50. Kapitel

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»Ihr müsst Nachtwache halten.«
Löwenmuts sanftes Miauen riss sie aus ihrer Trance, Wildherz schüttelte kurz den Kopf, dann nickte sie. Die letzten flammenden Sonnenstrahlen verblassten am Horizont, der Mond erschien als schmale Klaue am Himmel. Das schwebende Glücksgefühl in ihrem Körper schwand und ließ sie wieder in die harte Realität zurückfallen. Blitzsprung tappte bereits zum Lagereingang, ringelte den Schweif ordentlich um die Pfoten und richtete den Blick stoisch auf die Heide.

Irgendetwas ließ sie noch einmal umdrehen, sie blickte Löwenmut tief in die goldenen Augen und wisperte ein »Danke«. Obgleich es nur ein Wort war, bedeutete es mehr, als tausend andere Worte hätten sagen können.

Der goldene Krieger ließ ein tiefes Schnurren ertönen und erhob die Stimme.
»Ich weiß, ich habe schon zahllose Schüler ausgebildet. Aber du musst wissen, dass ich noch nie so stolz war, dass eine Schülerin von mir ihren Kriegernamen erhält.«

»Aber...«
Sie war verwirrt. »Ich war doch keine überragende Schülerin. Ich wäre fast durchgefallen!«

»Und genau deshalb könnte ich nicht stolzer auf dich sein. Weil ich weiß, wie schwer es dir gefallen ist. Weil ich gesehen habe, wie sehr du dich verändert hast. Windstern beispielsweise habe ich ausgebildet, da war ich noch ein recht junger Krieger. Sie konnte jagen und kämpfen fast vom ersten Tag an, aber hat bis heute nicht gelernt, sich selbst zu vertrauen. Weißt du, du erinnerst mich manchmal an mich selbst, als ich ein frisch ernannter Krieger war. Aber kannst du dir vorstellen, an wen ich während unseres Trainings immer wieder denken musste?«
Sie schüttelte nur ratlos den Kopf.
»Falkenfeder«, schnurrte er amüsiert.

»Was?«, keuchte sie entsetzt. »Was habe ich denn mit diesem arroganten Fellball gemeinsam?«

»Oh, ihr seid euch ähnlicher, als ihr beide euch vorstellen könnt. Genauso hitzköpfig, genauso ungeduldig und beide hervorragende Kämpfer.«
Wildherz schnaubte.

»Pf. Das ist aber weit hergeholt.«
Gerade wollte sie sich umdrehen und zu Blitzsprung hinübertappen, da fielen ihr Windsterns Worte bei ihrer Schülerzeremonie ein. Sie hatte sie »Löwenmuts letzte Schülerin« genannt.
»Wirst du dich den Ältesten anschließen?«

Die Miene des alten Katers wurde ernst, Schatten huschten über seinen Blick.
»Das wollte ich... aber ich werde mich nicht zur Ruhe setzen, ehe ich den Clan in Sicherheit weiß.
Aber jetzt geh und halte schweigend Nachtwache, du willst doch nicht an deinem ersten Tag als Kriegerin schon Ärger bekommen, oder?«
Mit diesen Worten trottete der alte Kater in den Kriegerbau und ließ sie allein im fahlen Licht des aufgehenden Mondes in der Lagermitte stehen.
Seltsam, was Löwenmut da sagt...
Sie tappte hinüber zu Blitzsprung, die sich keine Krallenlänge bewegt hatte.

»Wir sind wirklich Krieger. Es fühlt sich so... unwirklich an«, miaute sie in die Nacht hinein, doch sie bekam keine Antwort von ihrer Schwester. Die nächtliche Kühle hatte sich über ihren Pelz gelegt, doch die Blattfrische wärmte die sanfte Brise, die über ihre Schnurrhaare strich.
Blitzsprung bedeutete ihr mit einer Schweifgeste, zu schweigen.
»Natürlich«, murmelte sie, Sarkasmus schwang in ihrer Stimme mit.
»Du brichst ja keine Regeln, hätte ich fast vergessen.«

Wieder nur Schweigen.
Da nichts sich im SturmClan-Territorium regte, nicht einmal ein Kaninchen hoppelte durch die Heide und das hohe Gras, verstrich die Zeit quälend langsam. Während Blitzsprungs Augen leuchteten, wie sie stumm dem Gesetz nachkam, kribbelten Wildherz' Pfoten schon bald ungeduldig. Unerträglich lange brauchte der Krallenmond, um auch nur eine Blattlänge über den wolkenverschleierten Himmel zu wandern.

Dann meinte sie, einen Schatten über die Heide huschen zu sehen. Doch als sie aufsprang, um zu sehen, wer oder was sich dort bewegt hatte, lag das Moor wieder still und verlassen da.
Seltsam. Etwas ließ ihr keine Ruhe. Sie würde nachsehen!
Zunächst versuchte Wildherz, ihrer noch immer unbewegt schweigenden Schwester mit Körpersprache klarzumachen, dass sie etwas nachsehen wollte, doch Blitzsprung blinzelte sie nur irritiert an.
»Ich hab was gesehen und will rausfinden, was es war«, zischte sie dann doch und trabte durch die Lücke im Heidewall, der das Lager umgab. Die silberne Sichel stand direkt über ihr am samtenen schwarzen Himmel und verlieh ihrem Pelz einen seltsamen Glanz.

Wieder eine Bewegung, schwach wie eine Maus, doch sie meinte, silbernes Fell aufblitzen zu sehen. Die Kriegerin schüttelte sich, um ihre mehr als unangenehmen Erfahrungen mit silbernen Katzen loszuwerden.
Vielleicht war es auch einfach ein seltsam gefärbtes Kaninchen.
Doch irgendwie glaubte sie das nicht, und als ihr schwacher Katzengeruch in die Nase stieg, kniff sie misstrauisch die Augen zusammen. Sie streckte all ihre Sinne zu allen Seiten aus und ihr fiel auf, dass die Geruchsspur der fremden Katze in eine, weitläufigen Bogen an ihr vorbei und in Richtung Lager führte.
Will die einen Angriff starten oder was?

Sie beschleunigte ihre Schritte, Frust pochte unter ihren wirbelnden Pfoten und da tauchte erneut silbernes Fell vor ihr auf, leuchtete kurz im Mondlicht, dann sah sie die Katze losrennen, pfeilschnell wie eine SturmClan-Katze. Ohne zu zögern nahm Wildherz die Verfolgung auf, jagte im Mondlicht dahin und nun stieg ihr der Gestank nach FlammenClan in die Nase.
Diese erbärmlichen Mäuseherzen! Was machen die in unserem Territorium?!

»Bleib stehen, du lächerlicher Feigling!«, heulte sie dem Fremdem entgegen, jagte noch schneller über den Boden. So schnell die Katze vor ihr sein mochte-
Sie war schneller. Doch Wildherz wusste, dass sie dieses Tempo nicht lange durchhalten konnte. Also streckte sie die Beine zu einem letzten Sprint und schaffte es, das Hinterbein des Fremden - einem Kater, wie sie nun erkannte - mit den dornenspitzen Zähnen zu packen.

Er überschlug sich und landete auf der Seite in der Heide, seine Flanken bebten und er jaulte kurz auf, als er versuchte, sein Bein zu bewegen.
»Wer bist du und was willst du hier? Sag nicht, du hast dich verlaufen, die Grenzmarkierungen übersieht keine Katze, die nicht vollständig nasenblind ist und Vogeldreck im Gehirn hat.«
Misstrauisch beäugte sie den Kater, da erkannte sie sein Gesicht, sie hatte es auf Versammlungen flüchtig gesehen.
»Echopfote«, stellte sie fest. Es fühlte fast seltsam an, ihn mit seinem Schülernamen anzusprechen, immerhin war er älter als sie selbst.

Der Graue rappelte sich auf, zuckte erneut vor Schmerz zusammen, als er das Hinterbein belastete, und schnurrte amüsiert, statt ihr respektvoll zuzunicken.
»Meinen Namen kennst du ja schon. Nun. Ich will mich euch anschließen. Und bevor du mich wegjagst, bringe mich in dein Lager. Ich habe Informationen, die eure Anführerin sicher interessieren...«

Warrior Cats - Sternenpfade || Band I-IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt