Kapitel 12: Knollennasen und Wurstfinger

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„Hier, eins der Bücher, die ichwirklich gut finde." Owen hält mir ein Buch hin und ich setze michneben ihn auf die Couch, greife dabei nach dem Buch und sehe mir erstTitel und Cover an.

Ich schlage die Inhaltsangabe auf undOwen lehnt sich etwas zu mir rüber, deutet dabei auf ein Kapitel:„Knollennasen. Das fand ich wirklich gut. Ich habe es gehasst,Nasen zu zeichnen. Aber hier sind einige wirklich gute Tippsenthalten."

Schnell blättere ich bis zu derentsprechenden Seite auf und bin überrascht, wie viel Text esenthält. Vor ein paar Jahren habe ich mir mal ein Zeichen-Lernbuchgekauft und es enthielt fast nur Zeichnungen. Immerhin habe ichdadurch das System mit den Kreisen für mich entdeckt, welchesüberraschend weit verbreitet ist. An der Technik bin ich hängengeblieben und habe mich die letzten Jahre nicht wirklichweiterentwickelt.

Um nicht unhöflich zu sein, klappe ichdas Buch wieder zu und schenke Owen ein Lächeln. „Danke, ich werdees mir morgen mal näher ansehen."

„Seit wann zeichnest du schon?",fragt Owen und setzt sich auf der Couch etwas bequemer hin, sodass ermich besser anschauen kann.

„Oh, ich weiß nicht... Ich glaube,seit ich zwölf oder dreizehn Jahre alt bin. Also quasi schon meinhalbes Leben", erwidere ich.

„Cool. Ich habe auch mal Mangafigurengezeichnet. Avatar", erklärt Owen schmunzelnd.

„Avatar? Der Film von Cameron?"

Owen schüttelt mit dem Kopf und grinstbreit. „Nee, die Serie. Der letzte Luftbändiger." Er greift inseinen Rucksack und ich nutze die Zeit und klappe das Buch wiederauf, um ein wenig darin herumzublättern. Es sind einige Zeichnungendrin und ich frage mich, ob ich jemals so gut sein werde. Und ob iches überhaupt will. Immerhin muss ich viel Zeit hineinstecken.

„Hier, ich habe ein paar von meinenalten Zeichnungen mitgebracht. Frag nicht, warum... Aber ich habefrüher gerne Hände gezeichnet."

Ich lege das Buch auf den Tisch undsehe neugierig zu Owen, der einen Ordner auf seinen Schoß legt. JedeZeichnung ist in Klarsichtfolie. Schon auf den ersten Blick sehe ich,dass selbst seine ersten Bilder tausendmal besser sind als das, wasich aktuell male.

„Echt? Das sind ein paar deinerersten Zeichnungen?", frage ich erstaunt und mit einer gehörigenPortion Neid.

Owen lacht kurz und zeigt ein paarBilder weiter hinten, wo die Proportionen noch nicht so ganz passen.„Sieh dir diese Wurstfinger an!"

Ich lache nun auch, obwohl ich eherneidisch bin. Hände kann ich gar nicht malen und wenn, dann eher wiebei einer Barbiepuppe. Lange, schmale Finger, die aber nur angedeutetsind. „Du hattest aber schon vom ersten Bild an ein Talent dafür."

Durch seine offene, ehrliche Art traueich mich, Owen auch ein paar meiner Bilder zu zeigen. Aber natürlichnicht meine ersten Zeichnungen. Owen zeigt sehr fachmännisch, wasihm besonders gefällt und wo er noch Potenzial sieht, ohne mich zubelehren. Ich finde seine Art, mir Ratschläge zu geben, wirklichsuper. Auf einer sehr freundschaftlichen Ebene.

Allerdings will ich wirklich offen seinund vielleicht entwickelt sich ja auch mehr daraus. Owen ist wirklichnett und ich sollte ihm keinen Strick draus machen, dass er zu spätgekommen ist.

Wir reden den ganzen Abend zusammen undzeichnen sogar später jeder ein wenig für sich. Es gefällt mir,dass wir ein großes, gemeinsames Hobby haben. Doof ist nur, dass ichständig Charlotte im Hinterkopf habe. Aber es wäre jetzt noch vielzu früh, das Thema mit dem Modelvertrag anzusprechen. Ich will Owen auch nichtausnutzen.

„Ist alles in Ordnung?", hakt Owennach.

„Wie?", frage ich irritiert undhebe den Kopf.

„Du starrst seit fünf Minuten aufdein Bild."

„Oh... Ich bin ein wenig mit meinenGedanken abgedriftet."

Ich lege Stift und Block auf den Tischund strecke mich gähnend. Dabei schaue ich auf die Uhr. Es ist schonfast Mitternacht! Unglaublich, wie schnell die Zeit herumgegangen ist.

„Schon so müde?"

„Ich war heute früh arbeiten... Alsoja, ich bin tatsächlich schon müde", antworte ich ehrlichlächelnd.

Owen rutscht etwas näher zu mir undlegt eine Hand auf meinen Oberschenkel. Wir sehen uns tief in dieAugen und er kommt mir langsam näher. Ich bin mir immer nochunschlüssig, ob ich nur eine Freundschaft will. Aber wenn ich esnicht ausprobiere...

Unsere Lippen treffen sich und der Kussist vorsichtig, zurückhaltend und genau das, was ich gerade brauche.Owen löst sich von mir und legt eine Hand an meine Wange. Er lächeltleicht und ich erwidere es zaghaft.

Ja, ich sollte ihm wirklich eine Chancegeben. Auch, wenn eine leise Stimme in mir fragt, was mit Ethan ist.Aber kommt er nächste Woche überhaupt wieder?

Owen räuspert sich leise. „Sehen wiruns wieder?"

„Ich schreibe dir, okay?"

„Klingt gut. Ich sollte deine Zeitnun aber nicht länger beanspruchen."

Ich lächele leicht und senke denBlick. Owen packt derweil seine Sachen zusammen und kurz daraufbringe ich ihn zur Tür. Dort dreht er sich noch mal zu mir um. „Daswar wirklich ein schöner Abend. Und melde dich zwischendurch mal,wie dir das Buch gefällt."

„Mache ich. Vielen Dank. Für dasBuch und den schönen Abend", entgegne ich.

Owen lächelt mir zu und geht den Flurentlang zum Fahrstuhl. Ich schaue ihm noch kurz hinterher und gehewieder in meine Wohnung. Dort wärme ich mir eine Portion Käsenudelnauf, greife nach meinem Handy und schaue nach der Nachricht, die ichOwen geschrieben habe.

18 Uhr. Nun, dann war er halt einmalunpünktlich, was solls. Der Rest des Abends war ja dann umsoschöner.

Der erfundene FreundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt