Chapter 40

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Ich war davon ausgegangen, dass meine Brüder mich nach ein paar Tagen, spätestens einer Woche aus unserem Keller rauslassen würden. Aber mittlerweile war ich schon seit mehr als einem Monat eingesperrt und wurde immer wütender. Am Anfang hatte Stefan mir täglich einen Blutbeutel in meine Zelle geworfen, hatte sich aber geweigert, mit mir zu reden. Irgendwann hatte Damon das dann für ihn übernommen, hatte nur gesagt, dass Stefan anderweitig beschäftigt sei. Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis er wiedergekommen war, aber er kein einziges Wort über sein Verschwinden verloren.

Ich hatte wirklich alles probiert, damit meine Brüder zu Verstand kamen. Ich hatte geschrien, geweint, so getan, als hätte ich meine Fehler eingesehen, versprochen, nicht zu Kat zu gehen, wenn sie mich nur rausließen. Aber Damon kannte mich zu gut, er hatte mir nicht geglaubt. Er wusste, dass ich sofort alles unternehmen würde, um Kat aus der Gruft zu befreien. Irgendwann hatte ich es aufgegeben, mit ihnen sprechen zu wollen. Stefan antwortete ich zumindest gelegentlich noch, aber Damon ignorierte ich ganz. Ich war kurz davor aufzugeben, aber als ich seine Schritte hörte und er zu mir kam, um mir meine tägliche Blutportion zu geben, wagte ich noch einen letzten Versuch.

"Ich habe gehört, was gestern passiert ist", bemerkte ich leise, ohne zu ihm aufzusehen. "Ein Werwolf war hier und hat dich angegriffen. Habe ich es richtig gehört, dass er Rose gebissen hat?"

Eine Weile sah Damon mich nur an. Ich spürte seinen Blick auf mir, sah aber nicht auf. Gerade als ich dachte, er würde nicht mehr antworten, seufzte er leise. "Ja, das hast du richtig gehört. Wir dachten, der Biss würde schnell verheilen, aber heute Morgen hat es sich nur ausgebreitet. Sie wird sterben, nicht wahr?"

Überrascht sah ich zu ihm hoch. Er klang plötzlich so verletzlich, das war ich nicht mehr von ihm gewohnt. Ich dachte, er wäre wirklich zu dem Arschloch geworden, das er vorgab zu sein. Ließ er mich jetzt doch noch in sein Leben? Und wollte ich das überhaupt noch?

"Du magst sie", bemerkte ich sachlich, mein Ton duldete keinen Widerspruch. Damon stimmte mir nicht zu, aber das brauchte er auch gar nicht. Er mochte sie wirklich, das bemerkte ich sogar, ohne sie je gesehen zu haben. In gewisser Weise konnte man sagen, dass er Rose ebenso mochte wie ich Mason gemocht hatte. Auch wenn der Gedanke gemein war, vielleicht war das hier Damons gerechte Strafe. "Ja, sie wird sterben. Und wenn es soweit ist, solltest du dir das Gefühl merken, das du dabei hast und dir überlegen, ob es das alles wirklich wert war."

Ich wartete nicht auf seine Antwort, sondern nahm mir nur den Blutbeutel vom Boden und drehte mich mit dem Rücken zur Tür. Ich hörte, wie er langsam nach oben ging, während ich trank. Eigentlich sollte ich jetzt glücklich sein. Damon bekam, was er verdiente. Er würde endlich verstehen, was es bedeutete, einen Freund zu verlieren, und vielleicht würde er dadurch sogar zur Besinnung kommen. Aber ich konnte mich nicht darüber freuen. Trotz allem, was er getan hatte, war er immer noch mein Bruder und ich wollte nicht, dass er das durchmachen musste. Er hatte es vermutlich verdient, aber wenn ich könnte, würde ich ihn dennoch davor beschützen. Ich konnte nur nichts für ihn tun.

An diesem Tag versuchte ich, das Geschehen über mir so gut es ging auszublenden. Ich wollte nicht zuhören, wie dieser Vampir namens Rose langsam durch ihren Werwolfbiss verrückt wurde und dem Blutrausch verfiel. Aber ich konnte nirgendwo hin, also blieb mir kaum eine andere Wahl. Zumindest war ich in diesem furchtbaren Keller vor ihr sicher.

Als es langsam Abend wurde und Damon sich mit Rose zurückzog, um ihre letzten Augenblicke mit ihr zu verbringen, bemühte ich mich, die beiden nicht zu belauschen. Die Stille, die sich jedoch im Haus ausbreitete, als ihr Herz aufhörte zu schlagen, war hingegen nur schwer zu ignorieren. Ich musste nicht lange warten, bis ich Damons Schritte hörte, die zu mir nach unten gingen.

Statt aber nur einen Blutbeutel durch das kleine Fenster zu werfen, öffnete er die schwere Tür und setzte sich neben mich auf den Boden. Er hatte geweint, das zerbrach selbst mir das Herz. Eigentlich könnte ich jetzt losrennen und so schnell wie möglich aus diesem Keller verschwinden, aber ich konnte mich nicht überwinden, ihn hier so zurückzulassen.

"Es tut mir leid wegen deiner Freundin", begrüßte ich ihn also leise. "So ätzend du auch gerade bist, das hast du nicht verdient."

"Doch, das habe ich", widersprach mein Bruder mir, ohne mich anzusehen. "Ich hätte da oben liegen sollen, ich hätte sterben sollen. Rose hatte das nicht verdient, ich schon."

"Wenn es dich beruhigt, ich bin froh, dass du nicht gestorben bist."

Langsam drehte Damon seinen Kopf zu mir und sah in meine Augen. "Wieso? Ich habe dich hier eingesperrt und wenn ich noch mal in dieser Situation wäre, würde ich es wieder tun. Ich würde alles tun, um dich zu beschützen, selbst wenn du mich deswegen hasst. Also wieso hasst du mich nicht?"

"Das weiß ich selber nicht. Ich dachte, ich würde dich hassen, aber ich glaube, das kann ich einfach nicht. Du bist mein Zwillingsbruder. Du bist wie ich. Wahrscheinlich würde ich mich an deiner Stelle nicht einmal anders verhalten."

Damon antwortete nichts und ich lehnte mich seufzend gegen ihn. "Es könnte alles wieder gut werden, weißt du?", flüsterte ich leise. "Du musst mich hier irgendwann rauslassen, das ist dir doch klar. Und du musst mir versprechen, dass du mich niemals wieder so einsperren wirst. Aber wenn du mir das versprichst, dann werde ich den letzten Monat einfach vergessen. Ich will für dich da sein, so wie du für mich da sein willst. Wir beide brauchen unseren Freiraum, aber wir brauchen auch einander."

Das Schweigen, das sich daraufhin zwischen uns ausbreitete, machte mir furchtbare Angst. Wieso antwortete er nicht? War ich zu weit gegangen? Vielleicht empfand er nicht so wie ich. Es waren 150 Jahre vergangen, vielleicht war ihm dieses besondere Band zwischen uns nicht mehr so wichtig. Vielleicht hatte er vergessen, wie gut wir uns immer verstanden hatten.

"Ich werde das jetzt nur einmal sagen, und wenn du irgendjemandem davon erzählst, werde ich das bis zum Schluss leugnen", meinte er dann nach einer kleinen Ewigkeit leise. "Aber es tut mir leid. Ich habe nicht darüber nachgedacht, was ich dir damit antue, wenn ich Mason töte. Das war ein Fehler, den ich nicht wiederholen werde. Ich werde Katherine nie vertrauen, aber wenn du das tust, dann ist das deine Entscheidung. Ich will dich nicht schon wieder verlieren, nicht wegen Katherine, und ganz sicher nicht wegen meinen Fehlern. Und auch wenn ich dich am liebsten vor allem beschützen würde, muss ich akzeptieren, dass du schon längst alt genug bist, um selbst auf dich aufzupassen. Also nein, ich werde dich niemals wieder einsperren, um dich zu beschützen. Das verspreche ich dir."

Mysteries - The Story of Emily SalvatoreWo Geschichten leben. Entdecke jetzt