63. Kapitel

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All die Klauen, all das Blut brachen über Wildherz herein wie eine rote Flutwelle. Im Himmel schien eine noch viel brutalere Schlacht zu toben, keine Sterne leuchteten mehr am Silbervlies, nichts als gähnende Leere, endlose Finsternis.
Mit einem Mal schwand die Taubheit von ihrem Geist und die eiskalte Erkenntnis packte sie mit eisernen Klauen. Das war alles so surreal, dass die junge Kriegerin es kaum glauben konnte.

Auf wessen Seite sollte sie kämpfen? Auf wessen Seite stehen? Es fühlte sich an, als würde etwas von innen an ihr reißen, sie zerfetzen wie ein Fuchs ein Junges.
Noch immer klebte Blut an ihren Pfoten und es war ihr mit einem Mal nicht mehr egal. Sie war geschockt von sich selbst, zu so etwas fähig gewesen zu sein, und suchte verzweifelt im riesigen Meer aus Pelzen bekannte Gesichter. Da kämpfte Himmelglut, die etwas träge Kriegerin, mit einem dürren, aber brutalen weißen Kater, und sie sah Dornenfeuer und den Zweiten Anführer des FlammenClans kämpfen - Seite an Seite, gegen Farnnebel.

Wem kann ich hier noch trauen? Viele, viel zu viele Katzen schienen plötzlich die Seite gewechselt zu haben, ein schwarz-weißer EisClan-Krieger kämpfte gegen einen langbeinigen Clan-Gefährten, ein FlammenClan-Kater schlug einer Schülerin die Beine unterm Körper weg und nagelte sie an den Boden.

Das war zu viel, selbst für Wildherz, sie wäre am liebsten im Boden versunken. Dabei sollte sie sich doch freuen... sie liebte doch das Kämpfen, besonders, da sie so eine miserable Jägerin war!

Da entdeckte sie zwischen den blutigen Pelzen einen, der ihrer Meinung nach gern im Himmel kämpfen konnte.
»Was ist los, Wildherz? Alle kämpfen um dich herum und ausgerechnet du stehst nur hier herum? Komm, hilf uns!«
Der silberweiße Kater starrte sie an, und sie fühlte sich, als könne er durch sie hindurchblicken. Er wusste ganz genau, dass in Wildherz gerade eine Schlacht tobte. Eis' Stimme klang seltsam, sie hallte an den Bäumen und Felsen wider.

»Das weißt du.«

»Wildherz! SternenClan sei Dank, ich dachte, du wärst tot! Aber es geht dir gut.«
Mit leuchtenden Augen kam von der anderen Seite Blitzsprung angerannt, Erleichterung lag in ihrem smaragdgrünen Blick.
»Was ist los?« Ihre Schwester schien verwirrt von Wildherz' eisiger Miene zu sein, vom Blut auf ihrem Fell und den Blicken, die sie mit Eis wechselte.
»Kennt ihr euch?«

»Oh ja, wir kennen uns. Besser wahrscheinlich, als du denkst.«
Wildherz legte unwillkürlich die Ohren an, ihr Nackenfell sträubte sich. Wollte Eis sie jetzt an ihre Schwester verraten? Sollte er doch!

»Du... du bist...«, keuchte Blitzsprung, schien so geschockt, dass sie nicht weitersprechen konnte.

Eis nickte, ein spöttisches Funkeln lag in seinen Augen.
»Immerhin eine von euch hat den Geschichten vernünftig zugehört.«
Ehe Wildherz eine empörte Frage stellen konnte, wollte ihre Schwester schon davon springen, für ihren Clan kämpfte, auch wenn man ihr ansah, wie widerstrebend sie Katzenblut vergoss.
»Oh nein«, schnurrte der Silberweiße, »du bleibst schön hier.«
Er stellte sich der rotschwarzen Kätzin in den Weg, seine Krallen blitzten wie Sichelmonde. Sofort stolperte die junge Kriegerin zurück, furchtsam glänzten ihre Augen.

»Also, Wildherz. Entscheide dich.«

Die Worte trafen sie wie Donnerschläge. Ihr ganzes Leben lang hatte sie beides haben können - das Training im finsteren Wald und ihren Clan. Doch jetzt wurde ihr mit einem Mal klar, dass sie sich für eine Seite entscheiden musste.

Licht oder Schatten. Eis oder ihr Clan.
Sie hätte sich ohne zu zögern jederzeit für ihren Clan entschieden, wenn dieser sie akzeptiert hätte. Doch sie war seit ihrer Schülerzeit stets eine Außenseiterin gewesen. Hatte sich verstellen müssen, um gemocht zu werden und der Ort ohne Sterne war ihr wie ein Zufluchtsort vorgekommen. Dort war sie trainiert worden, dort konnte sie die Katze sein, die sie war und sein wollte, musste nicht so tun, als wäre sie eine fromme, liebe Kätzin.

Doch jetzt blickte sie auf die Schattenseiten dessen, was Eis aus ihr gemacht hatte: Eine misstrauische, abweisende Einzelgängerin, eine unfähige Jägerin. Eine Katze, die praktisch niemandem mehr vertraute.
Wenn Eis sie nicht trainiert hätte... was wäre anders gekommen? Wäre sie noch immer das fröhliche, naive Kätzchen?

»Wildherz, warum wartest du so lange? Siehst du nicht, was er aus dir gemacht hat? Glaubst du, ich sehe nicht das Blut an deinen Pfoten, die Narben auf deiner Seele? Weißt du nicht, wer er ist?«
Blitzsprungs Jaulen klang verzweifelt, flehend, ihre Worte greifen nach dem Herz der Schildpattfarbenen.

»Ohne mich wärst du nichts. Sei nicht albern, du bist keine dieser schwachen, verweichlichten Kätzchen, die sich Krieger nennen. Die Sterne haben dich im Stich gelassen. Dein Clan hat dich im Stich gelassen. Ich nicht. Willst du dich wirklich gegen mich wenden? Mir, dem du alles verdankst?«
Eis' Stimme hallte in ihr wider, unerträglich lange und laut, auf eine seltsame Weise, als würden sich seine Worte tief in ihre Seele eingraben.

Wildherz fühlte sich, als wäre sie innerlich zerrissen. Als wäre ein Splitter ihrer Selbst im Wald der Finsternis und einer in ihrem Clan. Es stimmte, ohne Eis wäre sie nie zu der Kriegerin geworden, die sie war. Doch Blitzsprung war die einzige Katze, von der sie genau wusste, dass sie sie liebte.

»Bitte, Schwester. Du würdest es bereuen, für den Ort ohne Sterne zu kämpfen! Bitte. Tu es für mich.«

»Ich hätte mehr von dir erwartet. Jetzt stell dich nicht so an und tu es.«

Was überhaupt tun? Für dich kämpfen?
Sie hob den Kopf und blickte in die flehenden Augen ihrer Schwester.
»Bitte«, hauchte Blitzsprung.

Sie traf eine Entscheidung.
Wildherz sprach aus, was sie unterbewusst doch schon die ganze Zeit über gewusst hatte. Was sie nicht wahrhaben wollte.
»Lebe wohl, Eisklang.«

Mit diesen Worten sprang sie auf und grub dem Krieger ihre Krallen in die Kehle.

Warrior Cats - Sternenpfade || Band I-IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt