Kapitel 15: Wie Dreck

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„Ethan... Wenn du reden willst, dannkannst du auf mich zukommen. Ich weiß, die Firma behandelt Aushilfenwie Dreck... Aber du hast ja bald einen besseren Job." Dabeischenke ich ihm ein aufmunterndes Lächeln.

„Wie Dreck" wiederholt Ethan mitmonotoner Stimme diese beiden Wörter und greift dann zum nächstenKarton. Es schmerzt wirklich, ihn so zu sehen.

„Ethan... Bitte, mach eine kurzePause."

„Wenn du so wenig von dieserDrogeriemarktkette hältst, warum arbeitest du dann nach deinemStudium dort in der Zentrale?"

Diese Frage überrascht mich und ichtrete einen Schritt zurück. Eigentlich wollte ich ihn aufbauen undkeine Grundsatzdiskussion über Fairness starten.

Ohne eine Antwort wende ich mich vonEthan ab, schnappe mir einen Scanner und gehe nach vorn in denVerkaufsraum, um wieder die Regale aufzufüllen. Das kurze Gesprächmit Ethan hat mich völlig aus der Bahn geworfen und ich verstehenicht, wieso.

Ja, ursprünglich hatte ich vor, ihn wegen eines Dates zu fragen. Das kann ich mir nun erst mal sparen. WieDreck... Glaubt er, ich sehe ihn so? Vielleicht sollte ich ihn geradedeshalb fragen, ob er mit mir ausgehen mag. Dann kann ich ihm zeigen,dass ich ihn als einen sympathischen, attraktiven Mann schätze. Erkönnte aber auch glauben, ich will mich damit bloß bei ihmeinschleimen. Ihn ausnutzen. Und ich werde das Gefühl nicht los, erglaubt, ich habe ihn beleidigt. Habe ich das?

Jedes Mal, wenn ich das Lager betrete,suche ich erst Ethan und gehe ihm so gut es geht aus dem Weg. Ohne, dass es groß auffällt. Aber das tut es wahrscheinlich sogar.

Kurz vor Ende der Schicht halte ichdiese Spannung allerdings nicht mehr aus und gehe zu Ethan rüber.„Können wir reden, Ethan? Ich sehe dich nicht als Dreck und würdedich auch nie so behandeln", sage ich kleinlaut und ziehe unbewusstdie Schultern hoch.

Ethan hebt die Augenbrauen und siehtmich irritiert an. Als wenn er gar nicht wüsste, wovon ich nun rede.„Das... Das habe ich auch nie gesagt, Jules. Wie kommst du denndarauf?"

„Naja... Du hast mich gefragt, wiesoich in der Zentrale anfange, wenn ich mit dem Studium fertig bin."

Ethan schweigt und sieht mich abwartendan. Also seufze ich tief und deute dabei kurz ins Lager, wobei ichmich erkläre: „Ich habe mich dort beworben, weil ich das hierschon kenne. Ich kenne die Produkte, einige nutze ich sogarprivat. Und am Ende ist es doch nur ein Job, nicht wahr?"

„Aber ist es nicht so, dass der Jobmehr Spaß macht, wenn man sich mit dem Unternehmen identifizierenkann?", hinterfragt Ethan.

„Ja, sicher. Aber es ist ein ganzanderes Tätigkeitsfeld. Ich räume hier nur Kartons aus und stelledie Ware ins Regal. Das ist keine Arbeit, bei der man sich mit demUnternehmen identifizieren kann. Es ist ja nicht mal Arbeit, die Spaßmacht. Bezahlung hin oder her."

„Und wie lange machst du das hierschon?"

Autsch... Knackpunkt. „Seit vierJahren", antworte ich ehrlich und werde dabei sogar rot.

„Wirklich? Seit vier Jahren schon?Bist du masochistisch veranlagt, oder ein Gewohnheitsmensch?"Obwohl Ethan schmunzelt, fühlt es sich seltsam an. Als würde ermich analysieren. Dabei bin ich sonst immer in der Position. Und esist mir echt unangenehm.

Ich weiß gar nicht, warum, aber ichhabe das Gefühl, Ethan nimmt meine Worte viel zu persönlich. Odernehme ich das Gespräch einfach nur zu persönlich? Ich seufze tief.„Letzteres, definitiv. Ich bin ein Gewohnheitsmensch, ja. Ich hassees, meine Komfortzone zu verlassen. Und ich hasse es, neue Dingeauszuprobieren."

Mit den Worten wende ich mich ab undlasse Ethan im Lager stehen. Scheiße... Warum habe ich das gesagt?Klang meine Stimme patzig? Ganz bestimmt sogar...

Ich nehme meinen Rucksack aus dem Spindund mache pünktlich Feierabend.

Auf dem Weg nach Hause schimpfe ichmich selbst aus. Kaum zu glauben, wie sehr Ethan mich aus der Bahngeworfen hat. Ich müsste da locker drüber stehen können. Er hat janicht mal studiert und ist bald ein einfacher Kundenbetreuer!

Und schon bleibe ich stehen und hassemich für diesen Gedanken. Es ist doch scheißegal, was Ethan macht.Der Mensch dahinter ist wichtig, nicht sein Job. Und ich mag Ethan.„Ich rede ihn mir absichtlich schlecht..."

Ich will keine Dates. Ich will diesenKennenlern-Quatsch nicht. Kann ich das nicht einfach überspringen?Wenn ich daran denke, wie sehr mein Ex sich in der Beziehung geänderthat... Ganz zu Anfang hat er sich noch Mühe gemacht, hat mir Türenaufgehalten, wir sind essen gegangen oder waren feiern...

Mittlerweile weiß ich nicht mal, wanndie Liebe zu meinem Ex eingeschlafen ist oder ob sie überhauptjemals da war. Wann hört mögen auf und wann fängt lieben an?Früher dachte ich, man muss einen Mann lieben, wenn man sichvorstellen kann, mit ihm ins Bett zu gehen.

Und Ethan? Ich stelle mir Ethan obenohne vor und schon wird mir heiß. Nur eine Sekunde frage ich mich,ob ich mit Ethan ins Bett steigen könnte. Und scheiße, ja!

Schnell mache ich mich auf dem Weg nachHause und bleibe einen Moment mit dem Rücken an meiner Wohnungstürstehen. Die ganze Zeit habe ich Bilder von Ethan im Kopf und spüresogar seine Hände an meinem Körper. „Ja, ich brauche wirklichwieder Sex", gestehe ich mir leise ein.

Der erfundene FreundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt