68. Kapitel

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»Ich gebe auf. Es soll Frieden geben.« Eissterns Stimme klang gebrochen, ihre Haltung war zittrig und gebeugt.
Die Anführerin hob die Stimme zu einem lauten Rufen, so laut, dass alle Katzen sie hören konnten.
»Der Kampf ist vorbei, EisClan! Hört auf zu kämpfen oder ich zerfetze jedem einzelnen von euch den erbärmlichen Pelz.«

Schattenschwinge fühlte sich wie gelähmt. Er hatte keine Ahnung, wie er mit derart provisorischen Heilmitteln eine so tiefe Wunde hatte behandeln können. Er wusste nicht, warum Eisstern noch lebte, warum Wildherz sie besiegt, er sie geheilt und Funkenpfote zum Frieden überzeugt hatte.

Und es war ihm egal, als er die gefallenen Sterne sah.

Es war, als würde ein Teil von ihm selbst zerbrechen, am Himmel zerschellen. Als hätten jegliche Lebensgeister ihn verlassen und nichts als Leere zurückgelassen.
Wie durch einen Schleier hindurch hörte er Protestschreie von wütenden EisClan-Kriegern, die Eissterns Entscheidung infrage stellten. Er hörte, wie Katzen seinen Namen riefen.
»Schattenschwinge! Es haben kaum Heiler überlebt, wir müssen die Verwundeten versorgen.«
Funkenpfote hatte das vielleicht gesagt, er hörte es nicht genau und es war ihm egal.
Der graue Kater spürte nichts als Angst, Schock, Trauer. So heftig, dass er nichts davon einordnen konnte.

Allmählich, nach unzähligem Blinzeln, klärte sich zumindest sein Sichtfeld ein wenig und er sah, dass sich die verbliebenen Anführer versammelt hatten. Eisstern war da, noch immer wackelig auf den Beinen, auch Falkenstern erkannte er. Ihm fiel ein riesiger Stein vom Herzen, als er - stark blutend, aber lebendig - Federstern zu den anderen hinken sah.

Die Zweite Anführerin des LichtClans, Farnnebel, vertrat nun ihren Clan und schlug diplomatisch, aber gehetzt vor: »Ich würde vorschlagen, dass unsere Heiler gemeinsam die Verwundeten versorgen.«
Sie schien von allen noch am gefasstesten, Falkenstern taumelte hin und her und roch leicht nach Katzenminze.

Erst jetzt realisierte er, was gerade passiert war: Der größte Kampf seit Katzengedenken war ausgebrochen, gemeinsam hatten sie das Eis gebrochen - doch die Sterne waren gefallen. Kein Licht leuchtete mehr am Silbervlies.
War das der Preis für den Frieden? Wenn ja, ist er viel zu hoch.

»Heiler, sammelt euch. Holt eure Vorräte und versorgt die Verwundeten«, bat Federstern und klang dabei, als wäre alles gut. Als wäre nicht die Hälfte aller Clan-Krieger gestorben im größten Blutbad seit Katzengedenken. Als hätte er nicht gerade die Sterne fallen sehen.
In seiner Trance bemerkte er kaum, wie die am wenigsten verwundeten Krieger aus den geschundenen Lagern Kräuter beschafften. Er fühlte sich so niedergeschlagen, dass der Heiler keinen Grund sah, irgendetwas zu tun.
Was ist mit dem SternenClan passiert? Sind sie einfach... weg? Tot? Auf ewig verschwunden?

Von hinten stupste ihn eine weiche Schnauze an und, mit einer Pfote noch im Gefecht, wirbelte er blitzschnell herum.
Es war, als würde sich ein Kiesel lösen von der gewaltigen Felswand in seiner Kehle, als er die großen Ohren, die kleinen zierlichen Pfoten sah. Das hellbraune Fell war blutverkrustet, an der Schulter der Kätzin klaffte eine grässlich tiefe Wunde und sie hinkte, über ihrem Auge tropfte hellrotes Blut auf den ohnehin schon blutigen Boden.
»Schattenschwinge... du lebst«, hauchte sie.

»Kleepfote!«, wisperte er und presste die Stirn ins Fell seiner Schwester, schluchzte leise auf. »Du auch. Wir beide haben überlebt.«
Furcht spiegelte sich im Blick der jungen Kätzin, in den Augen, die schon immer bis auf ihr Herz hatten blicken lassen.

»Was wird jetzt passieren?«, flüsterte Kleepfote. »Jetzt, wo...«
Sie musste ihren Satz nicht beenden, schon so kehrte der Kloß in seine Kehle zurück.
Sie musste es gesehen haben, legte ihm den Schweif auf den Rücken und miaute: »Du wirst gebraucht, Brüderchen. Kümmere dich um die Verletzten, bevor es zu spät ist.«
Kurz hielt sie inne, bevor sie fortfuhr.
»Sieh dir nicht die Toten an. Bitte. Du willst nicht sehen, wer unter ihnen ist.«

Die Felswand in ihm fühlte sich dicker an als je zuvor, und er nickte beklommen, versuchte angestrengt, nur den Klageschreien zu folgen, doch allein die Zahl der Katzen, die regungslos auf dem Boden lagen, schien überwältigend.
Federstern, Farnnebel und ein dunkelgrau-schwarzer Kater - SturmClan, das konnte Schattenschwinge riechen - schienen vorübergehend die Organisation übernommen zu haben und wiesen die verletzten Katzen an, was sie tun sollten.

Er hörte einen dunkelroten Kater, wie er einen grässlichen Klageschrei über dem Leichnam einer goldenen Kätzin ausstieß, konnte aus dem Augenwinkel zwei junge Kriegerinnen sehen, wie sie einen schlaffen Körper wegtrugen. Am liebsten hätte er sich einfach erneut übergeben, doch er musste das bittere Gefühl in seiner Kehle zurückhalten.

»Alle Katzen, die laufen können, bringen die Verwundeten zur FlammenClan-Grenze und die Gefallenen in Richtung Sumpf. Heiler, behandelt die Verletzten. Schüler, beschafft Wasser und Kräuter und helft, wenn ihr gebraucht werdet!«
Der dunkle SturmClan-Kater strahlte Autorität aus wie ein Anführer, als er die unverletzten Krieger herumkommandierte. Schattenschwinge stolperte hinüber zum provisorischen Lazarett, wo beinahe hundert Katzen auf dem Boden kauerten, lagen oder sich in Qualen wanden.
Es war ein Anblick des Grauens, und er musste sich zusammenreißen, um sich nicht abzuwenden. Beim Mondfall lagen gehäuft getrocknete Kräuter, wirklich viele Kräuter. Besonders Ringelblumen und Mohnsamen brauchte er, und glücklicherweise fanden sich schnell verwelkte gelbe Blüten und kleine schwarze Samen wie Kohlenstücke.

Schattenschwinges Blick wanderte über die Verletzten, suchten nach einer Katze, die er kannte. Da - Eulenschrei, mit einem verdrehten Hinterlauf und klaffenden Bisswunden an den Beinen und am Rücken.
Schnell fanden seine Pfoten auch Beinwell, der Heiler nahm einen Stock vom nahegelegenen Wald mit und preschte zu seinem Bruder, so schnell ihn seine zerkratzten Pfoten trugen.
»Eulenschrei«, sagte er hoffnungsvoll. »Hörst du mich?«
Ein schwaches Nicken des getupften Katers und er war so erleichtert, dass der Heiler trotz der grauenhaften Umstände am liebsten mit allen vier Pfoten in die Luft gesprungen wäre.

»Achtung, es könnte wehtun«, warnte er seinen Bruder. Ja, der Krieger war manchmal arrogant und überheblich, aber auch mutig und Schattenschwinge war sich sicher, dass sein Bruder für ihn dasselbe getan hätte und so war es ihm verdammt egal, dass sie so unterschiedliche Ansichten hatten. Abgesehen davon war nichts dabei für einen Heiler, eine schwere Kriegsverletzung zu versorgen. Oh, dieser verdammte Krieg! Er brachte nichts als Elend und Tod, Katzen, die eigentlich doch nur Frieden wollten, zerstörten sich gegenseitig und es wurde immer unnötiges Blut vergossen. Immer fielen tapfere Helden und unschuldige junge Katzen.

Der graue Kater ließ einfach seine Pfoten die Arbeit machen. Er war geistig noch zu überwältigt von den Ereignissen der vergangenen Nacht, um irgendeinen klaren Gedanken fassen zu können.
Neben ihm blitzte hellroter Pelz auf, wie ein Morgenhimmel, der bald über ihnen zu sehen sein würde.
Schattenschwinge erkannte den Heilerschüler Sonnenpfote und schreckte kurz zurück. Bilder kamen in seinem Gedächtnis hoch - die Krallen an seiner Kehle. Der lodernde Schmerz, die Blutpfütze. Sein kurzer Aufenthalt im SternenClan.

Doch Sonnenpfote machte keine Anstalten, ihm etwas zu tun. Im Gegenteil, der dürre Kater sah aus, als würde er erwarten, dass Schattenschwinge ihm jederzeit das Genick brechen würde.
»Es...«, setzte der Kater mit zittriger Stimme und aufgerissenen Augen an, »Es t-tut mir so l-leid, Schattenschwinge. D-du hast ja keine Ahnung, was dieser grau-weiße Kater mir e-erzählt hat!«
Kurz schaffte Sonnenpfote es, dem NebelClan-Kater in die tiefblauen Augen zu blicken, bevor er den Blick schnell wieder auf seine hellen Pfoten richtete.
»E-er hat gesagt, du w-würdest die Clans z-zerstören wollen.
Aber ich wollte das nicht, ehrlich.«
Der zierliche Schüler richtete die riesigen grünen Augen wieder auf Schattenschwinges.
»Verzeihst d-du mir?«

Es war, als hätte ihn die ganze Zeit ein Stein in die Pfote gepikst, der nun abgefallen war. Ein seltsames Gefühl, keine Erleichterung, doch so etwas in der Art. Ein seltsames Kribbeln in seinen Pfoten, als er aus tiefstem Herzen antwortete.
»Ich verzeihe dir.«

Und die beiden Heiler tappten die nächsten Stunden von Katze zu Katze, behandelten Verletzungen und Brüche, bis die ersten Sonnenstrahlen am Horizont zu sehen waren und Federstern, als er mit den anderen Anführern auf dem Felsen saß, das Wort erhob.

Warrior Cats - Sternenpfade || Band I-IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt