Kapitel 36: Geplatzter Traum

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Das Wochenende geht schneller vorbei, als mir lieb ist. Für meinen ersten Arbeitstag in der Zentrale habe ich eine schlichte, legere Kombination aus Jeans und Anzugjacke gewählt. Dazu eine farblich passende Bluse.

Nervös betrete ich die Zentrale, gehe durch zum Empfang und nenne meinen Namen. Ich werde höflich zu der Sitzecke gelotst und warte dort auf meine neue Chefin. Ich sehe mich im riesigen Foyer um. Die Farben sind hell, die Fenster an der Fassade lassen wahnsinnig viel Licht herein. Es ist sauber, ohne dass es gleich steril wirkt. Wirklich schön.

Eine junge, wirklich bildschöne Frau kommt auf mich zu. Sie hat blondes Haar, ist leicht geschminkt und trägt einen schönen, femininen Anzug. „Miss Woodstock? Ich bin April Deauville. Freut mich, Sie kennenzulernen."

Ich stehe auf und ergreife die Hand von Miss Deauville. Ihr Händedruck ist kräftig und ich bin überrascht, jemand so junges vor mir zu sehen. Vor mir steht eine Frau, die ich auf Anfang dreißig schätze und mir viel zu jung vorkommt, um die Chefin der Personalabteilung zu sein. Aber vielleicht hat sie den Job ja erst kürzlich bekommen, denn mein Vorstellungsgespräch vor einigen Wochen war mit Tyler Miller, einem der beiden CEOs.

Ich nicke lächelnd. „Ja, richtig. Freut mich sehr, Miss Deauville."

„Ach, sagen Sie ruhig April. Wir sprechen uns hier üblicherweise immer mit Vornamen an."

„Danke, April. Ich bin Juliana. Oder auch einfach nur July." Dabei verkneife ich mir einen Witz über unsere Namen.

„Kommen Sie, ich zeige Ihnen alles." April zeigt mir das riesige Gebäude mit den verschiedenen Abteilungen und ich bekomme einen Mitarbeiterausweis. Es ist schon Mittag, als wir mit dem formellen Teil fast fertig sind. „Folgen Sie mir bitte, ich zeige Ihnen noch die Kantine. Danach geht es zum letzten Stopp, der Personalabteilung."

Wir fahren wieder ins Erdgeschoss, gehen seitlich an der Anmeldung vorbei und kommen von dort direkt in die geräumige Kantine, die sogar einen Wintergarten hat. April zeigt mir, wo die Tabletts stehen. Ich nehme mir also Besteck und ein leeres Glas.

Dabei erklärt sie: „An der Kasse einfach den Ausweis vorzeigen. Am Monatsende wird der Posten automatisch von der Gehaltsabrechnung abgezogen. Die Firma übernimmt25% der Kosten."

Ich lasse mir also einen Teller mit Curry-Hühnchen und Reis geben, nehme ein Wasser dazu und folge April, die zu einem Tisch deutet, an dem bereits zwei Personensitzen.

„Das sind Nina und Jacob, sie arbeiten auch in der Personalabteilung", stellt April mir die beiden Kollegen vor.

Ich lächle freundlich und setze mich dabei. „Hey, ich bin Juliana."

Eine Frau in meinem Alter mit brünetten Locken und rehbraunen Augen nickt mir freundlich zu. „Hi. Setz dich zu uns."

Der andere Mann, Jacob, den ich auf Mitte 30 schätze, legt den Kopf leicht schief. „Auch? Ich dachte, wir sind voll besetzt?" Jacob mustert mich abfällig und hebt dabei beide Augenbrauen.

„Wir rutschen einfach weiter zusammen", meint April salopp. „Und Sam ist derzeit in Elternzeit."

Ich höre dem Gespräch schweigend zu und versuche, all die neuen Eindrücke in mich aufzunehmen, ohne dabei völlig überfordert zu sein. Aktuell arbeiten sechs Mitarbeiter im HR, von denen eine Kollegin vor ein paar Wochen Mutter geworden ist. Allerdings war kein Ersatz vorgesehen. Die Arbeit sollte einfach auf die anderen Köpfe verteilt werden. Das Team ist auch überraschend jung, wie ich finde.

Nina und Jacob gehen etwas früher zurück an die Arbeit. Ich folge mit April etwas später und sie führt mich ins Büro der Personalabteilung. Ein großer Schreibtisch dominiert die Mitte, an dem sechs Arbeitsplätze eingerichtet sind. Gegenüber der Tür ist ein großes Fenster, welches vom Boden bis zur Decke geht und daher viel Tageslicht hineinlässt. An der Wand neben der Tür sind wuchtige Regale.

April zeigt an die Decke. „Ich habe mein Büro eine Etage darüber, wo die anderen Abteilungsleitersitzen. Wenn Sie Hilfe brauchen, fragen Sie erst das Team."

„Ja, natürlich", erwidere ich freundlich. „Danke."

„Ach... Ein Laptop ist bestellt. Es kann ein paar Tage dauern, bis Ihr Schreibtisch eingerichtet ist." April deutet auf die linke Kopfseite und ich nicke nur leicht. Neben Jacob und Nina ist noch eine andere Kollegin am Tisch, die mir höflich zunickt.

„Gut", murmelt April und wendet sich mir wieder zu. „Dann viel Erfolg."

„Danke."

Nachdem April weg ist, bleibe ich kurz unschlüssig stehen, ehe ich zu dem Tisch an der linken Seite gehe.

Jacob sitzt mir schräg gegenüber und fixiert mich missbilligend. „Sollst du Sam ersetzen?"

„Keine Ahnung, davon wurde mir nichts gesagt", antworte ich ehrlich.

Nina lächelt flüchtig. „Wir sind aktuell voll besetzt in der Personalabteilung. Solltest du nicht ins Marketing? Juliana Woodstock, richtig?" Sie tippt dabei kurz auf ihren Laptop und schaut dann wieder zu mir.

„Ja. Ursprünglich hatte ich auch eine Stelle im Marketing, aber das wurde vor ein paar Wochen geändert", erkläre ich mich und bedaure, dass ich den Brief nicht mitgenommen habe, in dem das steht.

Jacob lacht leise auf. „Mit wem hast du denn dafür geschlafen?"

Nina wirft ihm einen finsteren Blick zu. „Sei nicht immer so gemein, Jacob!"

Der zuckt allerdings bloß mit den Schultern. „Ach, ist doch wahr... Es sei denn, es werden wirklich ein paar Leute herausgeworfen. Der ganze Papierkram bei einer Kündigung ist echt ätzend."

„Das ist nur ein Gerücht", kontert Nina schnell. Sie lächelt mir kurz zu, aber es erreicht ihre Augen nicht.

„Die suchen bestimmt nur jemand Dummes, der die Kündigungswelle bearbeitet", brummt Jacob unzufrieden. „Die zusätzliche Arbeit würden wir ohne Samantha gar nicht schaffen."

Es ist für einen Moment ruhig und ich frage mich, ob ich absichtlich in die Personalabteilung gesetzt wurde, um als Sündenbock herzuhalten, wenn die Kündigungen kommen. Dann wäre ich nun viel lieber im Marketing. Vielleicht kann ich mich ins Marketing versetzen lassen. Meine ersten Amtshandlungen in dieser Firma sollten nun wirklich keine betriebsbedingten Kündigungen sein.

„Geht es der Firma denn so schlecht?", frage ich besorgt.

Nina nickt seufzend. „Ja, seit Monaten schon. Die letzte Gehaltserhöhung ist auch ausgeblieben."

Jacob verschränkt die Arme und starrt mich beinahe schon feindselig an. „Wundert mich echt, dass wir dann noch neues Personal eingestellt haben."

Nina steht auf und bedeutet mir, ihr zu folgen, was ich nur zu gerne mache. Jacob kann ich jetzt schon nicht leiden, während Nina wirklich nett ist. Die andere Kollegin hingegen hat sich an dem Gespräch nicht beteiligt und mir nur kurz zugenickt. Aber wäre Nina nicht, würde ich mich in diesem Team wirklich nicht wohlfühlen.

Nina führt mich in ein großes Nebenzimmer voller Aktenschränke und Regale. Ein großer Kopierer steht am Fenster, auf den Nina zugeht. Dabei erklärt sie: „Wir müssen den ganzen Kram hier noch digitalisieren, kamen aber die letzten Wochen kaum dazu. Wie gesagt, Sam fehlt." Nina zeigt auf die ganzen Ordner und erklärt mir dann, wie der Kopierer funktioniert. „Karte dran halten, ein Blatt oben einlegen und dann per Mail versenden. Wir haben die Mailadresse schon abgespeichert."

Sie holt einen Aktenordner aus einem Regal, klappt ihn auf und nimmt das oberste Blatt heraus. Dann scannt sie es am Kopierer ein und schickt es an die Mailadresse. „Danach einfach schreddern, das Papier. Wir haben ein digitales Ablagesystem. Aber darauf kannst du erst zugreifen, wenn du einen Laptop hast."

Ich nicke knapp. „Verstehe. Und bis dahin digitalisiere ich die Unterlagen und schreddere sie anschließend."

„Sobald dein Laptop da ist, können wir dir die Programme zeigen, mit denen wir arbeiten. Dann kannst du auch andere Arbeiten machen."

„Ja, klar. Kein Problem. Ist ja auch Arbeit, die gemacht werden muss."

„Cool. Dann lasse ich dich mal hier machen." Nina lässt mich allein und ich schaue mich in dem Zimmer um. Damit werde ich Wochen, ach, Monate beschäftigt sein!

Und dafür habe ich sechs Jahre langstudiert...

Der erfundene FreundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt