Kapitel 35: Die Schnittblumen

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Es ist schon weit nach Mittag, als ich mich von Owen verabschiede und zurück nach Hause fahre. Eigentlich müsste ich einkaufen. Aber ich trage immer noch das Kleid von gestern Abend. Und damit will ich nun wirklich nicht in den nächsten Discounter.

Ich schließe die Tür auf, betrete meine Wohnung und ziehe die Schuhe aus. Gerade, als ich die Handtasche weglege, klingelt es an der Tür. Ich brauche gar nicht durch den Türspion zu gucken.

Natürlich steht Charly vor meiner Haustür und begrüßt mich freudestrahlend: „Hey July! Wie war die Nacht bei Ethan?"

Seufzend lasse ich Charlotte in meine Wohnung und setze mich zu ihr auf die Couch. Dabei gleitet ihr Blick über mein knappes, hautenges Kleid.

Ich sollte ihr die Wahrheit sagen. Und ihr erklären, dass ich aktuell keine Dates will und auch kein Interesse an einem Freund habe. Nicht, wenn er Ethan Jones heißt,1.90 groß ist und diesen ernsten Blick hat, der mich direkt feucht werden lässt, wenn ich nur schon dran denke. Stattdessen antworte ich: „Heiß!" Natürlich bleibe ich bei meiner Lüge. Sonst redet sie wieder von dem Fotografen. Oder findet noch jemand anderen.

„Du bist übrigens ein paar Minuten zu spät. Vorhin war ein Kurier da, der dir einen riesigen Blumenstrauß überreichen wollte."

„Oh, echt?"

„Bestimmt als Dankeschön für die heiße Nacht bei Ethan", scherzt Charlotte und wackelt mit den Augenbrauen.

Ich zwinge mich zu einem Lächeln, während ich mich frage, wer mir die Blumen geschickt haben könnte. Meine Mutter? Unwahrscheinlich. Vielleicht Mr. Hunter? Aber der hat ja schon den Kuchen organisiert und mir den Bilderrahmen geschenkt.„Hast du mit dem Kurier gesprochen?"

„Ja, aber nur kurz. Er meinte, in der Regel wird kein zweiter Zustellversuch gemacht. Nicht bei Schnittblumen."

„Er hätte den Strauß doch einfach auf die Fußmatte legen können. Oder ihn dir geben."

Charlotte zuckt nur mit den Schultern.„Seit wann machst du dir was aus Blumen?"

„Mache ich auch nicht. Aber die Geste zählt", erwidere ich. Und ich wüsste schon gern, wer mir Blumenschenken will. Aber ich muss auch einkaufen, sonst habe ich nichts zu essen für nächste Woche. „Naja, egal. Ich muss gleich wieder los. Glaubst du, es reicht, wenn ich eine Vase mit Wasser vor die Türstelle?"

„Probiere es aus. Zeigt ja sehr offensichtlich, dass du auf die Blumen wartest und sie auch entgegennehmen willst."

Also stelle ich eine Vase vor die Tür, die Charlotte mit Wasser füllen will. In der Zeit kann ich mich umziehen und einen Einkaufszettel machen. Und wenn der Kurier wiederkommt, dann sieht er ja die Vase. Noch stärker kann man konkludentes Handeln nicht zeigen. Sofern er denn weiß, was das ist...


POV Ethan Jones / ???


Ich sitze im Auto auf dem Parkplatz und schaue zu dem Wohnhaus, indem Jules wohnt.

Sie war gestern nicht Zuhause. Schonwieder... So konnte ich ihr nicht einmal zu ihrem Abschlussgratulieren.

Mein Smartphone vibriert, also greife ich danach. Eine unbekannte Nummer. Trotzdem weiß ich, wer dran ist.

„Mr Jones?", fragt der Kurier und spricht mich mit meinem falschen Namen an. Ein Name, den mein Vater vor vielen Jahren erfunden hat, damit innerhalb der Firma niemand weiß, wer ich bin.

„Ja. Haben Sie die Blumen überbringen können?"

„Nein. Miss Woodstock war nicht da. Stattdessen öffnete ihre Nachbarin und meinte, Miss Woodstock sei bei ihrem Freund."

Ich presse die Lippen zusammen und umgreife das Lenkrad etwas fester. Also stimmt es doch. Sie hat schon einen Neuen! Deswegen wollte sie mir auch nicht ihre Handynummer geben. Deswegen kam sie den Freitag nicht in die Filiale. Aber dann hätte sie wenigstens ehrlich sein sollen!

Der Kurier räuspert sich kurz, weil ich nicht antworte und fragt daher: „Soll ich den Strauß Blumen zu einem späteren Zeitpunkt überbringen? Oder ihn der Nachbarin geben?"

„Nein. Werfen Sie den Brief in den Müll und geben Sie den Strauß einer Passantin", antworte ich gepresst.

Der Kurier zögert kurz, bestätigt dann aber und verabschiedet sich.

Ich starre auf das Wohnhaus und lasse kurz meinen Blick über die Kreuzung wandern. Dort an der U-Bahn kamen wir raus und ich bin hier zur Tankstelle, um Kondome zu holen. Genau an der Kreuzung habe ich sie mit Owen gesehen. Derselbe Owen, der sie vor dem Drogeriemarkt angeblich bedrängt hat. Und ich Idiot falle noch auf diese Inszenierung herein.

Enttäuscht starte ich meinen Tesla und fahre heim. Zeit, wieder geradeaus zu schauen. Juliana ist genau wie die anderen Frauen. Meine Hoffnung, sie wäre anders, wurde restlos zerstört. Sie hat mir von vornherein nur etwas vorgemacht. Bestimmt wollte sie mich nur warmhalten, auch wenn Mr. Hunter noch meinte, sie wüsste mittlerweile, wer ich bin. Vielleicht kommt ja noch der Versuch einer Erpressung und ich sollte ihr daher die nächste Zeit aus dem Weg gehen.

Wirklich eine grandiose Leistung. Ich bin mal wieder auf eine Frau hereingefallen. Sie sind doch allegleich...

Der erfundene FreundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt