34. Kapitel

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B L I T Z P F O T E

Das schlechte Gewissen rumorte in ihrer Magengrube, als sie mit weiten Sprüngen in Richtung Wald preschte. Wildpfote durfte nicht mit, wie unfair war das denn? Liebend gern hätte Blitzpfote mit ihrer kämpferischen Schwester getauscht.
Doch so war es nunmal und jetzt musste sich die Schülerin darauf konzentrieren, für ihren Clan zu kämpfen, gegen wen auch immer. Angst pochte in ihren Gliedern, noch immer waren ihre Pfoten vom Schreck schweißbedeckt.

»Wir nähern uns dem FlammenClan«, meldete Wolkennacht, zügelte sein Tempo jedoch nicht und schon ragten vor ihnen die ersten Bäume auf, deren Kronen sich bedrohlich über die SturmClan-Katzen senkten. Sie fühlte sich gefangen in diesem Wald, an dem kaum Tageslicht die Kronen durchdrang.

»Ich hab ihre Spur!«, rief Seeschatten, der schon immer eine sehr gute Nase gehabt hatte. Der graue Kater folgte einer Spur aus Verwüstung, zertrampeltem Moos und geknicktem Farn. Schauder jagten Blitzpfote über den Rücken, am liebsten wäre sie auf der Pfote umgedreht und zurück in die Heide des SturmClan-Territoriums geprescht. Nein!, schalt sie sich. Du musst jetzt tapfer sein! Für den Clan.

Leises Geschrei hallte geisterhaft durch den Wald, Kampfgeschrei. Immer höher stieg die Panik in ihr auf wie Hochwasser, drohte, in einem gewaltigen Schrei aus ihr herauszubrechen. Zitternd tippten ihre Pfoten auf den Waldboden, traten in die Spuren ihrer Clan-Gefährten.

Seeschatten, der vorausgelaufen war, schrie überrascht auf.
»Da sind kämpfende Katzen!«

Wolkennacht übernahm ohne zu zögern die Führung.
»Wir befinden uns in der Nähe des FlammenClan-Lagers. Scheinbar hat der EisClan sie angegriffen. Windstern, du führst Seeschatten, Blitzpfote und Löwenmut nach rechts und greifst von dort an. Der Rest kommt mit mir.«

Windstern nickte nur, sie schien ziemlich planlos. Einige ihrer Clan-Gefährten wirkten überrascht, dass die Anführerin ihre Autorität so einfach untergraben ließ, doch niemand sagte etwas. Wildpfote würde etwas sagen.
Beim Gedanken an ihre eigensinnige Schwester entwich ihrer Kehle ein leises, absolut unangebrachtes Schnurren, bevor die Panik sie erneut überrollte.

Sie lief einfach Windstern hinterher nach rechts, sah Seeschatten und goldenes Fell aufblitzen.
»Ich... denke, wir können hier angreifen?«, brachte die Graubraune heraus, doch sie wirkte unentschlossen. Verloren. Blitzpfote musste sich eingestehen, dass Windstern sich nicht wie eine Anführerin verhielt.
Doch das war jetzt unwichtig. Löwenmut nickte der Anführerin zu und Seite an Seite preschten die vier Katzen vor, fast gleichzeitig mit Wolkennacht und seinen Katzen von der anderen Seite.

  Blitzpfote sah überall Krallen im frühen Morgenlicht aufblitzen, wurde von einem der ersten hellen Sonnenstrahlen, die durch die knorrigen Äste auf den Boden drang, geblendet und hörte gequältes Heulen überall um sich herum. Orientierungslos stellte sie fest, dass sie sich von großen Versammlungen viel zu wenige Gesichter gemerkt und nun keine Ahnung hatte, wer Freund und wer Feind war. Immerhin fand sie bald heraus, dass am Pelz der EisClan-Krieger Blut- und Zweibeinergestank haftete.

Sie sprang zum nächstbesten Kampf, einem großen dunkelgrauen Kater, der eine dürre hellbraune Kätzin zu Boden presste und ihr die ausgefahrenen Krallen ins Fleisch bohrte. Weil beide nach Blut stanken, hatte Blitzpfote nicht den Hauch einer Ahnung, wen sie verteidigen sollte. Als jedoch drei EisClan-Katzen auf einmal sich auf die Dürre stürzten, stand für Blitzpfote fest, wem sie helfen musste. Aber wie schrecklich brutal die Krieger kämpften! Schon beim Gedanken daran, zwischen ihre Krallen zu geraten, sträubte sich ihr jedes Haar im Pelz.

Sie wollte schon um Hilfe rufen, da sprang ein riesiger Kater mit Pelz in der Farbe eines Morgenhimmels und vernarbter Schnauze an ihre Seite. Löwenmut! SternenClan sei Dank!

Gemeinsam mit dem alten Krieger stürzte sie sich in den Kampf, wich flink den Schlägen ihrer Gegner aus, doch ihre eigenen Angriffe schien für ihre Genger nicht schmerzhafter zu sein als Mückenstiche. Immer schwächer fühlte sie sich, immer häufiger trafen die dornenscharfen Krallen ihrer Feinde, rissen an ihrer Haut, ihrem Fleisch. Löwenmut blockte so viele Schläge wie möglich ab, knurrte entschlossen und verfluchte vermutlich innerlich Wolkennacht, weil er eine Schülerin mitgenommen hatte.

Die schwarz-rote Kätzin fühlte sich furchtbar nutzlos, wie sie dem goldenen Krieger dabei zusah, wie er ihre gemeinsamen Feinde bekämpfte. Wie furchtbar fehl am Platz sie hier war! Sie war keine Kämpferin! Wildpfote sollte hier auf dem Schlachtfeld stehen und sie selbst stattdessen Kaninchen durch die Heide jagen.

Wieder musste sie sich mit aller Macht konzentrieren, um nicht vor diesem Horror aus Krallen und Blut zu fliehen. Wie konnte es nur Katzen geben, denen so etwas gefiel?
Aus dem Augenwinkel sah sie Löwenmut in einem Wirbel aus Gold und Rot zu Boden gehen, drei muskelbepackte Krieger nagelten ihn an den Waldboden. Sie stieß einen schrillen Hilfeschrei aus und zog dem dunkelgrauen Kater die Krallen übers Ohr. Der junge, hochbeinige Krieger hob mit blitzenden Augen den Kopf und sprang auf, zog seine blutigen Fangzähne aus Löwenmuts Fleisch und bohrte sie stattdessen in Blitzpfotes Schweif, hinderte sie so daran, ihren einzigen Vorteil - ihre Geschwindigkeit - zu nutzen.

Der Graue krallte seine Schnauze niedergehen, doch er biss nur noch fester zu, bis ein grauenvolles Knirschen ertönte und ein flammender Schmerz ihren Schweif durchzuckte. Der Krieger stieß sie nun mühelos auf den vom Blut edler Krieger rutschigen Boden, nagelte sie fest und fetzte ihr Fell brutal weg, kratzte ihre Haut auf. Blitzpfotes qualvolles Kreischen zerschnitt die Luft.

Denk nach! Was sollte sie nur tun? Hoffnungsvoll machte sie sich schlaff, sackte zusammen wie ein totes Beutetier und hielt die Luft an. In den Clans wurde jede Katze gelehrt, dass dieses Manöver meist nur ein Trick war, doch der Graue war keine richtige Clankatze. Er mochte brutal sein und stark, doch sehr klug schien er nicht zu sein, denn er lockerte scheinbar überrascht seinen Griff.

Flink wie eine Schlange wand sich die SturmClan-Schülerin aus dem Griff des Kriegers, scharrte einen verzweifelten Moment lang mit den Pfoten im Blutbad, biss tapfer die Zähem zusammen und rannte los. Alle Bemühungen, sich zusammenzureißen, schienen wie von einem Wind weggeweht worden zu sein, und nur ein Wort pochte immer und immer wieder in ihrem Kopf.
Überleben.
Wie der Wind selbst spurtete sie um die Bäume herum, ohne Orientierung, egal wohin, einfach nur weg. Sie sprintete immer weiter, bis die Lamdschaft um sie herum zu einem seltsamen Schleier verschwamm und ihr panischer, wilder Lauf wurde erst gebremst, als sie mit gewaltiger Wucht gegen etwas weiches prallte, dass sie Sterne sah.
Immer noch panisch richtete sie sich auf, schüttelte den Kopf, um wieder klar zu sehen, drehte den aufgerissenen, smaragdgrünen Blick nach oben-
Und starrte geradewegs in zwei durchdringend funkelnde Augen. Die Stimme, die folgte, klang nicht wütend oder ängstlich, sondern erleichtert.
»Endlich«, schnurrte die Katze. »Wir sind angekommen.«

Warrior Cats - Sternenpfade || Band I-IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt