36. Kapitel

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W I L D P F O T E

(Achtung! Dieses und die folgenden Kapitel werden an einigen Stellen sehr blutig und brutal!)

Erinnerungen zischten durch ihren Kopf.
Der herzzerfetzende Schrei.
Blut.
Narbenherz, wie sie reglos und blutverschmiert im Gras lag.
Auch in den himmelblauen Augen der Silbernen spiegelte sich Erkenntnis und Wildpfote sah ihre eigenen verschiedenfarbigen Augen in ihren aufblitzen.

»Ihr kennt euch?«
Der Braun-Schwarze wirkte überrascht, doch Eis' Gesicht zeigte keinerlei Regung.
Wildpfote nickte nur, alles in ihr zog sich schmerzhaft zusammen vor Hass.

»Bedauerlicherweise«, fügte die NebelClan-Kätzin arrogant hinzu.

Sie. Sie war an allem schuld. Die Silberne hatte Seeschattens Herz gebrochen und Narbenherz' Gesicht zu einer grausig entstellten Grimasse gemacht.
Ohne auf ein Kommando zu warten, stieß sie sich mit aller Kraft ab und warf sich mit ausgefahrenen Klauen auf ihre Feindin, zog sie ihr quer über die Schnauze.

Doch Mondfeuer, wie die Silberne eigentlich hieß, war vorbereitet. Mit den dornenscharfen Zähnen packte sie Wildpfotes Vorderbein und drehte es schmerzhaft, sodass die Schülerin mit einem dumpfen Laut auf dem Rücken landete.
Nur wie ein fernes Echo bemerkte sie die Schmerzen. Wieder drohte dieser blutrote Schleier aus abgrundtiefem Hass, sich über ihre Augen zu legen, und dieses Mal ließ sie es zu. Sie versuchte nicht einmal, sich zu beherrschen, schlug einfach zu, und doch schien sie zu wissen, wann sie sich wegrollen, wann zuschlagen musste.
Die Kätzinnen waren sich ebenbürtig. Wildpfote war viel jünger, aber wendiger und ihre unbändige Wut fand sich in der Wucht ihrer Schläge wieder. Mondfeuer war ebenfalls eine ausgezeichnete Kämpferin, und ihre Brutalität hatte Wildpfote mit eigenen Augen gesehen.

Heißes, dickes Blut klebte schon bald an den Klauen der Kätzinnen, die sich um sich schlagend auf dem Boden wälzten. Ineinander verschlungen ließen sie all ihrem Hass freien Lauf und schlugen Krallen und Zähne grausam tief ins Fleisch der anderen.
Gerade spürte Wildpfote, wie Mondfeuers Schläge träger wurden. Langsamer. Schwächer.
Triumphierend schlug sie erneut zu, völlig fixiert auf ihre Gegnerin. Den riesige Schnitt am Bauch und all die Kratzer an der Schnauze ignorierte sie einfach, spürte den feurigen Schmerz so oder so nur gedämpft durch ihre Wut.

Wildpfote nagelte ihre Feindin an den Boden, schlug ihr die Krallen ins Fleisch, doch die Silberne war eindeutig stärker als die junge Schülerin, rammte ihr die Hinterläufe in die Brust, sodass Wildpfote alle Luft aus den Lungen gepresst wurde, als sie auf dem Boden aufschlug. Sie japste schmerzerfüllt, wollte sich auf die Pfoten zwingen, doch da ragten schon die blutbefleckten Zähne ihrer Widersacherin über ihr auf.

»Wolltest du sie töten?«, keuchte die Schildpattfarbene, während sie die Zähne aufeinander biss. Sie sah blankes, rosanes Fleisch an Mondfeuers Brust, wo Wildpfote ihr die Haut weggefetzt hatte.

»Ich wollte sie nur zum Schweigen bringen«, höhnte die Silberne, »und ihr eine Lektion erteilen. So wie jetzt dir...«
Sie beugte sich zu Wildpfote herunter und zischte ihr bedrohlich ins Ohr.
»Niemand stellt sich zwischen mich und Seeschatten! Verstanden?«
Grausam animalisches Grollen drang aus der Kehle der Kriegerin.

Eigentlich hätte Wildpfote in diesem Augenblick Angst haben müssen.
Wütend sein.
Panisch.
Doch sie spürte nichts.
Nichts bis auf diesen glühenden Hass, der von einem Feuer in ihrem Herzen geschürt wurde.

Sie sammelte all ihre Kraft für einen kraftvollen Schlag, doch da krachte etwas mit solcher Wucht gegen sie, dass beide Kätzinnen in hohem Bogen davonflogen. Wildpfote hörte das leise Stöhnen Mondfeuers, deren Rücken an einen Baum prallte. Sie selbst landete mit einem dumpfen Geräusch inmitten von modrig stinkenden Pilzen.

Über ihr erblickte sie erneut eine Katze, doch diese war viel, viel größer und hielt sie mit solch eisernen Krallen fest, dass die impulsive Schülerin es nicht wagte, sich zu bewegen. Sie hob nur ganz langsam den Blick-
Und starrte in zwei hasserfüllt funkelnde Augen, die sie überall erkennen würde.

»Lass mich los!«, zischte sie wütend.

»Ich dachte, wir wären... verabredet, oder wie du es nennen willst.«
Der Graue drückte ihr nur noch fester die Klauen ins Fleisch.
»Du wolltest wissen, wie du mein Leben zerstört hast. Weißt du es etwa nicht, Kleine?«

»Was weiß ich nicht? Was?«
Sie heulte sich in Rage, schlug blind vor Wut um sich und wurde doch erbarmungslos an den nach Moder und Blut stinkenden Boden des sternenlosen Ortes gepresst, unfähig, sich zu bewegen. Durch den Schleier aus Hass vernahm sie Aschenschwinges Worte.

»Du meinst die Prophezeiung? Was meinst du, warum dich der Wald der Finsternis trainiert? Du bist eine Auserwählte!«
Die Augen ihres Feindes leuchteten irre, als sich seine Stimme zu einem Heulen steigerte.
»Mich haben sie ausgewählt, damit ich meinen Traum verwirklichen kann! Ich sollte der nächste Anführer des SturmClans werden und an mich sollte man sich für immer erinnern! Ich habe dem Wald der Finsternis alle Geheimnisse, jede Schwäche unseres Clans anvertraut!

Doch dann kam diese Prophezeiung. Die Prophezeiung, die dich für ein glorreiches Schicksal auswählte!
Die finsteren Krieger wollen dich auf ihre Seite locken, damit sich die Prophezeiung nicht erfüllt! Und damit brauchten sie mich nicht mehr.
Sie verbannten mich. Und das ist deine Schuld.

Ich würde ihnen ja gönnen, unterzugehen, aber leider kollidiert das mit meinem eigentlichen Plan...«

Nun wurde Wildpfote doch von der Angst gepackt. Aschenschwinge hob seine Pranke, die bedrohlich über ihr aufragte, bereit, sie ihr in die Kehle zu schlagen.
Nein.
Sie würde niemals kampflos aufgeben.
Sie fühlte sich an den Tag zurückversetzt, an dem Löwenmut verschüttet worden war. Damals war sie so verzweifelt gewesen, war in Todesangst verfallen.
Damals, als sie noch diese kleine, naive Schülerin gewesen war.
Und doch dachte sie denselben Gedanken.
Sie durfte nicht sterben! Sie musste ihren Schwur erfüllen!

Die Schülerin befreite ein Vorderbein mit aller Macht aus Aschenschwinges Griff, holte nun ihrerseits aus und hieb ihm die ausgefahrenen Krallen tief in den Schädel.
Ein grausiges Heulen entfuhr dem Grauen, als die beiden Katzen begannen, sich brutal zu bekämpfen. Und immer mehr verschwamm Wildpfotes Sichtfeld, bis sie in einen Strudel aus Finsternis glitt, mit vernebelten Sinnen.
Ohne Gefühle, ohne Gedanken.
Und mit ihren letzten Gedanken verfluchte sie den SternenClan für diese Prophezeiung, die nicht nur Aschenschwinges Leben zerstören würde.

Warrior Cats - Sternenpfade || Band I-IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt