40. Kapitel

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F U N K E

»Wie weit ist es noch?«
Allmählich wurden ihre Pfoten unerträglich schwer und hingen wie Steine an ihren Gliedern. Noch immer rebellierte ihr Magen, der seit geraumer Zeit nur magere Mäuse bekommen hatte.

»Das fragst du seit einem Mond durchgehend!«, murrte Echo entnervt. Sie musste zugeben, dass er recht hatte, aber diese Reise, wie er es nannte, hatte sich Funke so viel kürzer, einfacher und vor allem wärmer vorgestellt.

»Hey!«, beschwerte sie sich, als sie einen Klaps von Echos Schweif einsteckte, bevor sie einräumte: »Gut, vielleicht hast du recht, aber ich finde es schon seltsam, dass wir seit einem Mond unterwegs sind und alles, was sich verändert hat, ist, dass wir jetzt durch einen Wald wandern, von dem wir keine Ahnung haben, wie man rauskommt, statt eine Wüste, von der wir keine Ahnung haben, wie man rauskommt.
Naja, immerhin das. Und wir leben noch! Aber trotzdem!«

»Du sagst es, Funke, wir leben.« Müde trottete Sonne ein paar Schwanzlängen hinter den jüngeren Katzen durchs schneebedeckte Moos. Die ganze Zeit über hatte die goldene Kätzin nur müde über die jungen Katzen geschnurrt und sich im Hintergrund gehalten, ohne zu jammern, aber auch, ohne sonst etwas zu sagen.

»Du hattest recht, Echo, dieser Schnee lässt die Pfoten absterben!«
Funke trippelte vorwärts und erblickte erfreut in einer Lücke zwischen den verschmeiten, dicht beieinanderstehenden Bäumen, deren Äste sich wie ein Dach aus Krallen über ihr aufragte, eine weite Ebene, die sich weiß wie eine Wolke vor ihnen erstreckte.
»Schaut mal da! Der Waldrand!«, rief sie erfreut aus.

Endlich raus aus diesem Wald! Wir sind lange genug orientierungslos hier herumgeirrt!
Eigentlich gefielen ihr die schützenden Baumkronen über ihrem Kopf, doch sie konnte den Wald nicht genießen, wenn ihr nebenbei die Pfoten abstarben. Und so kalt, wie der Schnee war, taten sie das gerade. Ihre Ballen spürte sie kaum noch vor Kälte.

»Na endlich!«, stöhnte der graue Stammeskater, beschleunigte seine Schritte und stürmte als erstes als dem Wald heraus. Die schier unendliche, schneeweiß glitzernde Wiese mit den hier und da aufblitzenden Grashalmen brachte Funke auf eine Idee...

»Wer als letztes bei diesem seltsamen Gestell auf der anderen Seite ist, ist ein lahmer Dachs!«, quiekte sie und machte einen fröhlichen Hüpfer, bevor sie schnell wie der Falke über ihr losschoss. Ihre Pfoten streckten sich, holten weit aus und stießen sich vom gefrorenen Boden ab. Dicht an ihren sprintenden Hinterläufen spürte sie den heißen, stoßhaften Atem von Echo, der ohne zu zögern die Verfolgung aufgenommen hatte. Ob Sonne ihnen gefolgt war, hörte sie nicht und im Rausch des Windes, der an ihren Schnurrhaaren riss und ihre donnernden Pfoten antrieb, noch schneller über die Ebene dahinzujagen.

Die ersten Baumlängen wuchs und wuchs ihr Vorsprung, doch da spürte sie, wie ihre Geschwindigkeit nachließ. Der Wind wurde zu einer Brise, keuchend ging ihr Atem und sie sah die weißen Pfoten von Echo aufblitzen, als er an ihr vorbeizischte.
Über Funke ertönte einer dieser durchdringenden Schreie, die stets bedeuteten:
Gib nicht auf!

Und einzig der Klang des Falkenschreis verlieh ihren Pfoten neue Energie und sie flog nur so durch den funkelnden Frost der späten Blattleere. In ihren Gedanken sprossen Schwingen aus ihren Flanken, sie erhob sich in die Luft und ihre Flügel trugen sie Seite an Seite mit dem Falken, ihre Flügel schlugen im Gleichtakt mit denen des Greifvogels.
Die Geräusche der Flügelschläge verschmolzen mit denen ihrer donnernden Pfoten, als sie Echo näher und näher kam. Vor ihnen ragte schon das Ziel, ein seltsames, wie ein Gerippe in die Höhe stehendes Gestell, auf und gerade setzte der Stammeskater zum letzten Sprung an, da katapultierte sie sich in die Luft, landete auf seinem Rücken und stieß ihn zur Seite weg.

In einem Knäuel auf feuerrotem und silbernem Fell gingen die jungen Katzen zu Boden und schlugen spielerisch mit den Pfoten um sich.
»Du hast geschummelt!«, beschwerte sich Echo.

»Hab ich das?«, forderte sie ihn schnurrend heraus. »Und welche Regel habe ich gebrochen?«

»Du bist doof.«

»Hey!«

»Ach du hüpfender Regenwurm!«
Beim Klang der fremden Stimme fuhren beide Katzen wie auf ein unhörbares Kommando herum und starrten den jungen schiefergrauen Kater an, dessen himmelblaue Augen sie unverwandt anstarrten.
»Wer seid ihr denn? Und was macht ihr hier? Wie seid ihr bitte hier hergekommen? Hier waren seid Monden keine anderen Katzen! Und erst recht keine Nicht-Hasenköttelfresser.
Ach, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt! Ich bin jedenfalls Ludwig. Kein besonders schöner Name, ich weiß, aber ich hab mir den ja nicht ausgesucht...«

»...es reicht dann auch mal mit Reden, Ludwig oder wie du heißt. Ich bin Echo und das ist-«

»Funke!«, unterbrach sie ihn. Endlich eine Katze, die nicht den ganzen Tag stumm in einer Ecke stand!
»Sonne, kommst du auch mal?«, rief sie nach ihrer Reisegefährtin, die mit einem »mach doch nicht so einen Stress!« aufholte und den kleinen Kater, der kaum älter als Funke selbst zu sein schien und ihr jetzt schon unheimlich sympathisch war, eingehend musterte.
»Seltsamer Name«, kommentierte sie auch noch, bevor sie die Worte zurückhalten konnte.

Doch Ludwig schien das nicht zu interessieren.
»Bei euch aber auch! Naja, egal! Warum seid ihr jetzt hier? Seid ihr von euren Zweibeinern abgehauen? Oder gehört ihr zu diesen Waldkatzen?«

»Wir sind nur auf der Durchreise.«
Sonne streckte sich und gähnte.

»Ach kommt, ihr könnt doch ein bisschen bleiben! Biiiitte!
Oh, ganz vergessen! Kommt erstmal mit zur Scheune, ihr seht hungrig aus!«

Funke und Ludwig trabten sofort nach vorne und begannen, sehr viel und sehr schnell zu reden, über alles mögliche, während Echo etwas misstrauisch wirkte und Sonne aussah, als würde sie sich am liebsten einfach hinlegen und den kurzen Rest des kalten Blattwechsels verschlafen wie ein Igel.
Die »Scheune« war mehr oder weniger ein großer Zweibeinerbau, in dem gewaltige Massen Stroh und Heu zu Klumpen gepresst herumlagen und in dem es verführerisch nach fetten Mäusen duftete.

»Fiete! Wir haben Besuuuch!«, maunzte Ludwig lauthals und zwischen zwei goldbraunen Strohballen schob sich ein braun getigerter Kater auf sie zu.
Er hatte etwas von einer Wildkatze und das dichte Fell, die stechenden Augen und die Büschel an den Ohren, die Funke bisher nur bei ihr selbst und Himmelsmonds Familie gesehen hatte, erinnerten sie an Schattenmond.
Der Kater, der scheinbar Fiete hieß - noch so ein seltsamer Name - begrüßte sie mit einem Nicken.
»Wollt ihr hier bleiben?«, erkundigte er sich ruhig.

»Nein, aber danke! Wir sind auf der Durchreise nach... eigentlich keine Ahnung, wohin. Ihr könntet doch mitkommen, das wär' bestimmt toll!«, quiekte Funke enthusiastisch.

»Hm... das hört sich spannend an! Was meinst du, Fiete? Wollen wir? Ja? Ach komm, wir kommen mit, das wird bestimmt toll!«

»Also schön«, seufzten alle drei anderen Katzen entnervt.
»Wann gehen wir los?«

»In ein paar Sonnenaufgängen. Oder später. Oder gar nicht.«
Fiete streckte sich und rollte sich für ein Nickerchen auf einem Strohballen zusammen.
»Ihr jungen Katzen trefft Entscheidungen seltsam. Muss ich nicht verstehen, oder?«

Ludwig und Funke nickten nur und selbst Sonne konnte ein Schnurren kaum unterdrücken. Sie fühlte sich voller neuer Energie und Zuversicht, dass sie beinahe am Ziel ihrer Riese angekommen war-
Und an diesem Ziel fand sie, wenn sie Glück hatte, ihre Bestimmung.

Warrior Cats - Sternenpfade || Band I-IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt