65. Kapitel

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Völlig orientierungslos stolperte Schattenschwinge in der Masse aus Pelzen umher, vor seinen Augen verschwammen Blut, Klauen, Tod. Katzen mit Sternen im Pelz stürzten vom Himmel und blieben mit verkrümmten Gliedern liegen, bevor sie seltsam staubgrau wurden.

Der Heiler hatte noch nie in seinem Leben so viele Katzen gesehen. Der LichtClan war größer, als er erwartet hatte, größer als der FlammenClan gar. Stille Wasser sind tief...
Die vier Clans waren bestenfalls 130 Krieger stark, doch er sah auch Schüler und Älteste mitkämpfen - links von ihm walzte ein alter goldener Kater mit flammendem Blick eine EisClan-Kriegerin um.
Doch der Clan ohne Sterne war größer, wütender, mächtiger als sie alle zusammen. Zweihundert Krieger oder mehr, alle kämpften um ihr Leben. Viele Katzen schienen vergangene Bündnisse zu vergessen und ihre Gefährten zu verraten, noch mehr Katzen lagen regungslos am Boden und ein erstickter Schrei wollte aus seiner Kehle dringen, als er bekannte Pelze erkannte. War das Blütenfrost? Sturmläufer? SternenClan, sie hatte frischgeborene Junge!

Er war panisch. So viel Angst hatte Schattenschwinge noch nie in seinem Leben gehabt. Doch irgendwie schaffte der Heiler es, tief zu atmen. Wo war Funkenpfote? Wildherz?
Bestimmt wäre jetzt der perfekte Augenblick, irgendetwas Besonderes, Herausragendes zu tun, etwas, das die Zukunft der Clans bewahren könnte.

Doch Schattenschwinge war kein verdammter Held. Er war ein junger Heiler wie jeder andere, er war schwach und wollte einfach nur Frieden. All seine Versuche, eine friedliche Lösung zu finden, waren fehlgeschlagen, er war nichts.
Doch... wenn er die Clans nicht rettete - wer würde es dann tun?
Niemand.

»Funkenpfote! Wildherz!«
Durch die Umzingelung ihrer Feinde hatte Funkenpfotes Plan nicht funktioniert, also mussten die jungen Katzen nun improvisieren. Allein dieser Gedanke drehte Schattenschwinge den Magen um.

»Schattenschwinge!«
Funkenpfote strampelte sich mit blutüberströmtem Fell aus den Krallen einer wütenden ehemaligen SturmClan-Kriegerin - die nun auf der sternenlosen Seite zu stehen schien.
»Wir müssen Eisstern finden. Nur, wenn sie Frieden will, wird es Frieden geben!«
Federsterns Worte hallten in seinem Gedächtnis nach. Du wirst den Clans den Frieden bringen.

»Wir schaffen das!«, rief die kleine rote Kätzin. Die Hoffnung. Das Falkenblut.
Sie hinkte zu ihm herüber, in ihren Augen stand die gleiche Furcht wie in seinem Herzen. »Es ist soweit.«

»Aber ich bin es nicht«, murmelte er, mehr zu sich selbst.
»Wo ist Eisstern?«
Und da sah er den gewaltigen Berg aus Pelz und Blut. Schreie, die selbst den Kampflärm von Hunderten übertönten. Eine dunkelbraune Kätzin mit grässlichen Narben fetzte Eisstern die Kehle auf, ein silbergrauer Kater schien zu geschockt, um irgendetwas zu tun.

Dann erblickte er etwas Grausames. Etwas so Brutales hatte er noch nie im Leben gesehen - da lag der Körper der SturmClan-Anführerin Windstern. Oder zumindest das, was davon übrig war. Ihr Hals war völlig zerkratzt, sie lag in einer riesigen Blutlache, überströmt mit dem stinkenden Rot und mit trüb ins Leere starrenden Augen.

Schattenpfote wurde plötzlich übel, er erbrach sich vor seinen Pfoten beim Anblick des geschundenen Körpers. Der Gestank verätzte ihm die Nase, übertünchte den Blutgeruch.
»Da ist sie«, keuchte er. »Aber wir kommen nicht an sie ran!«

»Natürlich kommen wir an sie heran! Wir sind die Auserwählten, die anderen müssten uns doch respektieren.«
Funkenpfote sagte es so überzeugt und vollkommen ohne Arroganz, dass Schattenpfote ihr einen Moment lang beinahe geglaubt hätte.

»Du bist doch lebensmüde«, sagte er mit tauber Stimme. Um ihn herum starben Katzen wie die Fliegen, schon jetzt schätzte er fünfzig Tote oder mehr.

»Komm. Wenn du jetzt nichts tust und die Clans deshalb untergehen, wie würdest du dich fühlen?«, meinte Funkenpfote, die unterdrückte hörbar das Zittern in ihrer Stimme.
»Wenn wir es nicht tun, dann tut es niemand. Und wenn wir es nicht jetzt tun, dann tun wir es niemals.«

Da war etwas in ihrer Stimme, in dem Feuer ihrer Augen, das ihn zuversichtlich stimmte.
»Also gut«, stotterte er. »Lass uns die Clans retten. Aber was ist mit Wildherz?«

Aber Funkenpfote war schon losgesprungen. Schattenschwinge folgte ihr auf den Pfoten, rutschte in Blutlachen aus und sprang über die schlaffen Körper toter Krieger. Er tat alles, um wegzublicken, doch der junge Heiler erkannte wohl oder übel unerträglich bekannte leere Augen, sah Junge mit zerfetztem Fell.

Da tauchte vor ihnen der gewaltige Berg aus Fell auf, zwei junge Krieger - SturmClan, da war sich Schattenschwinge sicher, als er die dürren Beine sah - krallten sich in Eissterns blutüberströmtes Fell.
»Stop!«, jaulte Funkenpfote mit peitschendem Schweif, doch sie hätte genauso gut die Krieger anfeuern können. Sie schienen nur noch rasender auf die Anführerin einzuprügeln.

Wie aus dem Nichts stürzte sich ein schildpattfarbener Blitz auf den Kater der beiden Krieger, ein großer Grauer, und nagelte ihn an den Boden.
Sie warf ihm wilde Beleidigungen entgegen und grub ihre Krallen tief ins Fleisch des Kriegers.
»Wildherz!«, rief Schattenschwinge, als er die junge Auserwählte erkannte.
Doch was tat sie da? Sie schlug die eigenen blutigen Fangzähne tief in den Hals ihres Clan-Gefährten, ohne auch nur ein Funkeln in ihren verschiedenfarbigen Augen, ohne Zögern, ohne Reue.

»SternenClan, was tust du da!«, schrie die rote FlammenClan-Schülerin und wollte Wildherz von dem Krieger hinunterstoßen, doch ein krallenbewehrter Hieb traf sie an der Brust und schleuderte die kleine flammenfarbene Kätzin auf den vom Blut rutschigen Boden.

Zu geschockt, um etwas zu tun, beobachtete Schattenschwinge, wie der Graue unter Wildherz erschlaffte. Zufriedenheit blitzte in ihren Augen.
»Drei Verräter sind tot. Fehlt nur noch Eisstern.«
Und die Auserwählte schlug die Kriegerin weg, die sich ihr entgegen warf. Unnatürlich lang schienen ihre Klauen, Wildherz' dürre Beine waren nun muskelbepackt und sie wirkte mit den blutverschmierten Klauen wie eine Gestalt aus einer von Sonnenherz' Geschichten. Eine abgrundtief böse Gestalt.

»Ich habe nachgedacht, ob die Clans oder der Wald der Finsternis untergehen soll«, höhnte sie. Seit wann ist sie so groß? Die eigentlich schmächtige Kriegerin schien hoch über dem Heiler aufzuragen.
»Und ich habe mich entschieden.«
Schattenschwinges Herz schlug wie ein Donner in seiner Brust.
Bum. Bum. Bum.
Es schlug heftiger und heftiger, bis es drohte zu zerbersten - und schließlich einen, zwei Schläge aussetzte bei Wildherz' Worten.
»Sie werden beide untergehen.«
Damit grub sie auch der sich noch am Boden windenden Eisstern die Klauen in die Kehle.

Warrior Cats - Sternenpfade || Band I-IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt