10. Kapitel

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S C H A T T E N P F O T E

Ein schriller Schrei. Schattenpfote fuhr herum und sah eine junge schildpattfarbene Kätzin auf dem Boden kauern, neben einem dunklen Fellbündel. Entsetzt spurteten schon Katzen verschiedenster Clans über das Gras.

Was ist das?, fragte sich Schattenpfote entsetzt. Wie von selbst begannen seine Pfoten, sich zu bewegen und er eilte zu den anderen Katzen, die sich schon dicht um den Ort des Geschehens drängten. Er hörte ängstliche Rufe, Fragen und wirres Gemurmel, bis eine drahtige, hell-graubraune Kätzin sich durch die Menge drängte und die meisten Katzen respektvoll zurücktraten.

Das muss Windstern sein.

Sie bemühte sich sichtlich, ruhig zu bleiben, doch als sie die am Boden liegende Katze entdeckte, fuhr ein heftiges Beben durch ihren gesamten Körper, sie zitterte und stieß mit weit aufgerissenen Augen einen heiseren Schrei aus.

"Schattenpfote!", stieß sie hervor.

Was? Ich? Schattenpfote war heillos verwirrt. War er gemeint? Scheinbar nicht, denn er wurde von allen Katzen vollkommen ignoriert. Besonders gut passte sein Name ohnehin nicht zu ihm.

Falscher Zeitpunkt, um über so etwas nachzudenken! Er riss sich zusammen und überlegte, ob er irgendwie helfen konnte.

Windsterns Reaktion ließ ihn vermuten, dass es sich bei der Verletzten um eine SturmClan-Katze handelte. Wie hieß nochmal der SturmClan-Heiler? Moosstrahl? Honigwolke hatte ihm vor Beginn der großen Versammlung alle Heiler vorgestellt.

Schnell drehte er sich um, preschte zurück zu den Heilern und schrie: "Moosstrahl!"

Ein graubrauner Kater hob den Kopf, knurrte irgendetwas, dann sprang er in Richtung der sich auflösenden Menge aus Pelzen.

"Schattenpfote? Was ist da passiert?", drängte Honigwolke.
Erst jetzt kam der Schock für den jungen Kater, dessen Geist vorher eine seltsame Taubheit verspürt hatte.

"Eine... Katze lag da im Gras." Er zitterte, zwang sich aber, weiterzusprechen. "Sie sah... sehr schwer verletzt aus."

Besorgt nickte die Heilerin, bevor sie ihrem rot-weißen Kopf etwas in den Nacken legte-
Und zusammenzuckte.

"Sieh nur, der... der Himmel!"

Schattenpfote riss den Kopf hoch.
Vor den Mond hatten sich Wolken geschoben, die ihn vollständig verdeckten. Nicht ein einziger Stern war dort am rabenschwarzen Himmel, an dem sich eigentlich das Silbervlies befand, zu sehen. Nichts. Nichts als Finsternis.

Bestürzt richtete er den Blick erneut auf die Lichtung, doch sie war wie in dichten Nebel gehüllt. Immer dunkler und dichter wurde der Nebel, bis er alle Katzen, alle Bäume und schließlich sogar den Mondfall verschluckte.

Ängstlich taumelte der silberne Kater herum, bis sich die undurchsichtige Luft langsam wieder klärte. Er blinzelte. Um ihn herum stank es nach modrigen Pflanzen, es herrschte ein schwaches, dämmriges Licht.

Als sich Schattenpfote vorsichtig umschaute, schienen blitzende Augen ihn von überall her anzustarren und ihm einen Schauer über den grauen Rücken zu jagen.

Der Heilerschüler zitterte, als ihm die Erzählungen von Sonnenglanz, als er, Kleepfote und Eulenpfote noch Junge gewesen waren, einfielen. Dieser Ort passte genau auf Sonnenglanz' Beschreibung des Ortes ohne Sterne.

Plötzlich zerfetzte ein Schrei die Stille. Schattenpfote fuhr herum. "Was war das?", quiekte er ängstlich.

Wieder ein Schrei. Bestürzt rannte er los, einfach nur weg von diesen Rufen. Doch egal, in welche Richtung er rannte, die Schreie wurden immer lauter, immer verzweifelter, bis sie seinen ganzen Körper füllten mit ihrem Schmerz und ihrer Angst.

Schattenpfote drehte sich, rannte wieder los, doch die Schreie kamen erneut näher, er drehte um, wollte wieder lospreschen, doch eine Wurzel versperrte dem grauen Kater den Weg. Wieder erklang ein Ruf. Wieder. Immer wieder.

Er hatte aufgegeben, zu fliehen. Vielleicht verstummten die Schreie ja, wenn er sich ihnen entgegenstellte. Langsam tappte er weiter und versuchte angestrengt, die Rufe zu ignorieren. Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, tauchte vor ihm ein riesiger Baum auf, an dessen Fuß ein paar Katzen mit dem Rücken zu ihm standen. Unwillkürlich kauerte er sich nieder und kroch in einen vergammelten Busch.

Die Rufe schienen von etwas in diesem Baum zu stammen, nun konnte Schattenpfote auch etwas verstehen. Verschiedene Stimmen, vier zählte der Schüler. Sie fluchten, riefen nach Hilfe.

Eine der Katzen vor dem hohlen Baum, eine kräftige braune Kätzin mit vernarbtem Fell, knurrte irgendetwas und stieß mit einer Pfote in ein großes Loch am Fuß des Baumes, vermutlich eine Art Eingang. Eine dunkelrote Pfote mit langen, ausgefahrenen Krallen, die einer zweiten Katze, einem schwarz-grauen Kater, ein Fellbüschel ausrissen, war die unmittelbare Antwort.

Heiliger SternenClan, wer sind all diese Katzen? Schattenpfote trat vorsichtig einen Schritt vor-
Nicht vorsichtig genug. Ein Zweig knackte unter seiner Vorderpfote, eine magere braune Kätzin fuhr herum und fixierte ihn mit durchdringenden grünen Augen.

Dann preschte sie los. Schattenpfote rappelte sich auf und rannte, so schnell, wie seine Pfoten ihn trugen, quer durch den finsteren Wald, doch er hörte hinter sich die Pfotenschritte der Kätzin immer lauter. Sie holte auf. Er hatte keine Chance, diese Katze war mindestens so schnell wie eine SturmClan-Katze!

SternenClan, steh mir bei!
Das war sein letzter Gedanke, bevor ihn dornenscharfe Klauen an der Flanke packten und umrissen.

Warrior Cats - Sternenpfade || Band I-IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt