56 - Ertrinken

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Vier Tage sind vergangen, seitdem ich angeschossen wurde und Marco ins Koma fiel. Er ist bis jetzt nicht aufgewacht und das raubt mir jeden einzelnen Atemzug, den ich ohne ihn nehmen muss. Ich wurde am Donnerstag, vor drei Tagen, aus dem Krankenhaus entlassen und sitze nun auf meiner Couch. Auf Marcos Couch.

Noah hat mir erzählt, dass Marco so brutal von Eriks Leuten zusammengeschlagen wurde, dass die Notärzte ihn noch am Unfallort wiederbeleben mussten und er die drei Not OPs nur knapp geschafft hat. Es steht nicht fest, ob er jemals wieder aufwachen wird - es steht nicht fest, ob es überhaupt wahrscheinlich ist, dass er jemals wieder aufwachen wird.

Eriks Leute konnten von der Polizei gefasst und endgültig weggesperrt werden, doch Erik selbst treibt sich noch immer irgendwo frei rum. Die beiden Männer, die Noah und ich in Bens Keller gesperrt haben, konnten ebenfalls fliehen und sind jetzt auf freiem Fuß hinter Noah her.

Ich schließe meine Augen und schlucke fest.

Jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde quält mich dieser schmerzhafte Druck auf meinem Hals, wenn ich an ihn denke.

Noah hat an diesem Abend heimlich bei mir im Krankenhauszimmer geschlafen und ist jedes mal in den Schrank gerannt, als jemand reinkam. Jedenfalls hat er das so erzählt, denn ich bin erst am nächsten Mittag wieder zu mir gekommen. Tim hat mich von Zuhause angerufen und auch wenn er nicht wirklich böse wegen der Security Aktion war, klang er ziemlich enttäuscht von mir.

Er kann einfach nicht verstehen, wieso ich meine Gesundheit für Marco aufs Spiel gesetzt habe aber er kann wohl auch nicht verstehen, dass ich verdammt nochmal nicht gesund war und es ohne Marco lange nicht bin.

Seitdem meine Eltern mich aus dem Krankenhaus hierher gefahren habe, sitze ich entweder auf unserer Couch und trinke Tee oder schlafe in Marcos Schlafsachen auf seiner Seite unseres Bettes. Ich komme mir unglaublich schwach und erbärmlich vor, aber ich schaffe es einfach nicht anders, nicht völlig durchzudrehen.

Meine Mutter ruft jeden Tag an, genau wie Isi, Malin und Noah, aber ich habe jedem gesagt, er soll mich nicht besuchen kommen. Ich habe einfach keine Lust drauf, mich zu unterhalten oder mich anständig anzuziehen. Viel zu große Pullis von Marco und Jogginghosen reichen mir seit paar Tagen völlig aus.

Meine Hausärztin hat mich für zwei Wochen krank geschrieben, damit ich mich erholen kann, und somit eine Pause in meine Famulatur eingelegt. Justin schreibt mir seitdem öfters Nachrichten und erkundigt sich so um mein Wohlergehen.

Ich bin wirklich froh, so tolle Freunde zu haben aber manchmal wünsche ich mir einfach, meine Ruhe zu haben und alleine in dieser Mischung aus einem endlos tiefem schwarzen Loch und einer normalen Ebene klar zu kommen. Ich habe das Gefühl, mein Leben wirft mich gerade in einen kalten, schwarzen See aus Schmerz aber ich bin noch nicht darin ertrunken. Ich frage mich, wie weit das Leben es noch treiben möchte.

Wann werde ich ertrinken?

Das laute Klingeln des Festnetztelefons reißt mich auf einmal aus meiner Gedankenstarre und ich rapple mich langsam aus meiner unbequemen Sitzposition auf. Langsam stelle ich meine vierte Tasse Hagebuttentee auf den Glastisch und blinzle kurz, als das schwache Wintersonnenlicht durch das riesige Fenster im Wohnzimmer auf mein Gesicht fällt.

Ich bin bereits leicht erschöpft, als ich am Telefon angelangt bin und frage mit schwacher Stimme: ,,Hallo?"

,,Guten Tag, sind sie Frau Valero?" fragt eine männliche Stimme am anderen Ende, die ich nicht kenne.

,,Ja" antworte ich müde.

,,Ja guten Tag, mein Name ist Ludweg vom Polizeipräsidium Dortmund, ich bräuchte eine Zeugenaussage über die Schießerei von der Nacht auf den vergangenen Dienstag. Das Universitätsklinikum hat mir diese Nummer hinterlegt" erklärt Herr Ludweg freundlich.

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