35. Kapitel

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E C H O

Zugegeben, Echo musste beim Anblick der Gesichter der Kätzinnen ein belustigtes Schnurren unterdrücken. Wie sie mit aufgerissenen Augen dastanden wie ängstliche Kaninchen!
Allein bei seinen ersten Worten hatte er es geschafft, ernst zu bleiben, was allerdings vermutlich daran lag, dass weder der Ausblick auf die sterblichen Überreste toter Katzen noch die Gesprächsthemen der Kätzinnen besonders erheiternd waren.

Die rotbraune Kätzin, das »Blut des Falken«, wie Felsenseher die Kleine genannt hatte, peitschte empört mit dem Schweif, kniff verwirrt die Augen zusammen und trat einige Schritte auf ihn zu.
»Wer bist du?«, verlangte sie zu wissen.

Der graue Kater selbst musste nicht antworten, denn ein glückliches »Echo!« kam von der goldenen Kätzin, die er in diesem Moment selbst erkannte.
Er hatte geglaubt, seine Eltern und Geschwister seien alle vollends vom Feuer verschlingen worden, doch als er seine Mutter erkannte, stieg ein ungeahntes Glücksgefühl in ihm hoch.
»Du lebst!?«, riefen beide Katzen wie aus einem Maul, drückten die Schnauzen aneinander und verharrten so einen Moment lang, bis die Rote verwirrt fragte: »Sonne? Wer ist das?«

Die Goldene stellte sich neben ihn und verkündete mit stolz geschwellter Brust:
»Das, Funke, ist mein Sohn. Echo.«

»Jap, der bin ich«, meinte er wenig geistreich.

»Und... woher weißt du davon?«
Noch immer starrte die rote Kätzin - Funke, wie sie scheinbar hieß - ihn perplex an.

So dumm, dass er fragen musste, was sie meinte, war er nicht, also erklärte er einfach: »Lange Geschichte.«

»Ich hab Zeit.«
Fordernd setzte sich Funke mit ordentlich um die Pfoten geringeltem Schweif in den Sand und blickte mit großen, türkisgrünen Augen zu ihm hoch.

Stamm der ewigen Sonne, hilf mir! Dieses Fellbündel ist nervtötend!
Der graue Kater nickte, atmete tief ein und unterdrückte ein Wimmern, als er an all das Elend zurückdachte.
»Den Teil mit dem Feuer kennst du wahrscheinlich schon«, hob er an und die Flammenfarbene nickte aufmerksam.

»Hm. Danach ist der Stamm des jagenden Feuers - oder besser das, was von ihm übrig geblieben ist - aus der Wüste hinausgereist, auf dem Weg zu keine-Ahnung-wem, weil Felsenseher meinte, wir müssten dahin, woher wir gekommen sind.
Kompletter Irrsinn, wenn du mich fragst! Wir haben doch schon immer hier gelebt. Naja, jedenfalls hat er noch was von »Vier« und »Fünf« erzählt, aber das war kurz nach dem Feuer und wir waren alle etwa so aufnahmefähig wie sterbende Rennmäuse.«

Er war überrascht, dass Funke es geschafft hatte, so lange ihre Schnauze zu halten. Tatsächlich hatte sie bisher nicht ein Wort gesagt, zappelte aber und knetete mit den Pfoten den Boden, bevor sie schon die nächste Frage stellte.
»Aber wenn der Stamm irgendwohin weitergereist ist, warum bist du dann hier?«

»Stimmt. Da war ja was.
Also... wir waren gerade in einem Wald und wollten weiterziehen. Verständlich bei dem ganzen Schnee! So kalt, dass dir die Pfoten abfrieren.«
Funke und Sonne sahen ihn verwirrt an, sicher hatten beide noch nie von Schnee gehört, geschweige denn gesehen.

»Das ist... sowas wie Wasser, aber gefroren. Und es fällt vom Himmel. Und es ist einfach grässlich kalt!«

»So kalt wie die Wüstennacht?«

»Viel kälter!
Naja, der Schnee tut nicht wirklich etwas zur Sache. Jedenfalls hat Felsenseher mir etwas erzählt, von einer Prophezeiung, die etwas vom »Blut des Falken« sagt und etwas von »Felsen aus Flammen«. Er meinte, ich müsse unbedingt zurückkehren und das Blut des Falken holen. Ich hab immer noch keine Ahnung, warum ausgerechnet ich das machen soll, aber jetzt bin ich nunmal hier, meinem Orientierungssinn sei Dank!

Ob die Prophezeiung das so vorgesehen hat, dass ich dich abholen soll, bezweifle ich, aber von allein bekommst du scheinbar das Hinterteil nicht hoch.«

Funke wirkte etwas überrumpelt, aber auch empört.
»Ich bin mein Leben lang durch die Wüste gelaufen, nur um zu diesen Felsen zu kommen und du willst mir erzählen, dass ich wieder zurückmuss?«

Ȁhm. Ja.
'tschuldigung, aber ich konnte mir das auch nicht aussuchen. Kommt ihr jetzt? Wir verschwenden Mondlicht.«

Echo hatte es endlich geschafft, aus diesem Loch der Trauer herauszuklettern, hatte sich damit abgefunden, dass seine Familie tot war, aber das Leben weiterging. Nun, da Sonne doch noch am Leben war, fühlte er sich fast wieder wie er selbst.
Überrascht sah er, wie seine Mutter angstvoll den Kopf schüttelte.
»Ich gehe nicht raus. Nicht nachts.«

Er nickte und drehte sich stattdessen zu Funke.
»Wollen wir so lange jagen?«

Die kleine Kätzin hätte eigentlich erschöpft sein müssen, doch ihre Augen leuchteten durch die Nacht und sie nickte eifrig.
Die beiden tappten hinaus in die Nacht, ein vollkommener Halbmond über ihnen ließ den Nachthimmel erstrahlen und tauchte die Wüste in ein silbernes Licht, wo die feinen Sandkörnchen zu funkeln begannen und die endlosen Sandhügel in ein Sternenmeer verwandelten.

»Kannst du überhaupt jagen?«
Die Frage schlüpfte aus seinem Maul, ohne, dass er etwas dagegen tun konnte.
Doch sie war berechtigt, wenn man sich die mickrige, dürre Kätzin anschaute.

Funke schnurrte nur belustigt.
»Wenn du Mäusehirn mal aufhören würdest, zu reden, könnte ich es.«

»Ist ja gut«, brummte er und sog die klirrend klare Luft ein.
Nichts. Nicht mal ein Käfer. Wahrscheinlich hatte das Feuer alles Lebendige ausgelöscht.
Sein rebellierender Magen war anderer Meinung.
Er rührte sich erst einmal nicht; vielleicht kamen dann diese Viecher heraus.
Vergeblich, nur die Winde wirbelten Sand auf.

»Echo! Pass auf!«
Funkes Schrei war derart durchdringend, dass er wie ein verschrecktes Kaninchen mit allen vier Pfoten in die Höhe sprang.
Da sah er die Schlange.

Braun gemustert, dreieckiger Kopf und schlitzförmige Pupillen -
Eindeutig giftig.
Das gefährliche Tier schoss wie ein Pfeil auf ihn zu, schillernde Gifttropfen glänzten an den Spitzen der langen Zähne.
Einen Moment lang schien die Zeit stillzustehen. Unerträglich langsam schob sich die Schlange auf seine Kehle zu und er war wie gelähmt vor Schreck. Gleich. Gleich würde sie ihn töten.
Im Wissen, dass er sterben würde, schloss er die Augen.

Doch der Schmerz der Schlangenzähne blieb aus.
Als er verwirrt die Augen wieder öffnete, sah er Funke keuchend vor ihm stehen.
Und unter ihr den schlaffen Körper der Schlange.
Etwas beschämt senke er den Blick und spürte, wie ihm die Hitze in die Ohren stieg. Eine höchstens sechs Monde alte, halb verhungerte Kätzin hatte ihn, der in der Wüste aufgewachsen war, vor einer Schlange gerettet! Wie peinlich.
»Danke«, nuschelte er.

»Kein Problem! Hättest du ja auch gemacht. Immerhin haben wir jetzt was zu essen.«

Die Katzen schleppten ihre Beute zurück in die Höhle, wo ihnen eine erleichterte Sonne entgegensprang.
»Gut, ihr seid da! Es ist grauenvoll hier drin! Am besten, wir fressen schnell und gehen dann sofort los.«

»Könntet ihr mir bitte mal erklären, wohin wir gehen?«, forderte Funke.

»Das weiß Echo. Stimmts?«

»Ähm... so gut wie. Die Richtung kenne ich!«
Ihm war bewusst, dass das vermutlich für Sonne und Funke eine mehr als hirnrissige Idee war, und genauso starrten die beiden ihn an.

»Na dann los!« Funke gab sich einen Ruck, scharrte Sand über die Knochen der Schlange und marschierte aus der Höhle hinaus.
Diese Katze schien unerschöpfliche Energie zu haben.
Die wird sie auch brauchen, dachte Echo, der wusste, wie weit der Weg allein aus der Wüste hinaus war.

»Und wie finden wir jetzt den Weg?«, zweifelte Sonne.
Funke hob nur den Kopf gen Himmel und deutete mit der Schnauze auf einen Falken, der über ihnen kreiste.

Echo war unfassbar verwirrt.
Doch er wusste ja, dass die drei Katzen auf ihrer Reise genug Zeit für Erklärungen hatten.
Ebendiese Reise hatte gerade begonnen und er musste sich eingestehen, dass er keinerlei Ahnung hatte, wohin sie führen würde...

Warrior Cats - Sternenpfade || Band I-IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt