60. Kapitel

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Mit pochendem Herzen leckte sich Wildherz das Blut von den Pfoten, ließ den Kadaver zurück und trat auf die Lichtung, wo in wenigen Herzschlägen die anderen Auserwählten eintreffen würden.

Sie wusste nicht, ob der weiße Fleck auf ihrer Brust noch immer blutverschmiert war, und es war ihr egal. Es war ihr vollkommen gleichgültig, ebenso wie ihr die Tatsache egal war, dass sie gerade eine Katze ermordet hatte. Eine seltsame Taubheit lag über ihrem Geist, und wenngleich ihre Sinne so scharf schienen wie noch nie, lag ein Nebel über ihren Gefühlen.

Das Licht des gerade aufgegangenen Mondes spiegelte sich im seichten, kalten Wasser des Teiches, das vom Strom des Wasserfalls aufgewirbelt wurde. Die Sternenkrieger am samtenen Nachthimmel leuchteten kalt und fahl, so unerreichbar weit weg.
Und auch das war ihr egal. Denn wenn sie sich zwischen SternenClan und Wald der Finsternis hätte entscheiden müssen, hätte sie stets die Heimat ihres zweiten Mentoren gewählt, wo sie sie selbst sein konnte und zu der begnadeten Kämpferin geworden war.

Es war leicht gewesen, die Katze zu töten. Leichter als gedacht.
Doch das spielte keine Rolle mehr. Sie hatte den schwersten Teil ihres Schwures an Eis erfüllt und würde gleich mit den anderen Auserwählten zusammentreffen. Der Silberweiße hatte nicht gesagt, sie solle die beiden direkt umbringen...

Sie fühlte sich erstaunlich ruhig, ruhiger als sonst, als sie sich unter den Fels des Mondfalles setzte. Jede Katze, die vorbeikam, würde nur eine halbe Katze sehen, in flammenfarben und mit einem stechenden grünen Auge. Und sie würde ein kaltes blaues Auge aus den Schatten heraus leuchten sehen.

Wildherz erkannte einen dürren grauen Kater zögerlich aus dem Sumpf tappen, die blauen Augen weit aufgerissen vor Furcht. Er schlich geduckt zum Mondfall, sein Blick huschte gehetzt umher und als er nur noch wenige Fuchslängen entfernt war, erkannte Wildherz den jungen NebelClan-Heiler namens Schattenschwinge.
»Du?«, fragte sie etwas erstaunt.
Was machte dieser schwächliche Kater hier? Er sah nicht aus, als könne er kämpfen.

Schattenschwinge zuckte bei ihren Worten zusammen, tappte dann jedoch etwas näher. »Wildherz?«

»Blitzmerker.«

»Du bist auch eine Auserwählte?«

»Nein, wie kommst du darauf?«, knurrte sie sarkastisch. »Deswegen bin ich doch hier.«

»Darf ich eure Krise kurz unterbrechen?«
Beide Katzen drehten sich unwillkürlich um. Da, vor dem FlammemClan-Wald stand mit schief gelegtem Kopf eine zierliche rote Kätzin. Man sah ihr die Furcht in den türkisgrünen Augen an, doch sie gab sich sichtlich Mühe, Form zu wahren.

Eine Schülerin?
Wildherz hatte so ziemlich mit jeder Katze gerechnet, aber nun mit einem Heiler und einer Schülerin am Mondfall zu sitzen und sich »die Auserwählte« zu nennen...
Damit definitiv nicht.

»Also... ich hab gehört, wir sollen die Clans retten. Wovor? Weiß das irgendjemand? Und wie?«
Zum ersten Mal fragte sie sich, ob Eis wohl davon wusste. Vielleicht. Vermutlich wusste er mehr als sie, weil irgendwie jeder dahergelaufene Schüler besser über die Geheimnisse der Sterne bescheid wusste als sie.

»Naja... den EisClan, denke ich mal. Immerhin heißt es in der Prophezeiung »nur gemeinsam können sie das Eis brechen lassen«. Oder nur Eisschatten - Eisstern? - vielleicht.«
Funkenpfote, die kleine Schülerin, hatte sichtlich Probleme damit, ruhig zu bleiben, Wildherz fauchte leise. Warum wusste ich davon nichts?

»Eisschatten ist tot«, wisperte Schattenschwinge, ein Zittern ließ seinen dürren Körper erbeben. »Ich habe sie sterben sehen.«
Wildherz wusste, sie hätte bei all diesen Ereignissen etwas spüren müssen. Doch sie fühlte nichts. Noch immer nichts als Taubheit über ihren Gefühlen.

»Na dann ist doch das Problem gelöst! Wir schaffen das schon!«, miaute Funkenpfote.

»Ich weiß nicht, ob du übertrieben optimistisch bist oder einfach nur naiv. Aber weder ist der EisClan besiegt, noch haben wir Eisstern gemeinsam getötet. Etwas wird heute Nacht noch passieren, sonst wären wir wohl kaum hier. Warum sind wir überhaupt alle hier? Zufall kann es nicht sein, und meint ihr nicht, hier hätte der EisClan leichtes Spiel, alle Auserwählten auf einmal aus dem Weg zu räumen?«
Wildherz war sich nicht einmal sicher, ob sie den EisClan aufhalten wollen würde. Eis hatte ihr von dem Missverständnis erzählt und von dem Egoismus der vier Clans. Sie war wie Zwiegestalten und müsste vollkommen verzweifelt sein - wenn sie denn irgendetwas fühlen würde.

»Ich denke, der SternenClan hat es so gewollt, dass wir uns hier treffen«, meinte Schattenschwinge mit feierlicher Stimme.
Der SternenClan? So gut wie...

»Seid gegrüßt.«

Eine sanfte Stimme hinter ihnen und alle drei Katzen fuhren herum. Eine goldbraun getigerte Kätzin stand mit einigen Katzen hinter ihr neben dem Mondfall, ihr Fell war sehr glatt und glänzend.

»Der LichtClan zeigt sich einmal in diesem Leben freiwillig und das in der so ziemlich unpassendsten Nacht seit Katzengedenken!«, fauchte Wildherz. Was wollen die auch noch hier? In ihrem Clan gibt es doch gar keinen Auserwählten!

»Na, gleich so unfreundlich?« Die Getigerte kam näher, noch immer mit sehr sanfter Stimme. Sie war nur wenig größer als Wildherz und Schattenschwinge und bewegte sich geschickt und leichtfüßig. Beim Laufen konnte Wildherz wischen ihren Zehen etwas wie Schwimmhäute erkennen.
»Ich habe mich gar nicht vorgestellt! Ich bin Farnnebel, und das«, sie deutete der Reihe nach auf die Katzen hinter sich, »sind Alderflug, Bernsteinglut und Schlangenmut.«

Schattenschwinge wirkte noch immer etwas perplex, Funkenpfote fragte sogleich jedoch: »Was macht ihr denn hier, wenn ich fragen darf? Ich meine... so mitten in der Nacht?«

Farnnebel schnurrte belustigt.
»Wir haben erfahren, dass sich heute die Auserwählten treffen. In unserem Clan gibt es keinen, und darüber würden wir uns gern beim SternenClan beschweren. Immer werden wir übersehen!«
Sie konnte nicht erkennen, ob die Kätzin das ernst meinte oder nicht. Verstehen konnte sie Farnnebel schon, schließlich wusste kaum eine Katze mehr über den LichtClan, als dass er existiert...

»Was sie sagen will - wir fühlen uns unnötig und wollen diesen Sternendingern sagen, sie sollen uns doch mal beachten.« Ein dunkler brauner Kater hatte gesprochen, sein Gesicht war hell und die Klauen nervös in den Boden gegraben, doch seine dreiste Stimme zitterte kaum.

»Ganz so dann doch nicht...«, sagte Farnnebel und gab dem Kater einen Klaps mit dem buschigen Schweif, der am den von Löwenmut erinnerte.

»Ist doch so«, grummelte dieser.

»Also«, knurrte Wildherz gereizt, »meinetwegen könnt ihr dann gerne auch mal wieder gehen. Wir versuchen gerade, zu besprechen, wie wir die Clans retten. Ihr versteht?«

»Und ihr glaubt, ihr drei Katzen könnt gegen eine Armee aus brutalen Kriegern ankommen?«, eine weitere Kriegerin des LichtClans, Bernsteinglut, hatte sich belustigt eingemischt und bekam einen strafenden Blick der Zweiten Anführerin.

Plötzlich hob Funkenpfote ruckartig den Kopf, ein neues Strahlen in den Augen.
»Ich glaube, ich habe einen Plan.«

Warrior Cats - Sternenpfade || Band I-IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt