Chapter 14

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Liebes Tagebuch,

heute war ein äußerst ereignisreicher Tag. Er begann, als ich am frühen Morgen aufwachte und wieder nicht wusste, was in der letzten Nacht geschehen war. Auf meinem Laken konnte ich einige Tropfen Blut erkennen, doch hatte ich keinerlei Wunden an meinem Körper. Es lag ein eigentümlicher Geruch in der Luft, der mich sehr an das Parfüm von Miss Katherine erinnerte, doch war mir klar, dass sie nicht in meinem Zimmer gewesen sein konnte. An solch hohen Besuch hätte ich mich schließlich mit Sicherheit erinnert. Dennoch habe ich das Gefühl, sie verbirgt etwas vor uns, doch immer, wenn mir der Gedanken zum Greifen nahe ist, verschwindet er wieder. Manchmal fühle ich mich fremd in meiner eigenen Haut, ich bin so verwirrt, dass ich Erinnerungslücken habe. Ich beginne langsam, mir Sorgen um meine geistige Gesundheit zu machen.

Noch mehr Sorgen mache ich mir jedoch um meine geliebte Schwester Emily. Sie ist vor einigen Tagen zu uns gekommen, nachdem ihr Mann und ihr einjähriger Sohn an Schwindsucht gestorben waren. Ihr ging es zu diesem Zeitpunkt wenigstens körperlich noch gut, sodass Vater kein Problem damit haben konnte, sie wieder aufzunehmen. Sie freundete sich gut mit Miss Katherine an, doch mit der Zeit geht es ihr immer schlechter und schlechter, sodass auch ihre  neueFreundin ihr nicht mehr helfen kann.

Damon ist oft bei ihr und versucht, ihr zu helfen, doch wir alle wissen, dass dieser Kampf aussichtslos ist. Ich fürchte mich davor, auch noch meine Schwester zu verlieren, an dieselbe Krankheit, an der auch unsere Mutter starb, doch ich kann mich nicht dazu überwinden, sie selbst zu besuchen.

Nach dem Frühstück hörte ich wieder ihr gequältes Husten aus ihrem Zimmer, doch ich habe es einfach ignoriert. Ich schäme mich so für meine Angst, doch ich konnte mich nicht überwinden, zu ihr zu gehen und ihr Lebwohl zu sagen, obwohl wir alle wussten, dass der weiße Tod auch sie spätestens heute Abend holen würde.

Erst spät am Abend, als ihr Husten immer häufiger, aber auch immer schwächer wurde, ging ich endlich zu ihr. Ihr Anblick schockierte mich zutiefst. Meine ältere Schwester, die immer so stark und immer für mich da gewesen war, lag regungslos auf ihrem Bett. Ihre Haut war so weiß wie das Laken und ihr einst hellblaues Kleid hatte einige rote Blutflecken an ihren Ärmeln. Mein Bruder saß besorgt neben ihr und hielt ihre Hand, während er mit seiner anderen abwechselnd über ihre Haare strich oder ihr das Blut vom Mund wischte. Er sah nicht einmal auf, als ich das Zimmer betrat. Sein Blick galt ganz allein ihr. Für ihn musste der Verlust seiner Zwillingsschwester wohl noch schlimmer sein als für mich. Als Vater unsere Schwester wie auch unsere Mutter vor einigen Jahren in ein Sanatorium geben wollte, hatte er so lautstark protestiert, dass nicht einmal Vater dagegen ankam. Meine beiden Geschwister würden sich wohl niemals aufgeben.

Nach einigen Sekunden löste Emily ihren Blick von unserem Bruder und sah mich schwach lächelnd an. Ihre grünblauen Augen hatten ihren Glanz verloren, ihr Gesicht war eingefallen und ihr Körper wurde immer wieder von schweren Hustenkrämpfen geschüttelt, bei denen sie immer wieder Blut und Schleim spucken musste. Dieser Anblick zerriss mir das Herz.

Emily verlangte, dass ich gehen solle, damit sie mich nicht auch noch ansteckte, als plötzlich Miss Katherine das Zimmer betrat. An das, was daraufhin geschah, erinnere ich mich nicht mehr, doch ich weiß noch, wie meine Schwester ihre Freundin unendlich dankbar ansah, bevor sie in einen tiefen Schlaf glitt. Ihr Husten hatte aufgehört und auch ihr Gesicht wirkte wieder gesünder. Ich schrie, da ich dachte, dass sie gestorben wäre. Ich verstand nicht, wie Damon so ruhig dabei bleiben konnte, bis sie mir versicherten, dass Emily noch am Leben war und nur schlief.

Ich weiß nicht, wie es sein kann, aber irgendwie hat Miss Katherine meiner Schwester das Leben gerettet.

Es ist schon sehr spät geworden, also werde ich für heute aufhören. Doch ich weiß, dass ich Miss Katherine wohl auf ewig dafür dankbar sein werde, dass sie meine Schwester, auf welche Art auch immer, geheilt hat.

„Na, wen haben wir denn da?", ertönte plötzlich eine Stimme hinter mir.

Ertappt fuhr ich herum, bereit mich zu rechtfertigen, wenn es sein musste, als ich Damon erkannte und erleichtert ausatmete.

„Was ist, dachtest du, ich wäre Stefan?", fragte er grinsend.

„Vielleicht.", erwiderte ich und stellte das Tagebuch meines Bruders zurück ins Regal.

„Keine Sorge, er ist schon längst gegangen. Ich werde ihm schon nicht erzählen, dass du in seinen Sachen rumgeschnüffelt hast."

„Ich habe nicht rumgeschnüffelt.", meinte ich trotzig. „Ich habe nur mein zukünftiges Zimmer gesucht."

„Ja, natürlich. Das Buch ist nur rein zufällig auf dich drauf gefallen und hat dich dazu gezwungen, es zu lesen. Böses Buch!"

„Ach, halt doch den Mund. Ich bin mir sicher, du hast auch schon ein paar von Stefans Tagebüchern gelesen, wenn nicht sogar alle."

„Touché!", grinste er wieder. „Komm, ich zeige dir dein Zimmer."

„Wie überaus freundlich."



Mysteries - The Story of Emily SalvatoreWo Geschichten leben. Entdecke jetzt