Kapitel 32: Der fremde Autofahrer

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Ich will mich gerade von Owenverabschieden, als er wieder das Wort ergreift: „Ach... Und dasBuch? Willst du es jetzt wirklich nicht haben?"

Ich seufze leise und versuche zulächeln. „Erst die Prüfungen. Ich möchte mich nicht zu sehrablenken lassen, so kurz vor dem Ziel."

„Klar, das verstehe ich natürlich.Schreib mir einfach, wenn ich es dir vorbeibringen kann."

„Mache ich. Danke, Owen!"

„Dafür sind Freunde doch da." Erlächelt mir aufmunternd zu und nimmt mit sogar kurz in den Arm.Natürlich erwidere ich die Geste sofort und bin wirklicherleichtert, dass Owen und ich uns ausgesprochen haben und uns nunsogar ab und zu mal treffen wollen.

Erst jetzt fällt mir auf, dass ich inden letzten Jahren kaum Freundschaften gepflegt habe. WürdeCharlotte nicht direkt gegenüber von mir wohnen, hätte ich wohlauch sie vernachlässigt. Zwischen Studium und Job ist leider wenigZeit, aber das wird sich ja bald ändern.

Als Owen an mir vorbei zur U-Bahn-Station geht, schaue ich ihm sogar noch kurz hinterher.

Ein Auto hupt in der Nähe und icherschrecke mich leicht. Automatisch schaue zu der Ampel, um zugucken, was dort los ist. Gegenüber steht ein Auto, dasoffensichtlich grün hat und der Fahrer dahinter gibt sogarLichthupe. Das Auto fährt los und überquert die Kreuzung. Dabeifährt es direkt an mir vorbei und ich bewundere einen Moment denschicken Tesla. Dann fällt mein Blick auf den Fahrer und ich stutze.

War das Ethan? Nein, das kann nichtsein! Der Mann hinterm Steuer trug einen Anzug. Außerdem könntesich Ethan nie einen Tesla leisten. Das ist wahrscheinlich nurWunschdenken von mir gewesen.

Ich vermisse ihn wirklich. Aber baldkann ich mir ja aus seiner Personalakte seine Rufnummer abschreibenund mich bei ihm entschuldigen. Ich würde dieses Missverständnis umdiesen Freitag gerne aus dem Weg räumen. So schaue ich dem Teslanoch einen Moment hinterher und drehe mich zur Ampel. Weil ich rothabe, wandert mein Blick zur Tankstelle auf der anderen Seite.

Hier hatte ich vor einer Wochegestanden und auf Ethan gewartet, als er eilig los ist, um dieKondome zu besorgen. Mein ganzer Körper hatte vor Aufregung undVorfreude gekribbelt. Die Fußgängerampel wird grün und ich machemich auf den Weg nach Hause.

Nur wenige Minuten später betrete ichdas Wohnzimmer und lasse mich auf die Couch sinken.

Allerdings siegt nach ein paar Minutender Hunger über die Faulheit und ich mache mir eine Kleinigkeit zuessen. Danach sitze ich wieder über meinen Büchern. Zum Glück sinddie Bücher, die ich mir aus der Bücherei geliehen habe, perfekt, umein paar ältere Themen aufzufrischen.

Ich mache mir Musik an, damit ichschneller im Schreibfluss bin und kontrolliere die Checkliste mit denThemen, die ich mir noch ansehen muss. Ich bin wirklich gut imZeitplan und habe sogar noch etwas Luft, weil ich vorgearbeitet habe.

Mein Handy vibriert kurz und ich schauenach, wer mir geschrieben hat. Owen. Also öffne ich den Chatverlauf.

>Wollen wir die Tage abendsmal wieder zeichnen? Einfach, damit du mal ein wenig den Kopf freikriegst?<

Ich hadere ein wenig. Noch viel zu vielStoff, den ich mir nochmal ansehen muss, bevor ich die Prüfungenschreibe. Auf der anderen Seite weiß ich aber, dass mir ein freierAbend guttun wird. Also schreibe ich Owen zurück.

>Am Mittwoch? Oder Donnerstag?Aber bitte nur für 2 oder 3 Stunden.<

Ich sehe, dass Owen direkt schreibt, also lasse ich die App offen, um seine Antwort kurze Zeit später zu lesen.

>Natürlich, versteht sich vonselbst. Ich kann etwas zu essen mitbringen.<

Ich frage mich kurz, ob er vonCharlotte weiß, dass ich extra Nudeln gekocht hatte, als er zu spätkam. Daher antworte ich ihm knapp.

>Okay, klingt gut.<

Mittlerweile bin ich wirklich frohdarüber, dass ich mich mit Owen ausgesprochen habe. Es tut echt gut,ihn zum Freund zu haben. Und mit Charlotte werde ich mich auchdemnächst ausreden. Es ist nicht fair, dass ich sie anlüge. Aberdas ist ja nur kurzfristig. Wenn ich meinen Abschluss in der Taschehabe, kann sie mich von mir aus wieder zu einem Date überreden.

Ich stehe auf, räume meine Sachenzusammen und mache mich bettfertig. Aber kaum liege ich im Bett, binich mit meinen Gedanken wieder bei Ethan. Was, wenn mir mein Hirndoch keinen Streich gespielt haben und ich wirklich Ethan in dem Autogesehen habe? Kann ja sein, dass er im neuen Job einen Dienstwagen hat. Aber alseinfacher Kundenbetreuer?! Der Gedanke ist so abwegig, dass ich ihnwieder verwerfe. Aber vielleicht trotzdem ein Dienstwagen. Kann jasein, dass er mit dem Auto zur Waschanlage fahren sollte. Odertanken. Naja, Strom tanken.

Ich seufze tief und es fällt mir echtschwer, einzuschlafen, weil ich ständig sein Gesicht vor mir sehe.Da waren wir noch nicht mal wirklich zusammen und trotzdem fühlt essich aktuell an, als hätten wir uns frisch getrennt. Als wennLiebeskummer mich innerlich zerfressen würde.

Der erfundene FreundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt