57. Kapitel

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»Was... aber- woher?«, stotterte sie vollkommen perplex. Blendflamme schnurrte nur müde und schüttelte sanft den Kopf.

Selbst, wenn der Älteste ihre Frage hätte beantworten wollen, hätte er es nicht mehr gekonnt, denn leise Pfotenschritte erklangen auf dem weichen, moosbedeckten Boden. Es war Glutpfote, die Schülerin, Funkenpfote noch nie reden gehört hatte. Die stille Kätzin tappte auf ihren großen schwarzen Pfoten in den Bau und begann ohne ein Wort, das Nest des alten Katers zu säubern.

»Soll ich dir auch eine Geschichte erzählen?«, fragte Blendflamme leise und Glutpfote nickte, noch immer ohne auch nur ein Wort zu sagen. Funkenpfote musste sich beherrschen, sich nicht trotzdem zu erkundigen, was der alte Kater wusste. Doch ihr Interesse an der Prophezeiung war wieder geweckt. Vielleicht konnte sie Kontakt zu den anderen Auserwählten herstellen? Vielleicht wussten sie mehr als die junge rote Kätzin.

Sie bekam nur am Rande ihres Bewusstseins mit, wie Blendflamme begann, von irgendeinem großen Helden zu erzählen - ihre Gedanken schweiften schon wieder ab zu Echopfote. Wo konnte er nur sein? Klar, er hasste den Wald und den FlammenClan irgendwie auch... aber hier war seine Familie, seine Freunde. Bedeutete das denn gar nichts? Bedeutete sie ihm gar nichts?

Oder war er womöglich vom EisClan gefangen genommen worden, als Rache für Froststern?
Doch irgendwie wusste sie - ein einziger, unbedeutender Kater würde den rachsüchtigen, blutrünstigen EisClan-Kriegern nicht reichen. Aber vielleicht... vielleicht war Echopfote nur der Anfang von etwas Großem?

»Das ist doch nicht zu fassen!«, hörte sie da Nachtfluss wütend jaulen. »Dieser erbärmliche Haufen Fuchsdung!«
Das wütende Kreischen riss sie aus ihren Gedanken und sie sprang auf dem Bau wie ein verschrecktes Kaninchen.

»Was zum Wald der Finsternis ist los?«, fauchte die Königin Lichtfunke.
»Hast du eine Ahnung, wie lange es gedauert hat, bis alle vier schlafen? Jetzt sind sie wieder wach!«
Nachtfluss schnaubte nur verächtlich.

»Dieser Fuchsdreck Echopfote wollte sich dem SturmClan anschließen«, grollte er.

Funkenpfote war, als würde ein Eisberg über ihr einstürzen. Taubheit griff mit eiskalten Krallen nach ihr, packte ihr Herz. Als hätte sie es nicht vorher gewusst. Als hätte sie es sich nicht denken können, dass er zu dem Clan gelaufen war, in dessen Territorium er glücklich war. Aber bedeutete ihm Familie denn nichts? Heimat? Freundschaft?
Vielleicht ist er nicht der, für den ich ihn gehalten habe.

Sie hatte verdammte Angst um ihn gehabt, hatte um sein Leben gefürchtet, nur um herauszufinden, dass er ein Verräter war?
Nein. Der Echopfote, den sie kannte, würde so etwas nicht tun.

Verzweifelt lauschte sie, richtete den Blick 'gen Himmel und suchte ihn nach der Silhouette mit den schlanken Schwingen ab. Nichts. Kein aufmunternder Ruf, nur gähnende Stille, die ihr schlimmere Ohrenschmerzen bereitete als jeder Schrei. So lange schon schwieg der Falke und es schien, als würde sich der Himmel selbst in Schweigen hüllen.

»Nein! Echo würde so etwas niemals tun! Nicht mein Sohn.«
Sonne war entschlossen vorgetreten, beobachtete jedoch mit Sorge die Sonne, die sich dem Horizont bereits zuneigte. Keine schönen goldenen Strahlen, nur schwindendes Licht am wolkenverhangenen Himmel.

»Er hätte es vielleicht früher nicht getan, aber das ist die Gegenwart. Und er ist nicht mehr der, der er einmal war, sonst hätte er das nicht getan. Und er heißt nicht mehr Echo, verdammt! Komm damit klar, dass du nicht ewig in der Verhangenheit schwelgen kannst, oder verschwinde. Dem Clan bringst du so oder so nichts, aber Falkenstern ist so zugedröhnt mit Katzenminze, dass er nichts mehr mitbekommt.«

Nach Nachtfluss' harschen Worten zog Sonne den Kopf ein, nachdem sie zusammengezuckt und unter seinem kalten Blick schier geschrumpft war. Sie drehte sich weg und tappte in den provisorischen Bau, den die Katzen mit vereinten Kräften für den Stamm gebaut hatten.

Funkenpfote tat sie schrecklich leid. Ihre Ohren hingen herab und die kleine rote Kätzin wollte ihrer Freundin hinterher, doch Wolkenpfote, der bisher überraschenderweise geschwiegen hatte, legte ihr den Schweif auf den Rücken.
»Lass sie allein.«
Aber es wird bald dunkel und Sonne fürchtet die Dunkelheit, wollte sie sagen, doch das hätte ihre Freundin in ein schlechtes Licht gerückt.
Wolkenpfote schien Echopfotes Weggang kaum zu interessieren, geschweige denn zu bekümmern. Warum nur? Mochten sich ihre beiden Freunde nicht?

Und wenn es so wäre, hätte ich es nicht bemerkt...
Wieder bekam sie ein furchtbar schlechtes Gewissen. Was hatte sie schon getan in den letzten Monden? Nichts. Sie war nicht für ihre Freunde da gewesen, hatte sich nicht weiter um ihre Bestimmung gekümmert und kaum bemerkt, wie selten der Falke noch schrie. Was war mit ihr los?

Sie dachte, es könnte nicht noch schlimmer werden, da torkelte auch noch Falkenstern aus seinem Bau, den starken Geruch von Katzenminze hinter sich herziehend.
»Was'n los?«, kicherte der gefleckte Kater, taumelte auf die versammelten Katzen zu - mittlerweile fast alle Clan- und Stammeskatzen, die nicht auf Patrouille geschickt worden waren. Und selbst diese, denn just in diesem Moment tappte Blitz ins Lager, dicht gefolgt von einigen Katzen des Stammes.

»Du benimmst dich eher wie ein Junges als wir ein Anführer, aber ansonsten alles in Ordnung.«
Wellensplitter, die kurz vorher ebenfalls mit ihrer Patrouille zurückgekehrt war, stolzierte mit gesträubtem Nackenfell auf ihren Vater zu.
»Ich dachte, du wolltest dich ändern!«, fauchte sie ihm ins Gesicht. Funkenpfote konnte nicht länger zusehen, wie sich die Krallen ihrer Mentorin tief in die Erde gruben und sie eilte dazwischen.

»Bitte, ihr könnt das doch auch klären wie normale, zivilisierte Katzen«, bat sie, doch ein eiskalter Blick Wellensplitters brachte sie zum Schweigen.

»Geh, das geht dich nichts an! Verschwinde einfach. Dich braucht so oder so niemand.« Wellensplitter stieß ihre Schülerin ziemlich grob zur Seite, doch ihre Worte schmerzten mehr als der Aufprall am moosigen Boden.

Funkenpfote hörte auf zu denken, drehte sich um und preschte aus dem Lager, einfach tief in den Wald hinein. Wurzeln rissen an ihren Pfoten, doch sie hielt erst an, als vor ihr die Sterneneiche aufragte. Die Schülerin hörte, wie der Regen auf das Blätterdach prasselte, Tränen des schweigenden Himmels. Doch unter der Krone war sie sicher, nicht ein Regentropfen benetzte ihr Fell.

Dich braucht niemand. Wellensplitters Worte hallten in ihrem Geist nach, vermischten sich mit anderen.
Dein Bruder ist tot, Funke.
Ich liebe dich!
Nein, komm zurück!
Wir müssen aufbrechen.
Blut des Falken...
Finde deine Bestimmung.

Die letzten Worte brannten sich tief in ihr Gedächtnis ein, hinterließen nichts anderes als diesen Gedanken.
Es war egal, wie still der weinende Himmel war.
Egal, dass Echopfote sie verraten hatte.
Sie würde den Pfad beschreiten, den die Sterne ihr vorherbestimmt hatten.

Warrior Cats - Sternenpfade || Band I-IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt