Kapitel 27: Owen

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Nach der Uni gehe ich noch schnell indie Bibliothek vom Campus. Noch ein, zwei Bücher ausleihen, um zulernen.

Allerdings werde ich auf dem Weg dorthinausgerechnet von Owen aufgehalten. „July, warte bitte."

Ich verdrehe die Augen und will einenkleinen Umweg machen, allerdings kommt er mir zuvor und stellt sichdirekt vor mich. „Bitte! Wir müssen reden!", sagt ernachdrücklich.

„Es gibt nichts mehr zu bereden,Owen."

„Hat Charlotte dir wirklich dieWahrheit gesagt?"

„Sie musste nichts sagen. Ich habeeuch gesehen."

„Ach ja?! Und was hast du gesehen?",hakt Owen nach.

Ich versuche an Owen vorbeizugehen,allerdings stellt er sich mir wieder in den Weg und greift nachmeinem Arm. „Was soll das, verdammt?!", fahre ich ihn wütend an.Sofort ziehe ich an meinem Arm, um mich von Owens Griff zu befreien.

„Ich verstehe nicht, warum du aufmich so wütend bist", gibt er mit hochgezogener Augenbraue vonsich.

„Echt jetzt? Du schläfst mit meinerbesten Freundin und verstehst es nicht?"

„Ich habe nicht mit", Owen stocktund legt den Kopf kurz schief. „Wie kommst du denn darauf? HatCharlotte dir den Scheiß erzählt?"

„Nein, das war nicht nötig! Ich habegesehen, dass du aus ihrer Wohnung gekommen bist! Charlotte war unterihrem Bademantel nackt!"

„Ja, weil ich sie gezeichnet habe!",ruft er wütend.

„Du hast..." Ich stutze kurz undversuche auch gar nicht mehr länger, mich von Owen loszureißen.

Owen schnaubt leise. „Ich fragteCharlotte vor ein paar Wochen, ob sie etwas dagegen hat, wenn ichsie... Nun, wenn ich sie auch außerhalb von dem Kurs zeichne. Nurzeichnen!" Owen lässt mich los und hebt beschwichtigend beideHände. Ich schwöre dir, Juliana, ich wollte nie etwas vonCharlotte. Verdammt, ich bin schwul!", erklärt er nachdrücklich.

„Was...?", frage ich perplex undunfähig, eine klare Frage zu formulieren.

„Charlotte kam zu mir und meinte, siestimmt der privaten Zeichenstunde zu. Unter einer Bedingung. Ein Datemit ihrer besten Freundin."

Ich starre Owen fassungslos an und binmir gerade nicht sicher, ob ich ihm wirklich glauben soll. „Aber duhast mich geküsst!", entgegne ich.

„Genau genommen warst du diejenige,die den letzten Abstand zurückgelegt hat."

„Aber..."

„Du bist toll, Juliana, wirklich.Aber ich könnte nie mehr in dir sehen, als eine ganz normaleFreundschaft. Und der eine Abend zusammen... Der war wirklich super.Auf freundschaftlicher Ebene."

Ich deute zu einer Treppe, die in derNähe ist und gehe vor. Schwerfällig lasse ich mich auf die Stufensinken und nehme dabei den Rucksack von den Schultern. Erst jetztfinde ich ein paar Worte: „Es ging mir auch so. Obwohl ich zugebenmuss, dass ich eine Zeit lang überlegt habe, ob daraus mehr werdenkönnte."

„Aber du hast ja jetzt einen Freund.Und der sieht echt verdammt heiß aus. Dieses markante Gesicht istder Wahnsinn", schwärmt Owen und wackelt dabei kurz mit denAugenbrauen.

„Hey!"

Owen fängt an zu lachen und setzt sichzu mir. „Der Kuss tut mir leid. Ich bin nur froh, dass du nicht mitZunge wolltest."

Ich lache nun ebenfalls und denke daranzurück, wie wohl ich mich eigentlich bei dem Kuss gefühlt habe.Vorsichtig... Zurückhaltend... „War das nicht ekelhaft für dich?"

„Komisch trifft es eher. Ich habeeinfach versucht auszublenden, dass du eine Frau bist."

„Warst du deswegen eine Stunde zuspät?"

Er seufzt leise. „Um ehrlich zusein... Ja. Erst wollte ich dich bewusst versetzen. Dann dachte ich,wenn ich zu spät komme, wirfst du mich direkt wieder raus."

Ich schweige dazu und denke an dieNudeln, die ich vorher extra noch gekocht habe.

„Ich bin froh, dass du jetzt einenFreund hast. Und Charlotte lässt dich nun sicher auch in Ruhe, wasDates angeht."

„Wie meinst du das?", hake ichnach. Meine gute Stimmung ist verflogen und in mir bahnt sich einungutes Gefühl an.

„Nun, das war der Preis... Für jedesDate mit dir bekomme ich eine Stunde. Deswegen gab ich dir auch dasBuch. Um direkt einen Grund für ein neues Date zu haben."

Ich starre Owen fassungslos an. Und derKuss? 10 Minuten extra? Nein, soweit will ich gar nicht erst denken.„Deinem Vater gehört gar keine Modeagentur, stimmt's?"

„Was das angeht, so bin ich wirklichfroh, dass du keine Fragen gestellt hast. Ich hätte sonst lügenmüssen, dass sich die Balken biegen. Charlotte hatte mir eine grobeRichtung gegeben."

„Unfassbar..." Völlig betroffenstarre ich auf das rege Treiben vor der Bibliothek. Warum hatCharlotte das nur getan? „Weiß sie, dass du schwul bist?"

„Nein. Ich hänge es nicht an diegroße Glocke. Sie glaubt sicher, ich male sie so gerne, weil ich aufsie stehe."

Ich erwidere nichts darauf. Was sollich dazu denn auch sagen?

Zum Glück redet Owen gleich weiter undmir scheint, dass er ganz froh ist, endlich offen über das Themareden zu können. „Ehrlich gesagt zeichne ich Frauen gerne, weilder weibliche Körper nun mal ganz nett anzusehen ist. Charlotteist enorm gelenkig... Aber das Beste an allem ist, dass ich keinenSteifen kriege."

Obwohl seine Wortwahl witzig herüberkommt, verletzt es mich. „Kam Charlotte auf dich zu? Hat sie dirdirekt das Angebot unterbreitet, mit mir auszugehen?"

„Ja, nachdem sie meine erste Anfrage abgelehnt hatte, hat sie mich gefragt, ob ich Dates mache, wenn sie fürmich posiert."

„Und das hast du einfach soangenommen?"

„Unter Vorbehalt. Sie hat mir Fotosvon dir gezeigt und gemeint, ich müsste nur nett und zuvorkommendsein."

Ich bin entsetzt und bestürzt. Aberauch sehr enttäuscht von Charlotte. „Fotos, die dich nichtinteressiert haben. Oder dachtest du etwa, ich würde irgendwann auchmal für dich posieren?"

„Charlotte meinte, sowas würdest dunie machen. Aber ich habe auch nicht danach gefragt. Allerdingswollte ich kein Blinddate, sondern dich zuerst etwas kennenlernen."

„Deswegen der Malkurs." Ich kannnur noch mit dem Kopf schütteln. Wie konnte Charlotte das nur tun?! Es ist ja jetzt auch nicht so, alswenn ich unbedingt einen Freund suchen würde.

Owen seufzt leise. „Ich muss weiter,Juliana. Mir war nur wichtig, dass ich diese Sache klarstelle. Undvielleicht... Naja, wenn du nicht mehr ganz so enttäuscht bist...Vielleicht können wir uns ja noch mal treffen. Ganz unverbindlichals Freunde.

„Ganz bestimmt sogar, Owen. Sobaldsich alles ein wenig beruhigt hat."

„Okay, cool. Du bist nämlichwirklich nett." Er grinst dabei wieder und fährt sich mit der Handdurch seine lockigen Haare.

„Danke, Owen. Du bist auch schwer inOrdnung."

Owen steht auf, räuspert sich kurz undverabschiedet sich höflich. Ich lächle ihm zu und starre ihmnachdenklich hinterher. Seufzend stehe ich auf und gucke kurz auf dieUhr. Die Bibliothek kann ich mir jetzt knicken...

Der erfundene FreundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt