Chapter 81

497 31 6
                                    

Ich verließ gerade den Lagerraum, nachdem ich Matt erklärt hatte, was passiert war, als ich plötzlich eine Nachricht erhielt. Eine Nachricht von Kat.

"Meine liebste Emily,
ich wünschte, ich müsste das hier nicht auf diese Art machen, aber mir bleibt keine andere Wahl. Du würdest mich nur aufhalten wollen und das kann ich nicht zulassen. Ich altere. Ich sterbe. Und nichts und niemand wird das verhindern können. Du kannst es nicht akzeptieren, du wirst es nicht akzeptieren. Dafür liebe ich dich. Aber ich habe die Hoffnung schon lange aufgegeben. Es gibt kein magisches Heilmittel vor dem Altern, nicht dieses Mal. Ich spüre, dass dies hier mein Schicksal ist. Ich werde als Mensch sterben, alt, krank und langsam. Der schlimmste Tod, den ich mir vorstellen kann. So lange bin ich vor Klaus davongelaufen, aber vor dem Tod kann ich nicht fliehen. Das einzige, was ich noch tun kann, ist, selbst zu entscheiden, auf welche Art ich gehe. Und wenn ich eh schon sterben muss, dann zumindest nicht leise. Ich hoffe, du wirst mir irgendwann verzeihen können, dass ich mich nicht verabschieden konnte. Leb wohl.
In Liebe, deine Kat"

Mein Herz setzte für einen Schlag aus, als ich diese Nachricht las. Das war unmöglich. Ich wusste ja, dass es ihr nicht gut ging und dass sie ihre Hoffnung verloren hatte. Aber sich das Leben zu nehmen war doch kein Ausweg! Ohne nachzudenken ließ ich mein Handy fallen und rannte nach draußen. Ich war keine Sekunde zu spät, ich konnte zusehen, wie jemand direkt vom Kirchturm fiel. Sie musste diese Nachricht verschickt haben und keine Sekunde später gesprungen sein.

Entschlossen rannte ich los, sprang mitten im Laufen mit voller Kraft ab und griff in der Luft nach Kats Körper. Es war mir egal, ob mich irgendjemand so sah, es war mir egal, ob jemand mitbekam, dass ich ein Vampir war. Es war mir alles egal, solange Kats Leben in Gefahr war. Ich landete wieder auf dem Boden und drückte Kat fast an mich. Ich wagte es kaum zu atmen, bis ich ihren leisen Herzschlag hörte. Sie war am Leben, ich war gerade noch rechtzeitig gewesen. Langsam ließ ich sie los und sie öffnete langsam ihre Augen.

"Emily?", flüsterte sie leise. "Was machst du hier? Bin ich tot?"

"Nein, du bist nicht tot, du Idiotin", antwortete ich und löste mich mehr von ihr. Meine Hände zitterten und ich verschränkte meine Arme, um das zu verbergen.

Leise seufzte Kat auf, als wäre sie enttäuscht davon. Was sie vermutlich auch war. "Du hättest mich nicht aufhalten sollen."

"Ach nein? Was denkst du denn, was passiert wäre? Du bringst dich um, ich trauere eine Weile und führe dann mein Leben glücklich weiter wie bisher? Wie kannst du es nur wagen, dich umbringen zu wollen? Wie kannst du es wagen, mich zu verlassen?"

"Ich hatte keine Wahl, Emily. Du weißt, ich liebe dich, aber ich möchte so nicht enden. Ich möchte nicht alt und krank werden und dann ganz alleine auf einem mickrigen Totenbett sterben."

"Das ist es also? Nur weil Nadia das gesagt hast, denkst du plötzlich, niemand würde dich lieben? Das ist Schwachsinn, Kat, und das weißt du."

"Darum geht es auch nicht. Es geht darum, dass ich selbst entscheiden will, wie ich sterbe. Es ist mein Leben, mein Tod."

"Und du entscheidest dich lieber für den Tod als für das Leben?"

"Du verstehst das nicht, Emily. Das ist keine Entscheidung zwischen Leben und Tod, die Frage ist nur, auf welche Art ich sterben werde."

"Okay, nehmen wir mal an, das wäre tatsächlich der Fall. Inwiefern ist es besser, alleine von einem Kirchturm zu springen, ohne irgendeinen Abschied, als in Frieden neben den Menschen zu sterben, die dich lieben? Selbst wenn nur ich es bin und dich ansonsten tatsächlich keiner leiden kann. Wieso wärst du in deinen letzten Momenten lieber allein als bei mir?"

Ich spürte, wie mir Tränen über die Wangen liefen, ignorierte sie aber.

"Ich habe mich verabschiedet", flüsterte Kat leise. "Dafür war die Nachricht da."

"Die Nachricht? Ist das dein Ernst? Ein mickriger Abschiedsbrief übers Handy? Einen sehr viel unpersönlicheren Abschied kann es wohl kaum geben. Wieso, Kat? Weil du Angst hattest, ich könnte dir diese schwachsinnige Idee ausreden, wenn du direkt mit mir sprichst? Du bist vieles, aber ganz sicher nicht feige."

Ich wartete schweigend auf eine Antwort von ihr, aber Kat senkte nur den Kopf und wich meinem Blick aus.

"Komm schon, Kat. Du hörst sonst nie auf zu reden, und jetzt plötzlich bist du ein Freund vom Schweigen? Sag mir, was ich tun soll."

"Du kannst nichts tun." Ich konnte ihre Stimme kaum verstehen, so leise sprach sie. "Darum geht es ja. Du glaubst immer noch, wir werden irgendeine Möglichkeit finden, mein Leben zu retten, aber das wird nicht passieren. In dem Moment, in dem Silas mein Blut getrunken hat, war mein Schicksal besiegelt. Es gibt keinen Ausweg, nicht dieses Mal. Ich werde sterben. Aber wenn du weiter nach einer Lösung suchst, wirst du nur immer und immer wieder enttäuscht. Ich kenne dich, besser als du dich selbst. Wenn ich am Ende doch sterben werde, wirst du dir Vorwürfe machen. Du wirst dir sagen, dass du nicht genug getan hast, dass es deine Schuld ist. Und ich habe Angst, dass du diese Schuldgefühle nicht verkraften wirst. Aber ich will, dass du weiterlebst, dass du leben kannst. Ohne auf der Flucht zu sein, ohne Angst. Ohne mich. Und ich dachte... Ich dachte, dass du nur mit meinem Tod abschließen könntest, wenn ich selbst dafür verantwortlich wäre. Denn wenn ich wirklich an meinem Alter sterbe, fühlst du dich schuldig und du wirst deine Brüder für schuldig halten. Wenn ich mich aber einfach umbringe, dann ist das ganz allein meine Schuld. Du könntest mich hassen, aber niemanden sonst. Es wäre mit Sicherheit leichter für dich."

Fassungslos sah ich Kat an und strich vorsichtig eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht. Sie hatte das für mich tun wollen? "Es wäre niemals leicht für mich, Kat, und ganz sicher nicht auf diese Weise", flüsterte ich leise. "Wenn du stirbst, werde ich nicht einfach damit klarkommen können. Vor allem nicht, wenn es so plötzlich und ohne Vorwarnung geschieht. Ich werde zerbrechen, das ist eine Tatsache. Vielleicht könnte ich mich irgendwann wieder zusammensetzen, aber die ersten Jahrzehnte wären die reine Hölle für mich. Da ändert es nichts daran, ob du selbst schuld an deinem Tod bist oder meine Brüder oder ich selbst. Es würde nichts ändern. Also bitte, wenn du mich liebst, dann tu mir den Gefallen und kämpfe weiter. Bleibe so lange am Leben, wie es irgendwie geht. Such mit mir nach einer Lösung, solange, bis es ganz sicher keine Alternativen mehr gibt. Genieße die letzte Zeit mit mir, die dir noch bleibt. Du bist Katerina Petrova, du bist Katherine Pierce, du bist meine Kat. Ganz egal, wie man dich nennt, du bist niemand, der einfach so aufgibt. Also kämpf weiter, für mich. Bis zum Schluss."

Mysteries - The Story of Emily SalvatoreWo Geschichten leben. Entdecke jetzt