56. Kapitel

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»Schneller! Höher! Höher!
Na also, geht doch.«
Eis' lobendes Miauen hallte geisterhaft an den Stämmen der modrigen Bäume wider, als sich Wildherz erneut auf die kräftige braune Kätzin stürzte. Flammender Schmerz züngelte an ihrem Bein entlang, als sich die blutigen Fangzähne in ihre Vorderpfote schlugen, tief und unbarmherzig.

Sie zwang sich, nicht aufzujaulen, und zog der Kriegerin mit voller Wucht ihre langen Krallen quer über das Gesicht. Die Braune ließ von ihr ab, feuerrotes Blut sickerte aus den Wunden.
»Der Kampf ist vorbei. Gut gemacht«, schnurrte der Silberweiße. »Du kannst gehen«, wies er dann die braune Kriegerin an, die sich knurrend verzog.

Das Brennen in ihrem Bein wurde zu einem Pochen und nun stellte sie die Frage, die ihr schon die ganze Zeit über auf der Zunge lag.
»Was ist der Plan? Was soll ich tun?«, fragte sie ihren Mentor. Er hatte schon so oft davon erzählt, dass sich alle Krieger im Wald der Finsternis auf den großen Tag vorbereiteten.

Eis schnurrte, in den Tiefen seiner blauen Augen lag nun etwas wie Heimtücke.
»Ich kann dich nicht vollkommen einweihen, aber deinen Teil kann ich dir verraten, Wildherz. Und ebendieser Teil könnte entscheidend sein. Aber bevor ich dir alles erzähle, musst du schwören, dass du ihn ausführen wirst, ohne jemandem davon zu erzählen.«

Kurz blitzte Misstrauen in ihr auf, eben dieses Misstrauen, das sie allen Katzen außer ihren Mentoren, ihren Eltern und Blitzpfote entgegenbrachte. Doch sie besann sich eines Besseren. Eis hat mir immer geholfen. Er hat mich vor Verrätern gewarnt und mich zu einer großartigen Kämpferin gemacht. Warum sollte ich ihm nicht trauen?

»Ich schwöre es.«

»Gut«, meinte der Krieger. »Aber lass uns an einen Ort gehen, an dem niemand uns findet.«
Und das taten sie. Bald überdeckte der modrige Pilzgestank alle Katzengerüche, und als Eis ihr erzählte, was sie tun sollte, bereute sie fast, ihm geschworen zu haben, den Teil einzulösen.

***

»Ach komm, wir möchten doch nur kurz einen Spaziergang machen. Wir sind gleich wieder da und es sind immerhin deine Geschwister.«

»Meine Geschwister! Pah. Seit die beiden auf der Welt sind, interessiert ihr euch einen feuchten Dreck für Blitzsprung und mich.«
Wildherz musste sich beherrschen, um ihrer Mutter nicht die Krallen überzuziehen. Es stimmte doch, was sie sagte! Sie konnte sich nicht an ein vernünftiges Gespräch in den letzten zwei Monden erinnern, in denen Ahornsprung und Flussecho nicht mit den Jungen beschäftigt gewesen waren.

»Das stimmt doch überhaupt nicht. Aber die Kleinen brauchen nunmal mehr-«, wollte Ahornsprung sich verteidigen.

»Und deshalb existieren wir plötzlich nicht mehr!?«, unterbrach sie ihre Mutter fauchend, ihre Krallen gruben sich tief in den Boden.

»Schon gut, schon gut«, mischte sich Flussecho nun ein. »Wir können bestimmt eine andere Katze fragen, ob sie so lange auf die beiden aufpassen kann. Flammenpfote vielleicht oder Aschenschwinge.«

»Aschenschwinge!?«, keuchte sie ungläubig. »Ihr wollt dieses Stück Fuchsdung mit den Jungen alleinlassen? Wer hat euch in den Kopf geschissen?«

»Wildherz!«, mahnte Ahornsprung sie nun streng und baute sich vor ihr auf, obwohl ihre Tochter inzwischen so groß war wie sie.
»Wir werden Aschenschwinge nicht mit den Jungen alleinlassen. Aber dich. Ende der Diskussion. Später können wir reden, aber bitte stell doch nicht an, als wärst du vier Monde alt!«

»Dann geht halt! Und lasst euch ruhig Zeit, ich werde euch nicht vermissen!«, fauchte sie, Zorn brodelte in ihr. Doch Ahornsprung und Flussecho tappten schon Seite an Seite aus dem Lager.

Ihr noch immer gesträubtes Nackenfell legte sich ganz langsam wieder an, sie richtete den Blick auf die gerade spielenden Jungen. Auf Geisterjunges, der wirklich aussah wie ein Geist mit seinem hauchdünnen weißen Fell und den blutroten Augen. Und seine Schwester Falterjunges, die hübsch und klug war zugleich. Wildherz hätte am liebsten den Kopf auf den Boden gerammt. War sie ernsthaft neidisch auf ein Junges?

Ja, das war sie. Wenn auch anders. Sie wollte ihre Eltern zurück. Ebendiese Eltern, die stets zu ihr gehalten, immer hinter ihr gestanden hatten. Auf die sie sich verlassen konnte. Die sie liebte.

»Na, musst du auf die Jungen aufpassen? Freust du dich etwa nicht?«
Die etwas spöttische Stimme ließ sich ihr Nackenfell sofort wieder aufstellen.
Der langbeinige graue Kater, der sich neben sie setzte, nervte sie jetzt schon.

»Was willst du?«

»Ach, nichts. Aber, falls es dich interessiert, ich bin jetzt Teil deines Clans.«

»Red' keinen Mäusedung.«

»Ohh, das tue ich nicht! Windstern hat mich angehört und im Clan willkommen geheißen. Die Zeremonie will sie Sonnenuntergang durchführen!«

»Wenn du da noch lebst«, knurrte sie sarkastisch.

»Ach komm, warum bist du immer so schlecht gelaunt? Wusstest du eigentlich, dass du Teil einer Prophezeiung bist?«
Echopfote blickte sie beifallheischend an.

Die Schildpattfarbene war enttäuscht. Das war seine Information gewesen?
»Ja.«
Immerhin weiß ich jetzt, dass Aschenschwinge mich nicht angelogen hat.

»Also schön. Aber wusstest du auch, wie sie lautet? Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass du gaaanz kurz davor bist, einen verdammt großen Fehler zu machen und absolut keine Ahnung hast, was du tun sollst.«
Echopfote war noch immer so freundlich und fröhlich wie vorher.

»Was geht dich das an?«, fauchte sie nun, rutschte weiter von ihm weg. Sie machte keinen Fehler, sie war nur der Katze treu, die sie zu der gemacht hatte, die sie war!

»Hm. Vielleicht bin ich nicht ganz so scharf darauf, dass alle Clans deinetwegen untergehen. Ich will dir nur eine kleine Information zukommen lassen - dein Teil der Prophezeiung lautet »Das dunkle Feuer wandelt bereits auf finsteren Pfaden«. Versteh mich nicht falsch, ich habe absolut keine Ahnung von dir, deinem Leben oder dem Fehler, den du machen wirst. Aber ich weiß, dass du und diese anderen Katzen entscheiden werden, ob wir alle draufgehen!«

Er war lauter geworden und senkte erst wieder die Stimme, als die kleine Falterjunges ihre großen Augen, die noch blau waren wie die fast aller Katzenjungen anfangs, auf ihn richtete.
»Ich kenn dich«, maunzte sie, bevor sie sich wieder ihrem winzigen Bruder zuwandte.

Einen Moment lang blickte Echopfote irritiert drein, dann wechselte sein Gesichtsausdruck binnen weniger Herzschläge zu amüsiert, besorgt, dann fast panisch.
»Schlangendreck«, fluchte er, sein Nackenfell stellte sich auf und seine warmen grasgrünen Augen richteten sich auf etwas hinter Wildherz.
Die Schildpattfarbene drehte sich um und erkannte vier Katzen am Lagereingang stehen. Einer weiß, der Zweite dunkelgrau und muskulös, der Dritte riesig und langhaarig und an der Spitze ein nachtschwarzer Kater mit Augen, die auf den ersten Blick aussahen wie die von Eis, kalt und hellblau.

Sie erkannte den Schwarzen - es war Nachtfluss, der Zweite Anführer des FlammenClans.
Endlich werde ich diesen Fellball los.

Aber irgendetwas in ihr wollte ihn nicht loswerden.
Was, wenn er recht hat? Wenn ich gerade dabei bin, einen großen Fehler zu machen?

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Vielen Dank für die vielen Kommis meiner lieben Leser! Das motiviert voll xD

Warrior Cats - Sternenpfade || Band I-IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt