53. Kapitel

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Nein, nein, nein! Das kann doch nicht sein!
Sie erinnerte sich an all die Tage, an denen Echopfote schweigend auf einer Lichtung gesessen und die Sonne angestarrt hatte. An denen er ihr gesagt hatte, wie schrecklich der Wald war und wie gerne er wieder unter freiem Himmel leben würde. Doch sie hatte nur gesagt, wer würde sich schon an den Wald gewöhnen. Sie hatte ihn überhaupt nicht ernst genommen!

Das schlechte Gewissen verschlang sie schier, fraß sich in ihr Herz. War es Funkenpfotes Schuld, dass ihr Freund verschwunden war?
Vielleicht... macht er nur einen Spaziergang, hoffte sie. Doch die rote Kätzin wusste, dass Echopfote niemals Spaziergänge machte. Er bewegte sich keine Krallenlänge mehr durch den Wald als unbedingt nötig. Aber wo konnte er sein? Irgendwohin musste seine Geruchsspur doch führen, redete Funkenpfote sich ein, doch, als hätte sie ihre Gedanken gelesen, murmelte Fuchsflamme: »Wir haben seine Fährte bis zum Fluss an der LichtClan-Grenze verfolgt. Dann haben wir den Geruch verloren.« Schuldbewusst senkte die Kriegerin den Kopf.

»Wir schicken Patrouillen zu den anderen Clans, zu jedem eine. Wir finden Echopfote.«
Zu Funkenpfotes Erstaunen war es Wellensplitter, die sprach, die Augen wie immer hart wie Eis. Nachtfluss, der Zweite Anführer, riss empört das Maul auf, doch da glitt eine hübsche rote Kätzin vor ihn. Blitz an Morgenhimmel hieß sie, das immerhin hatte Funkenpfote sich gemerkt. Die Rote wurde von etlichen Katern angehimmelt, hatte aber an keinem davon Interesse. Jetzt allerdings besänftigte sie Nachtfluss - und das musste eine Katze erst einmal schaffen.

»Also schön«, ergriff Nachtfluss das Wort, etwas ruhiger. »Wellensplitter, Mondschatten, Fuchsflamme, ihr geht zum LichtClan. Blitz, kannst du einige der Stammeskatzen mitnehmen zum NebelClan?«

»Nicht zu fassen«, murmelte Wolkenpfote. »Das war kein Befehl, sondern eine Bitte. Was ist denn mit dem los, ist er krank?«
Trotz der Situation musste Funkenpfote kurz schnurren, doch kurz darauf riss sie wieder vor Nervosität mit ihren Krallen das Moos vom Boden des Lagers, da kam ihr ein schrecklicher Gedanke.

»Was... was, wenn der EisClan ihn hat?« Ihre Stimme bebte, das Blut in ihren Adern schien zu gefrieren. Plötzlich tanzten Bilder in ihrem Geist herum, Bilder von blutigen Krallen und blitzenden Zähnen, die sich erbarmungslos tief in Echopfotes Fleisch gruben... vor Schuldgefühlen wurde ihr schlecht, ihr Magen schien sich umzudrehen und erst Wellensplitters entschiedene Stimme riss sie aus ihrer Trance.

»Das hätten wir bemerkt. Und selbst wenn, wir haben ihn einmal besiegt. Das schaffen wir nochmal und dafür brauchen wir keine Hilfe. Also was ist, wer geht zum SturmClan? Nachtfluss, Uhuschrei, Schneesturm, Donnerbruch?«
Die dunkelgrau-weiße Kätzin marschierte schon zielstrebig aus dem Lager, bevor ihr jemand widersprechen konnte. Nachtfluss stand nur da mit halb offenem Maul und regte sich leise fluchend darüber auf, dass eine normale Kriegerin da gerade seine Autorität untergraben hatte.

Blitz nickte dem Zweiten Anführer zu, vielleicht, damit er wieder zu sich kam, und verließ gefolgt von einigen Stammeskatzen das Lager.
Nachtfluss riss sich zusammen und rief drei Krieger, tappte aus dem Lager und Richtung Heide, doch das leise »Die kann was erleben«, das seiner Kehle entwich, überhörte die nervöse Funkenpfote nicht. »Und was ist mit mir? Warum kann ich nicht mit?«, hätte sie am liebsten gefragt, doch das wäre zu wehleidig und arrogant rübergekommen, also schwieg sie mühsam, wenngleich sie vor Nervosität fast durchdrehte.

»Hey, komm runter«, sagte Wolkenpfote und erst jetzt sah sie den ziemlich demolierten Boden, aus dem einige Wurzelstücke herausragten.

»Tut mir leid«, nuschelte sie. »Aber was, wenn ihm was passiert ist?«
Hoffnungsvoll richtete sie den Blick in den Himmel, doch der war so wolkenverhangen, dass sie nicht die vertraute Falkengestalt ausmachen konnte.

»Mach dir nicht allzu viele Sorgen, Funke. Echo kann schon auf sich selbst aufpassen, er ist doch schon 13 Monde alt. Eigentlich könnte er längst Krieger sein, aber diese Clankatzen müssen ja alles viel komplizierter machen, als es sowieso schon ist.«
Sonnes goldenes Fell streifte das Ihre, als sich die Blauäugige neben sie setzte.
»Sie finden ihn. Versprochen.«

Wie eine Mutter legte die Goldene den Schweif um Funkenpfotes kleinen Körper, bevor sie besorgt miaute: »Hast du überhaupt schon etwas gegessen heute?«
Sie schüttelte den Kopf, doch der Magen drehte sich ihr schon um, ohne dass er mit Fleisch gefüllt war.
»Am besten, wir lenken dich irgendwie ab. Wie wäre es, wenn du zu Blendflamme gehst und dir von ihm eine Geschichte erzählen lässt? Das würde dich vielleicht aufheitern.«

»Also gut, das mache ich«, sagte sie tapfer. Funkenpfote war doch eigentlich gnadenlose Optimistin! Sie würden Echopfote schon wiederfinden, sie würde ihn wiedersehen und gemeinsam würden sie Krieger werden. Alles würde gut werden, das versuchte sie krampfhaft, sich einzureden.

»Ich komme mit«, bot Wolkenpfote schnell an und sie war dem schiefergrauen Schüler dankbar. Gemeinsam trotteten sie zum Ältestenbau hinüber und sahen Blendflamme, wie er ausnahmsweise vor seinem Bau döste statt darin. Seine trüben gelben Augen starrten ins Nichts hinein, schienen überall und nirgends hinzublicken. Das weiße Fell des Ältesten war schon ganz zottelig und ungepflegt und stank etwas, scheinbar vernachlässigte er seine Fellpflege etwas.

»Ach, jetzt, wo ihr schon da seid, könnt ihr ihm doch gleich die Zecken entfernen.«
Wolkenpfotes junger Mentor Frostblatt nickte den Schülern bittend zu und der Graue holte Mäusegalle von der freundlichen Heilerin Dämmerschwinge.

»Ihr...«, krächzte Blendflamme mit noch immer leerem Blick; er hatte die Schüler jetzt erst bemerkt.
»Ihr wollt... eine Geschichte hören?«
Der betagte Kater hob den Kopf, nun glänzten seine Augen fast ein bisschen. Er liebte es, Geschichten zu erzählen, besonders, wenn er danach für seine Erzählkünste gelobt wurde. Schließlich gab es nicht mehr vieles, für das man ihn hätte loben können.
»Über wen denn? Über Hügelstern, den Anführer, der nicht sprechen konnte, über Falbstern, die schneller laufen konnte als ein Gepard oder über Rabenprung, der die Sterneneiche bis ins Silbervlies hochgeklettert ist?

Ach nein, ich weiß schon, welche Geschichte ich euch erzählen soll.«
Er schnippte mit dem Schweif, nun war sein Blick viel klarer, wacher als vorher. Funkenpfote hielt inne, als er das sagte. Meinte er Efeuschwinges Geschichte? Ja, die würde sie wirklich gern hören, selbst, wenn sie danach nur noch mit vor Trauer hängenden Kopf im Lager hocken würde.

Der Älteste fuhr fort.
»Nicht wahr, Blut des Falken?«
Funkenpfote starrte ihn entgeistert an.

»Ach, ihr jungen Katzen denkt immer, ihr wisst alles...«
Und da ertönte aus dem Himmel ein gellender Schrei.

Warrior Cats - Sternenpfade || Band I-IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt