58. Kapitel

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Angewidert kaute Schattenschwinge auf dem seltsamen Kraut herum. Es schmeckte wie dreimal durch den Sumpf geschleifter Krähenfraß und es bildete sich widerlicher grüner Schaum um seine Schnauze, bis er das Blatt ausspuckte.
Pah! Vielleicht haben sie alle recht. Katzen sollten Fleisch fressen...

Wenn er nur nicht immer so ein schlechtes Gewissen bekommen würde, wenn er Beute fraß. Es war, als würden die Mäuler stumme Schreie der Qualen ausstoßen, als würden die Augen ihn vorwurfsvoll anblicken. Diese unschuldigen winzigen Tiere taten ihm stets so schrecklich leid, dass er seinen Plan, Pflanzen zu fressen, in die Tat umsetzen wollte.

Sonnenglanz hatte er nicht einmal davon erzählt, sie würde ihn sofort für verrückt erklären, Eulenschrei und der Rest des Clans ebenfalls. Federstern hätte er sich vielleicht anvertrauen können, ebenso Kleepfote, doch er hatte nur Honigwolke davon erzählt - die Heilerin hatte schließlich noch am meisten von allen NebelClan-Katzen mit den Pflanzen zu tun.

Sie hatte vermutlich mit ihrer Freundlichkeit versucht, ihre Verwirrung über ein so lächerliches Vorhaben zu überspielen, doch das war ihm egal. Die Rot-Weiße hatte ihm dieses Kraut ganz genau beschrieben, doch der junge Heiler konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass man dieses ekelhafte Zeug essen konnte.

Ach was, ihm war so oder so nicht nach essen zumute, zu frisch waren die Erinnerungen an das blutüberströmte Fell im Regen, an die Grabesstimme seiner Clan-Gefährten. Erneut drohte eine Welle der Trauer, ihn zu überrollen und zu ersticken, doch er versuchte mit aller Macht, mit einem schwachen Damm aus Hoffnung dagegen anzuhalten. Alles in ihm sehnte sich danach, dass all das bald ein Ende hatte - keine Tragödien mehr, keine unnötigen Tode, keine Kriege oder seltsame Botschaften der Sterne. Er wünschte sich, die Zeit zurückdrehen zu können und eine andere Katze auszuwählen, die die Prophezeiung erfüllen sollte.

Eine Katze, die sich darüber freute, die stärker und klüger und mutiger war als Schattenschwinge. Er verdiente diese Ehre nicht und wollte sie auch nicht. Er wollte einfach nur normal sein. Glücklich.
Er wollte keinen Skrupel haben, Beute zu töten, wollte nicht zu schwach sein, um selbst klarzukommen oder so feige, dass er die Feinde zu einem fremden Clan lockte.

Aber... sollte es nicht schon vorbei sein? Eisschatten war tot, Froststern auch... aber was, wenn Eisschatten einen Nachfolger bestimmt hatte und dieser nun mit eisigen Krallen über die EisClan-Katzen herrschte?
Grausige Bilder schossen ihm durch den Kopf, Bilder voller blutbeschmierter Zähne, blitzenden Klauen und gefallenen Helden.

»Schattenschwinge! Schattenschwinge!«
Das glückliche Maunzen riss ihn aus seinen Gedanken und die hellbraune Kätzin, die plötzlich hinter ihm stand, blickte ihn mit einem Strahlen in den großen grünen Augen an.
»Stell dir vor - ich wurde heute nachgeprüft! Und ich habe bestanden! Gut, ich wäre bei der Kampfprüfung fast durchgefallen, aber ich habe es geschafft. Ich werde Kriegerin!«

Zum ersten Mal an diesem tristen Tag verspürte er Freude. »Das ist ja großartig, Kleepfote! Glückwunsch!«
Ein Schnurren rumpelte in seiner Kehle und beinahe wäre er in ein sumpfiges Stück Schlamm getreten, gerade so zog er seine graue Pfote weg. Seine Schwester würde Kriegerin werden, und sie würden du dritt mit Eulenschrei glücklich sein. Glücklich, wie normale Geschwister, die unter normalen Umständen Krieger und Heiler geworden waren.

»Oh, es tut mir leid! Morgenflügel ruft mich, sie will noch irgendetwas besprechen.« Mit diesen Worten hüpfte seine Schwester davon und verschwand im Schilf, genauso schnell, wie sie gekommen war.

Auf dem Wasser der zahllosen Tümpel im NebelClan-Territorium spiegelte sich das flammenfarbene Licht der untergehenden Sonne. Staub tanzte mit den Strahlen des glühenden Feuerballs und viele Baumlängen entfernt erkannte er über den Schilfstängeln die Kronen des LichtClan-Waldes aufragen, helle Weiden mit lichten Kronen.

Der LichtClan war in den letzten Monden noch distanzierter, noch ruhiger als sonst. Außerhalb von Großen Versammlungen sah man kaum ein Schnurhaar der am Fluss lebenden Katzen. Schattenschwinge wusste praktisch nichts über diese Katzen und sie zeigten sich trotz ihres lichten, durchschaubaren Waldes so selten, dass man glatt vergessen konnte, dass sie existierten.

Die Existens der Clans... dabei musste er schon wieder an all diese Tode denken, an das Gefühl, dass es noch nicht vorbei war. Er hatte Angst und das gab der junge Heiler gern zu. Er hatte Todesangst bei dem Gedanken, wie viel Blut noch vergossen werden würde. Die Krieger mochten ihn einen Feigling nennen, doch er wollte Frieden. Frieden. Mut. Hoffnung. Was hatte Federstern darüber gesagt? Er war derjenige, der den Clans den Frieden bringen würde. Er, der feige Heiler, der nicht einmal einer Fliege etwas zuleide tun konnte.

Den nagenden Hunger in ihm konnte er leicht ignorieren, und ohnehin hätte er sich einfach übergeben, wenn er irgendetwas im Magen gehabt hätte.
»Wovor habe ich eigentlich Angst?«, fragte er sich. »Das ist doch lächerlich! Eisschatten ist tot, wir können in Frieden leben und es wird nicht weiter diese schrecklichen Kämpfe geben, eben weil es niemanden gibt, der gegen uns kämpfen wollen würde.«

Er atmete tief durch, versuchte, sich zu beruhigen, und sah langsam, wie sie Sonne am Horizont verschwand. Die ersten Sternenkrieger begannen, kalt und fahl am Silbervlies zu strahlen und die Wolken färbten sich dunkel.
Unter seinen Pfoten begann plötzlich, Kälte zu kribbeln. Es ist doch fast Blattgrüne!

Überrascht erkannte er den Frost, der sich als schmaler Pfad vor ihm durchs Schilf zog. Wo der silberne Schleier sich seinen Weg gegraben hatte, da waren die Schilfstängel braun und abgeknickt. Schattenschwinge zitterte, halb vor Kälte, halb vor Angst. Stell dich nicht so an, du erbärmlicher Feigling!

Was war das? Ein Zeichen? Der Frostpfad führte eindeutig in Richtung Mondfall, lockte mit den kalten, filigranen Blüten. Zögernd setzte der Graue mit pochendem, nein, donnerndem Herzen eine Pfote vor die andere, die Kälte und die Furcht jagten ihm grausige Schauer über den Rücken. Als sich der Pfad vor ihm zur Lichtung hin öffnete, ragte, klauenspitz und im jungen Mondlicht schillernd, ein Eiszapfen in die Höhe.

Nein, dachte er. Es ist noch nicht vorbei.

Es hat gerade erst begonnen.

Warrior Cats - Sternenpfade || Band I-IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt