Kapitel 8: Der Malkurs

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Nach Feierabend mache ich mich sofortauf den Weg zum Campus und betrete das Gebäude, indem dieKunststudenten sind. Ein kleiner Hörsaal zur rechten Seite istoffen, also gehe ich direkt hinein.

Mehrere Stühle mit Tischen stehen imHalbkreis vor einem kleinen Podest. Einige Studenten sind bereits daund bauen sogar eine Staffelei auf, legen Ölfarben zurecht.

Ich setze mich ganz rechts vorn aufeinen Stuhl, öffne meinen Rucksack und hole einen schlichtenZeichenblock heraus. Gerade, als ich meine Bleistifte bereitlege,räuspert sich jemand neben mir. „Du bist neu hier, stimmt's?"

Ich schaue kurz zu dem jungen Mann aufund hebe kurz die Schultern. Das ist sicherlich Owen der mich nunbitten wird, den Platz zu wechseln. „Ja. Was hat mich verraten?",frage ich, lehne mich etwas zurück und schenke dem Studenten einbreites Lächeln. Am besten gehe ich direkt in den Flirtmodus. Charlyzuliebe.

„Nun, du sitzt auf meinem Platz",erklärt der junge Mann, der etwa in meinem Alter ist. Eher eineschmächtige Figur, blonde Locken und wirklich hübsche, grüneAugen. Allerdings ist er so gar nicht mein Typ. Trotzdem bleibe ichfreundlich und lehne mich ihm sogar noch ein Stück entgegen. „Echt?Steht hier etwa dein Name drauf?"

„Ja, ganz unten rechts. Owen."

Tatsächlich wandert mein Blick überden Tisch und ich sehe an besagter Stelle den Namen leichteingeritzt. Also besteht er wirklich immer auf diesen Sitzplatz.

„Oh, Touché. Damit habe ich nichtgerechnet", gebe ich zu und muss fast anfangen zu lachen. Er hatseinen Tisch markiert? Ernsthaft?! Daher hake ich direkt nach: „Sinddie besten Plätze nicht immer in der Mitte?""

„Ich zeichne die Personen lieber imProfil."

„Ich auch. Aber das liegt eher daran,dass ich es hasse, Nasen zu zeichnen", gebe ich offen zu, stehedabei auf und räume meine Sachen auf den Tisch links daneben.

Owen setzt sich nun auf den freienTisch und holt seine Sachen heraus.

„Wie läuft das hier gleich ab? DerKurs geht ja zwei Stunden... Steht das Model die ganze Zeit dort herum?"

Owen grinst kurz. „Sitzen, stehen,liegen... Besonders cool sind die Yoga-Figuren von Charlotte. Undjede Pose dauert unterschiedlich lang. Das wird aber vorherangesagt."

„Okay..." Ich nicke knapp, legewieder meine Sachen zurecht und mache mir eine geistige Notiz, dasser immerhin ihren Namen kennt.

Der Raum füllt sich so langsam undauch Charlotte kommt herein. Sie verschwindet hinter einem Raumteilerund kommt kurz darauf nackt wieder hervor. Jemand sagt »Fünf Minuten« und Charlotte nimmt eine kniende Pose ein.

Ich beginne direkt zu malen. MacheKreise für Kopf, Rumpf und Gelenke. Schnell ziehe ich die Striche,radiere die Kreise weg und korrigiere immer wieder nach. Es fälltmir schwer, Charlotte anzuschauen, obwohl sie meine beste Freundinist und ich sie schon mehrmals im Bikini gesehen habe. Aber völlignackt ist doch etwas ganz anderes. Zugegeben, es ist mir sogar einwenig unangenehm und ich bin froh, dass ich von meinem Blickwinkelaus ihre entblößte Scham nicht sehen kann.

Die Zeit ist um, bevor ich auch nurannähernd fertig werde. Unzufrieden blättere ich um. Die nächstePose soll sogar nur dreißig Sekunden gehen. Charlotte macht nun eine Yoga-Pose, die sie mir neulich mal zeigte. Das Kamel. Allerdingsbeugt sie ihren Rücken noch mehr durch und ich halte unbewusst dieLuft an. Bequem sieht das nicht aus. „Krass", kommentiere ich dieFigur.

„Ja, total", stimmt Owen mir zu.

Ich schaue zu Owen, der zu Charlottesieht, während er malt. Ohne zu gucken, was er da zeichnet. DreißigSekunden... Das versuche ich gar nicht erst, sondern bewundereCharlotte, wie sie da völlig nackt diese komplexe Figur macht.

Mein Unbehagen lässt ein wenig nach,sie so entblößt zu sehen und ich ertappe mich dabei, dass meinBlick über ihren Körper wandert. Sie ist wirklich ein Hingucker undihre Haut ist makellos.

Wieder wird die Pose gewechselt. Diesmalsoll es gleich eine halbe Stunde werden. Diesmal legt sich Charlottehin, winkelt die Arme eng am Körper an, drückt das Kreuz durch undstreckt den Kopf nach hinten. Der Fisch.

Ich beginne sofort, zu zeichnen undgleiche immer wieder mein Bild mit dem Original ab. Es fällt mirleichter, auf Details zu achten und ich finde sogar noch Zeit, dasGesicht grob zu skizzieren.

Neben mir räuspert sich Owen leicht.„Hast du zufällig einen Anspitzer?", fragt er flüsternd undbeugt sich leicht zu mir rüber.

Ich nehme meinen Anspitzer und reicheihn rüber.

„Coole Zeichnung. Unverkennbar, derManga-Stil. Gefällt mir", bemerkt Owen, während er den Anspitzernutzt.

„Danke." Ich betrachte meineZeichnung kritisch. Besonders gut finde ich es ehrlich gesagt nicht. Also schaueich zu Owen, der einen wirklich tollen Stil hat und sogar mitSchattierungen arbeitet. „Wow... Gegen dich male ich bloßStrichmännchen."

„Ich habe schon als Kind mein ganzesTaschengeld in Bücher gesteckt, die sich mit zeichnen befassthaben."

„Dann kannst du mir bestimmt eingutes Buch empfehlen."

Owen mustert mich einen Moment lang undreicht mir den Anspitzer zurück. „Wie heißt du?"

„Juliana."

„Schöner Name. Passt zu dir."

Ich senke schnell den Blick, setze einverlegenes Lächeln auf und beiße mir anschließend leicht auf dieUnterlippe.

Owen malt weiter an seiner Zeichnungund ich widme mich auch wieder meinem Strichmännchen.

Nachdem die halbe Stunde um ist, gibtes eine kurze Pause und ich nutze die Zeit, um meine Bleistifteanzuspitzen. Charlotte geht ein paar Schritte auf und ab, ehe siehinter dem Raumteiler verschwindet. Kurz darauf vibriert meinSmartphone.

Charlotte hat mir eine Nachrichtgeschrieben. „Wie läuft es?" Ich schicke ihr ein Emoji miteinem Daumen nach oben und stecke das Handy zurück in dieHosentasche. Nach nur fünf Minuten ist die Pause wieder vorbei undCharlotte nimmt die nächste Pose ein.

Die Zeit vergeht wie im Flug und ichmerke, dass ich wirklich besser werde. Vor allem dann, wenn die Zeitecht knapp bemessen ist. Charlotte nimmt die letzte Pose ein und ichzeichne sofort drauflos.

„Sag mal, Juliana... Hast duanschließend schon was vor?"

„Bisher nicht. Ich wollte was essen.Und danach... Mal sehen." Ich sehe zu Owen und grinse ihn leichtan.

„In der Nähe gibt es eine ganz gutePizzeria."

„Die kenne ich. Da wollte ichtatsächlich auch hin", erwidere ich lächelnd.

„Wir könnten zusammen hin und einwenig übers Zeichnen reden. Also, wenn du magst."

„Sehr gern sogar."

Der erfundene FreundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt