle Clans dich hassen. Abgrundtief. Der kann nichts außer reden. Wenn du ihn tötest, machst du den Fehler des SternenClans wieder gut. Willst du das wirklich?« Ihre blauen Augen blitzten herausfordernd.

»Willst du jetzt auch noch zu den Clans überlaufen, Mondfeuer? Verrätst du uns?«

Die Kriegerin schnippte abfällig mit dem Schweif.
»Natürlich nicht! Du zerstörst dich nur selbst, wenn du ihn umbringst. Du willst nicht, dass die Prophezeiung sich erfüllt? Töte die Schildpattfarbene, die interessiert niemanden. Und es ist einfacher... wenn du weißt, was ich meine. Natürlich kannst du den Clan auch fast hundert wütender Krieger aussetzen, aber... willst du das?«
Was macht sie da?, fragte er sich noch immer, doch dann erkannte er Mondfeuers Schwanzschnippen, das eines der Ziechen war, die jede Clankatze beherrschte. Es bedeutete etwas wie »Flieh«.
Noch konnte er schlecht fliehen, doch Schattenschwinge begriff, dass Mondfeuer versuchte, Eisschatten abzulenken. Oder wollte sie die EisClan-Kätzin nur auf »die Schildpattfarbene« hetzen, wer auch immer das sein mochte? Da sie von der Prophezeiung gesprochen hatten, musste es eine Auserwählte sein!
Aber jetzt gerade half ihm das verdammt wenig.

»Es ist mir egal, mit wem ich kämpfen muss. Hetze tausend wütende Krieger auf mich und ich werde jeden einzelnen davon niedermetzeln, einfach nur, um mich zu rächen! Niemand lässt Eis brechen, verstanden?
Du willst Frieden? Zu spät. Alles, was du noch tun kannst, ist eine Seite zu wählen. Und damit meine ich: Unsere oder den Tod!«
Eisschatten fauchte es Mondfeuer so heftig ins Gesicht, dass die Silberne erschrocken zurückzuckte.

Doch Mondfeuer schwieg nicht. Plötzlich schien all die Arroganz, all das Selbstbewusstsein wie weggeblasen. Was übrig blieb, war eine junge, verzweifelte Katze, die resigniert den Kopf senkte.
»Ich habe mich bereits entschieden«, sagte sie.

»Für den Frieden.«

Kurz war Eisschatten so perplex, dass Schattenschwinge sich mit bebendem Herzen unter ihr hervorwinden und sich vom Donnerweg weg und in Richtung Wald katapultieren konnte. Auch Blütenfrost, die vollkommen überrumpelt gewirkt hatte, sowie Flammennebel und Nachtfeuer, die Federstern mitgeschickt hatte, befreiten sich und stürmten von den zahlreicheren EisClan-Katzen weg.
Doch die Feinde stürzten sich erneut auf den NebelClan und nach wenigen Herzschlägen entbrannte ein blutiger Kampf, Krallen blitzten durch den strömenden Regen hindurch.

Wie gelähmt stand er da, konnte nichts tun als mit anzusehen, wie die Krieger mit Zähnen und Klauen aufeinander losgingen. Nein!, wollte er schreien, doch kein Wort konnte seiner Kehle entweichen. Was hatte Mondfeuer vorgehabt?
Die beiden Kätzinnen wälzten sich im Schlamm, Silber und Weiß wurden befleckt von Rot und Grau. Eisschattens Krallen waren so scharf, dass sie problemlos Fell, Haut, Fleisch wegfetzten. Grausiges Kreischen dröhnte in seinen Ohren.
Die Kämpferinnen waren ineinander verkeilt und rollten auf den schwarzen Stein des Donnerweges.

Dröhnendes Kreischen hallte in seinem Kopf nach, leuchtende Augen warfen Lichtscheine durch den Regen. Die Lichtkegel wurden größer, immer größer. Es war ein Monster, dass da auf Mondfeuer und Eisschatten zuraste.
»Achtung!«, kreischte er, doch zu spät. Das Monster traf mit seiner gewaltigen Pfote auf das Katzenknäuel, schleuderte die Kriegerinnen durch die Luft.

Dann sah er nur noch das blutüberströmte Bündel im Regen liegen.

Warrior Cats - Sternenpfade || Band I-IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt