29. Kapitel

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W I L D P F O T E

Der Augenblick hallte in ihrem Kopf wider. An allen erinnerte sie sich so genau, als wäre es gestern gewesen. Der graue Kater. Der Schüler. Die Schreie aus dem hohlen Baumstamm und die Katzen, die ihn bewachten. Dann der Schock, als der Krieger über ihr aufragte.

Und ebenso gut erinnerte sie sich an die Worte des Grauen, den er ihr ins Ohr gezischt hatte, bevor Eis dazwischen gegangen und ihn vom Sternenlosen Ort vertrieben hatte.

»Es ist deine Schuld! Deine Schuld, dass sie mich verstoßen haben.
Du hast meine einzige Chance zerstört! Ich hätte an deiner Stelle sein sollen. An mich sollte man sich erinnern, nicht an dich. Aber glaub mir, es ist noch nicht vorbei. Du wirst bekommen, was du verdienst. Ihr alle!«
Das waren seine Worte gewesen. Und obgleich sie noch immer keine Ahnung hatte, wovon der Krieger gesprochen hatte, so hätte sie sofort merken müssen, wem diese hasserfüllten, eiskalt funkelnden blauen Augen gehörten, schließlich brannten sie sich jeden Tag in ihren schildpattfarbenen Pelz.

Es war nicht das irritierende zweigeteilte Gesicht, das Aschenschwinges Hass schürte, es war etwas viel tiefer liegendes. Die Abneigung des grauen Katers war mittlerweile zu leidenschaftlichem Hass geworden.

Der Bruder ihres Vaters musterte sie kalt, doch ein höhnischer Ausdruck und der Hauch eines Nickens verriet ihr, dass er wusste, was sie eben begriffen hatte.

Einen Herzschlag lang starrten sich die verfeindeten Katzen einfach nur an.
Alles in ihr schrie danach, diesem Fuchsherz den höhnischen Blick aus dem Gesicht zu fetzen und grub stattdessen frustriert ihre spitzen Krallen in den Boden ihres Nestes.

Warum? Was hatte dieses Stück Mäusedung gegen sie?
Felsenfest nahm sie sich vor, das herauszufinden.

»Heute Nacht«, zischte sie so leise, dass nur Aschenschwinge ihre Worte vernehmen konnte. Das »im Wald der Finsternis« sprach sie nicht aus und doch wussten es sie beide.
Wieder nickte der Graue unmerklich.

»Kann ich bitte allein mit ihr sprechen?«, erklang da eine allzu vertraute, sehr helle Stimme, bei der sich Wildpfotes Körper unwillkürlich entspannte.

»Nein!«, fauchte Falkenfeder sofort.
Was zum Wald der Finsternis macht der hier?

»Doch, Falkenfeder«, miaute Blitzpfote ruhig und bestimmt.

»Nein! Was, wenn sie dich angreift?«

»Wildpfote wird mich nicht angreifen. Sie ist meine Schwester.«

»Du Dummkopf! Sie hat dich doch angegriffen! Rede das nicht schön, Blitzpfote, sie ist ein Monster!«

»Ist sie nicht! Du kennst sie doch kaum. Alles, was du über sie weißt ist, was Aschenschwinge dir immer vorredet.«

»Wie kannst du es wagen!«
Falkenfeders Krallen gruben sich in den Boden und seine Stimme bebte vor Wut.
»Ich habe jeden ihrer erbärmlichen Schritte gesehen, seit sie Schülerin ist. Ich habe gesehen, wie unfähig sie als Jägerin ist und ich habe auch gesehen, wie sie dich fast umgebracht hat! Deine ach-so-tolle Schwester kommt nicht damit klar, dass du die bessere Kriegerin bist und will einfach in irgendetwas besser sein als du, Blitzpfote.«

»Sag das noch einmal und ich kratze dir deine erbärmlichen Augen aus diesem hässlichen Gesicht!«
Eine helle, schildpattfarbene Kätzin war vorgetreten und peitschte voller Wut mit dem Schweif.

Aus Falkenfeders Rachen drang ein heiseres Kichern.
»Du, Ahornsprung? Versuchen kannst du es, aber selbst ein Schüler könnte dich besiegen.«

Grollend schob sich nun Flussecho vor seine Gefährtin.
»Halt deine widerliche Schnauze, du Haufen Hasendreck, oder ich zerfetze jedes Haar in deinem stinkenden Pelz! Sie erwartet Junge!«

»Ach, Flüsschen. Du erinnerst dich, dass ich dich schon besiegt habe, als ich in der Kinderstube war? Du bist ein genau so schlechter Kämpfer wie deine Gefährtin.«

»Falkenfeder! Hör auf!«, warnte Löwenmut ruhig.

»Du hast mir doch beigebracht, niemals zu lügen?«

Das reichte Wildpfote. Sie schüttelte die Müdigkeit ab und spürte wieder diese Wut in sich aufsteigen, diesen unbändigen Hass und ehe sie es sich versah, stand sie mit gebleckten Zähnen nur eine Mäuselänge von Falkenfeder entfernt.

»Was habe ich euch gesagt?«
Triumphierend blickte der haselnussbraune Kater auf sie herab.

Obwohl sie mit allen Mitteln dagegen ankämpfte, drohte sich wieder dieser Schleier vor ihre Augen zu legen.
Nichts hörte sie mehr, nur eine helle, besorgte Stimme.
»Wildpfote! Das ist genau, was Falkenfeder will. Gönn ihm das nicht, Schwester. Bitte.«

Beim Klang von Blitzpfotes Miauen schien sich der Schleier etwas zu lichten, ihre Wut ebbte ab, nur um einen Herzschlag später aufzuflammen wie ein Inferno.
Greif ihn an! Mach schon! Er hat deine Eltern beleidigt! Dich auch. Und er nimmt nichts davon ernst. Du musst ihm eine Lektion erteilen!
Eis' Befehl hallte in ihr wider und
unwillkürlich fuhren sich Wildpfotes Krallen aus, der Schleier verdunkelte sich, bis wieder eine Stimme in ihr Bewusstsein drang.

»Greif ihn nicht an, Wildpfote. Tu es für mich.«

Zerfetz ihm seine jämmerliche Schnauze!

»Bitte.«

Tu es!

Die beiden Stimmen führten schier einen Kampf, schienen sie von innen zu zerreißen.
Lass mich in Ruhe!, schleuderte sie dem finsteren Krieger entgegen, schüttelte den wirren Kopf, damit sich der Schleier löste, drehte sich um und trottete mit gesenktem Blick aus dem Heilerbau.

Sie tappte aus dem Lager heraus, trabte, lief und jagte schließlich über die Erde, rammte ihre Krallen in den Boden und spurtete weiter, ließ ihren Blick über den sternenübersähten Himmel schweifen.
Wie eine silberne Scheibe stand der Halbmond über ihr und verriet, dass Moosstrahl und seine neue Schülerin Flammenpfote sich wohl gerade mit den anderen Heilern trafen und sich mit dem SternenClan die Zunge gaben.

Unbewusst war sie langsamer geworden und nun hielt die schildpattfarbene Kätzin vor einem dicht mit Heide bewachsenen Hügel an, der im Mondlicht wie ein violettes Sternenmeer wirkte.

Erinnerungen quollen in ihrem Kopf ans Licht. Genau hier hatten Blitzpfote und sie gespielt, an ihrem ersten Tag als Schülerinnen. Dann war das Erdbeben gekommen.

Hinter ihr hörte sie Pfotenschritte. Wildpfote fuhr herum und blickte in zwei besorgt leuchtende, smaragdgrüne Augen.
»Blitzpfote«, meinte sie nur.

»Wildpfote. Du... ich... was war da mit dir los? Als wir gekämpft haben, meine ich. Das warst doch nicht du.«

Wildpfote wandte den Blick ab, ihre Ohren glühten, als sie ihrer Schwester das Herz ausschüttete.
»Ach, Blitzpfote! Es tut mir so leid! Ich... Ich weiß es nicht. Da war so ein Schleier vor meinen Augen, ich habe nichts mehr gespürt außer die Wut.«

Die schwarzrote Kätzin riss die Augen auf.
»Wut worauf? Habe ich etwas falsch gemacht?«

»Nein...
Du kannst nichts dafür. Es ist nur so... du bist eine so viel bessere Jägerin als ich und ich wollte einfach beweisen, dass ich auch etwas gut kann. Ich war wütend auf mich selbst, weil ich so eine Versagerin bin.«

»Aber Wildpfote! Du bist doch keine Versagerin! Erinnerst du dich nicht, dass du mich in Wettspringen immer besiegt hast? Und wenn wir Kampf gespielt haben, lag ich am Ende immer unten.« Liebevoll legte Blitzpfote ihr den Schweif auf die Schulter.

»Na, wenn du das sagst.« Ein leises Schnurren stieg in ihrer Kehle auf.
»Wer zuletzt beim Mondfall ist, ist ein lahmer Dachs!«, quiekte sie dann und machte einen flinken Hüpfer, bevor Blitzpfote sie umwarf.
Und so spielten die Schwestern in der Heide wie zwei kleine Kaninchen, wie an ihrem ersten Tag als Schülerinnen.

Nur, dass diesmal kein Erdbeben die Stille zerriss, sondern ein wütendes Heulen.
Sie schreckten hoch und erkannten eine riesige Katzengruppe mit gesträubten Pelzen und gebleckten Zähnen, die quer durch ihr Territorium jagte.
An der Spitze, ein gewaltiger schneeweißer Kater mit eiskalt funkelnden Augen.

Warrior Cats - Sternenpfade || Band I-IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt