Kapitel 23: Der nächste Morgen

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Der Wecker klingelt und reißt michvoll aus dem Tiefschlaf. Ich strecke mich müde und sofort greifengroße, starke Hände nach mir. Ethan! Ich drehe mich zu Ethan um undbefreie mich dabei aus seiner Umarmung, um den Wecker auszuschalten.

Ethan brummt leise neben mir. „Hm...Noch zehn Minuten?"

„Aber ich muss aufstehen."

„Wenn du jetzt aufstehst, dann istdiese Nacht offiziell vorbei."

Überrascht von diesen Worten streicheich über seine Wange. Tief in mir weiß ich, dass ich ihn mag. Sonsthätte ich mich nie auf diesen One-Night-Stand eingelassen. Aber ichsperre mich dagegen, ihn in mein Herz zu lassen, obwohl ich bereitsdie Schmetterlinge in meinem Bauch spüre. Trotzdem will ich keineBeziehung. „Okay. Noch ein Date, Ethan. Und dann werden wir sehen,ob ich aus meiner Komfortzone heraus kommen kann."

„Dann am Freitag", schlägt Ethanvor. „Ich möchte noch ein paar Kleinigkeiten vorbereiten."

„Du musst nichts vorbereiten, Ethan.Wirklich nicht. Du musst mir auch nichts beweisen. Sei einfach nur duselbst, Ethan Jones."

Er deutet ein Lächeln an, allerdingserreicht es seine Augen nicht und er sieht unglücklich aus.

Habe ich ihn verletzt? Weil ich seinePläne schon im Keim erstickt habe? „Freitag. Ich freue mich.Wirklich." Ich küsse ihn zärtlich und stehe danach auf. Einekurze Dusche, Zähne putzen und dabei lasse ich die Kaffeemaschinelaufen. Ethan geht direkt nach mir duschen und ich durchsuche derweilden Kühlschrank. Eilig belege ich zwei Sandwiches und wirfrühstücken zusammen, trinken Kaffee und reden über diese Woche.

Es fühlt sich schon jetzt unglaublichvertraut mit Ethan an. „Wo fängst du denn bald an zu arbeiten?"

„Oh, das ist... Ein eher kleinesUnternehmen. Reden wir doch besser über deine Nachbarin", kontertEthan schmunzelnd.

Ich lache kurz auf und trinke meineTasse leer, gieße mir noch ein wenig ein und fülle auch die Tassevon Ethan auf, nachdem er sie mir mit einem flüchtigen Lächelnunter die Nase hält.

„Charlotte", sage ich langgezogen.Mein Herz zieht sich plötzlich zusammen und ich erinnere mich daran,wie sehr sie mir bei der Trennung von meinem Ex geholfen hat und wieoft ich auf ihrer Couch geheult habe. „Sie ist nicht nur meineNachbarin, sondern auch meine beste Freundin. Ich kenne sie jetztschon seit fast sechs Jahren. Als ich hier einzog, zusammen mit...",ich breche ab und seufze leise.

„...Deinem Ex", vervollständigtEthan meinen Satz.

All die Dinge, die ich im letzten Jahrverdrängt habe, steigen wie bittere Galle in mir hoch. Ich mussheute Abend dringend mit Charly darüber reden. Ich trinke denletzten Schluck Kaffee, stehe auf und räume die Sachen vom Frühstückin die Spülmaschine.

Ethan reicht mir sein benutztesGeschirr und die Küche ist schnell wieder aufgeräumt. „Wie kam eszur Trennung? Ist er dir fremd gegangen?"

„Nein. Ja, vielleicht. Aber das wäremir sogar egal gewesen", antworte ich ausweichend. Vielleicht hättees die Trennung sogar einfacher gemacht, weil ich ihn aus tiefstemHerzen gehasst hätte dafür.

„War er dein erster Freund?"

„Nein, aber der erste, mit dem ichzusammen gewohnt habe. Wir waren sechs Jahre zusammen, fünf davonhier."

Ethan schaut sich in meiner kleinenKüche um. Sein Blick ist wieder so ernst. An gestern Abend denkt ergerade bestimmt nicht.

Ich schaue auf die Uhr und gehe rüberins Wohnzimmer, schaue nach meinem Rucksack und nehme eine PETFlasche Wasser, die ich noch hineinstopfe. „Ich muss gleich los.Wohin musst du? Dann kann ich dir sagen, welche Bahn du nehmenmusst."

„Ich werde gleich noch etwas joggen.Und Richtung Stadt fahren ja alle Bahnen. Mach dir keine Umstände,Jules."

Wir ziehen unsere Schuhe an undverlassen zeitgleich die Wohnung. Im Fahrstuhl schweigen wir unddraußen auf der Straße deute ich in Richtung U-Bahn. „Okay, ichmuss jetzt zur Uni. Da vorn geht's runter zu den Gleisen."

Ethan zieht mich zu sich und legt beideHände locker an meine Seite. Er lächelt mich an und gibt mir einenzärtlichen Kuss. „Bekomme ich noch deine Handynummer?"

„Ehm... Wir sehen uns ja heuteNachmittag wieder", weiche ich nun plötzlich aus. Ich mag ihn ja,aber irgendwie geht mir das gerade alles zu schnell.

„Dann am Freitag? Wenn das Date gutläuft?" Er macht eine kurze Pause und sieht mich mit einem leichtgequälten Gesichtsausdruck an. Ethan legt eine Hand an meine Wangeund seufzt tief, als würde ihn etwas quälen. „Jules, ich..."

„Meine Bahn kommt gleich, Ethan.Meine Nummer gibt es Freitag. Und wir sehen uns ja später." Ichstelle mich auf die Zehenspitzen und gebe ihm einen kurzen,flüchtigen Kuss. „Und keine Sorge, ich bereue es nicht. Also...Bis später." Bevor ich wirklich noch die Bahn verpasse, reiße ichmich von Ethan los, lächle ihm zu und wende mich ab. Da ich doch einwenig getrödelt habe, laufe ich ein paar Schritte, bis ich an derRolltreppe bin.

Der erfundene FreundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt