32. Kapitel

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W I L D P F O T E

»Ist das dieser Froststern?«, quiekte Blitzpfote erschrocken.
Wildpfote konnte nur steif nicken. Die schiere Masse an Katzen war beinahe erdrückend, es waren so viel mehr als die größten Clans des Waldes zusammen! Und, obwohl fast jede Katze so mager war, dass sich ihre Haut nur so über ein Gestell aus Knochen spannte, funkelten ihre Augen entschlossen, tödliche Klauen blitzten flammend im Licht des Halbmondes auf.

»Wir müssen es Windstern sagen!«, maunzte die gezackt getigerte Kätzin.

»Oder wir greifen sie an«, überlegte Wildpfote. Schon beim Gedanken an den Kampf kribbelten ihre Pfoten vor Aufregung.

»Spinnst du? Wir haben keine Chance gegen so viele, so starke Katzen! Jede einzelne will uns umbringen!«
Blitzpfote starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an.

»Ist ja gut«, murrte die Schildpattfarbene, »aber dann sollten wir uns beeilen!«

Die Schwestern sprangen gleichzeitig auf und jagten Seite an Seite über die Heide, fetzten mit ihren spitzen Krallen die Erde auf.
Als die kleine Lücke inmitten der riesigen Heidemauer, die sich vor ihnen auftürmte, in Sicht kam, keuchte Wildpfote schon. Sie mochte schnell sein, aber ein Sprint durch ihr halbes Territorium...

Blitzpfote schoss pfeilschnell an ihr vorbei und gedämpft hörte sie ihre Schwester im Lager rufen, bevor sie selbst durch den Eingang schlüpfte. Schon mehrere Krieger hatten sich mit peitschenden Schweifen in der Lagermitte versammelt.
Unwillkürlich sträubten sich ihre Nackenhaare, die Unbefangenheit war verschwunden.

Immerhin hatte sie nun eine echte Chance, sich zu beweisen. Wenn sie im Kampf wieder so austickte, könnte sie es mit einem Krieger aufnehmen. Und wenn ihre Clan-Gefährten dann immer noch an ihr zweifelten...
Dann konnte man ihnen nicht mehr weiterhelfen.

Windstern stand etwas planlos mit weit aufgerissenen Augen in der Lagermitte, während Wolkennacht auf den Hochstamm sprang. Unter dem Gewicht des herrischen, massiven Kriegers knarrte das Holz leise, wie protestierend, einen so schweren Krieger zu tragen.

Mit einer Sicherheit, einer Selbstverständlichkeit, die der eines Anführers glich, befahl er: »Alle Katzen, die alt genug sind, ihre eigene Beute zu fangen, fordere ich auf, sich hier unter dem Hochstamm zu einem Clan-Treffen zu versammeln!«

Die meisten Katzen waren so oder so schon versammelt, doch nun tappte auch der Rest aus den Bauen. Eine Himmelglut, die aussah, als wäre sie alles andere als einverstanden, dass Wolkennacht sie geweckt hatte, murrte ein »Was'n los?«.

Der schwarz-graue Stellvertreter berichtete - deutlich gefasster als Blitzpfote - von der Sichtung der Katzen, die vermutlich dem EisClan angehörten, dann knurrte er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete: »Wir werden mit einer großen Kampfpatrouille nach diesen Katzen suchen. Ich führe sie an und Seeschatten, Hasensturm, Falkenfeder, Blitzpfote, Windstern, Löwenmut und Flussecho kommen mit mir.«

Ungeduldig wartete Wildpfote darauf, ihren Namen fallen zu hören, doch Wolkennacht nickte nur wie zur Bestätigung.

»Moment mal- was ist mit mir?«
Empört peitschte sie mit dem Schweif und trat mit gesträubtem Pelz und staksigem Schritt einige Schritte vor.

»Du bleibst hier.« Unbeeindruckt sprang der Dunkle von Hochstamm.

»Aber-«

»Kein Aber! Du. Bleibst. Hier.«

»Und warum?«, fauchte sie.
»Ich muss einfach mit!«

»Wir haben keine Ahnung, ob du dich gegen deine eigenen Clan-Gefährten wendest, wie du es schon einmal getan hast! Das, Wildpfote, hast du dir selbst zuzuschreiben! Wenn du beweisen könntest, dass du dich unter Kontrolle hast-«

»Und wie soll ich mich beweisen, wenn ich nicht für den Clan kämpfen darf?«
Verzweifelt versuchte sie, die erneut aufkochende Wut zu unterdrücken.

Auf der Suche nach Unterstützung fuhr ihr Blick über den SturmClan. Blitzpfote wurde von dem scharfen Ausdruck in Falkenfeders Augen zurückgehalten, nur Löwenmut trat vor und legte ihr die Schnauze auf die Stirn. Er sagte nichts, stand nur da und doch überkam eine seltsame Ruhe die junge Kätzin.
»Pass auf deine Mutter auf, Wildpfote«, wisperte der goldene Krieger.
»Sie bekommt jeden Sonnenaufgang ihre Jungen.«

Wildpfote versuchte mit aller Macht, sich einzureden, dass ihr Mentor recht hatte, doch an ihrer Frustration änderte das nichts. Immerhin versuchte Löwenmut nicht, ihr etwas zu befehlen, was die Lage allerdings kein Bisschen besser machte.
Dennoch nickte sie mit gesenktem Kopf und tappte in ihr Nest. Sie spürte, wie kalte, schier steinharte Erde sie begrüßte und sich in ihrem Pelz verfing. Kaum hörbar, mehr wie ein fernes Echo, erklangen die Stimmen der aufbrechenden Patrouille.

Immer schwerer wurden ihre Lider, bis sie schließlich abdriftete, sich in einen Strudel aus Finsternis gleiten ließ und wusste, wo sie aufwachen würde:
Am einzigen Ort, an dem sie sie selbst sein konnte.

***

Wie kleine Irrlichter glühten die hellen Pilze im dunklen, modrigen Wald.
Stille. Als wären alle Vogelstimmen verstummt, obwohl hier nie der Gesang der fliegenden Kreaturen zu hören gewesen war.

Dann ein markerschütternder Schrei. Eine zischende Kralle, die so nahe an Wildpfotes Ohr vobeiraste, dass sie den Luftzug spüren konnte.
Sie duckte sich unter einem weiteren Schlag des Silberweißen weg, dann schoss ihre Pfote vor, die Krallen blitzten kurz auf, dann spürte sie, wie sie ein großes Fellbüschel aus Eis' Brustfell rupfte.
Der Krieger schnappte nach ihrem Vorderbein, bevor er ihr so heftig gegen das Ohr schlug, dass Wildpfote taumelte. Der Blauäugige nutzte seine Chance, stieß die Schülerin um und nagelte sie an den Boden.
Seine spitzen Krallen stachen durch ihr schildpattfarbenes Fell, als sie sich ganz schlaff machte, ihre Muskeln entspannte. Eis wusste natürlich, dass es nur ein Trick war, und schnürte ihr fast die Luft ab. Sie kratzte jeden Rest Kraft in ihr zusammen und stieß Eis die Hinterbeine mit voller Wucht in den Bauch, sodass er zurücktaumelte und Wildpfote flink wie eine Schlange auf die Pfoten kam.

Stolz glänzte in den hellblauen Augen ihres inoffiziellen Mentors.
»Nicht schlecht, Wildpfote«, lobte er.
Die Schülerin meinte, noch etwas anderes in Eis' Augen zu sehen, etwas, was sie nicht deuten konnte.
Vermutlich war er nur erschöpft oder etwas in der Art, sonst hätte er sie mühelos besiegt; schließlich trainierte sie erst seit ein paar Monden im Wald der Finsternis.
Ja, das musste es sein...

»Ich glaube, du bist jetzt bereit.«

»Bereit wofür?«, fragte die junge Kätzin neugierig.

»Heute kannst du gegen eine fremde Katze kämpfen, um die erlernten Techniken anzuwenden. Schau, da kommen sie schon!«

Wildpfote nickte, das klang interessant. Zwischen den emporragenden, stinkenden Bäumen erschien ein kräftiger, schwarz-braun gemusterter Kater. Eine Gesichtshälfte schien fast zu einer anderen Katze zu gehören, so grausig entstellt war sie. Die Narben und die leere Augenhöhle erinnerten sie an Narbenherz... und die verschiedenen Gesichtshälften an sie selbst.
Erfahrung und Kampfgeist flammten in dem stechenden bernsteingelben Auge des Kriegers.

Muss ich etwa gegen den kämpfen?
Ihr Pelz stellte sich auf wie die Stacheln eines Igels, der sich bedroht fühlte.

Nein, gegen ihn würde sie nicht kämpfen.
Das stand für sie fest, als eine, in den Schatten schier leuchtende, Kätzin dem Vernarbten folgte.
Als sie die blauen Augen erkannte -
Und das helle, silberne Fell.

Warrior Cats - Sternenpfade || Band I-IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt