VIER

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Am nächsten Morgen erwachte ich sehr entspannt, ganz entgegen dem, wie es sonst war. Ich hatte tatsächlich keinen einzigen Alptraum gehabt und fühlte mich total frisch, als hätte sich mein gefasster Entschluss von gestern in meinem Kopf festgesetzt. Kurz genoss ich noch diese wunderbare Stille in meinem Kopf, bevor ich aufstand und den Weg ins Bad fand.

Nach einer erfrischenden Dusche zog ich mich an und blickte wieder in den Spiegel. Was mich wirklich erstaunte war, ich sah in meinen Augen nichts mehr von dem wieder, was mich gestern noch so quälte, sondern etwas ganz anderes. Mut und den Willen, tatsächlich etwas zu verändern. Ich fühlte mich stark und sicher. Ein Gefühl, was ich noch nie in diesem Ausmaß gefühlt habe. Lächelnd schaltete ich auf dem Weg zur Küche meine Anlage an, lauschte für einen Moment der Musik und machte mir einen großen Kaffee. Die Zeitung von gestern, ich hatte sie schon vergessen, fand den Weg zu mir und was ich dann las, war genau das, was ich jetzt brauchte.

In großen, dicken Lettern stand da:

Frauenselbstbehauptungs- und Selbstverteidigungskurs"

von Frau für Frau

Meine Augen weiteten sich, mein Mund öffnete sich von allein, meine Muskeln spannten sich unwillkürlich an, ich konnte kaum glauben, was sich dort für eine Chance für mich eröffnete. In meinem Kopf ratterte es ohne Unterlass. Ich überflog die Details, griff zu meinem Laptop und hatte mich so schnell wie noch nie angemeldet.

Ich schluckte hart und war erstaunt über mich selber, nachdem ich meinen Laptop wieder zuklappte. Ich sprintete in den Flur, suchte meine Sportsachen zusammen und fühlte mich total aufgedreht. In meinem Kopf setzte sich ein Gedanke fest...NIE WIEDER. Nach diesem Kurs würde mir niemand mehr zu nah kommen, mich verprügeln, mich in Mülltonnen stecken, so wie früher. Ich würde mich endlich wehren können, so hoffte ich es zumindest.

Rückblende

Schmerzerfüllt blickte ich mich um, sah jedoch nur Dunkelheit um mich herum. Es stank erbärmlich und ich wusste, wo ich mich mal wieder befand. Tastend schlug ich um mich, um irgendwie, an irgendetwas Halt zu finden. Der Geruch war mittlerweile unerträglich geworden und ich musste hier raus, so schnell es ging. Mit meinem Ärmel meines Sweatshirts versuchte ich meine Nase und meinen Mund irgendwie zu verdecken, um wenigstens nicht noch erbrechen zu müssen. Mit aller Kraft versuchte ich mit einem Arm den Deckel nach oben zu drücken und lugte durch den Spalt. Niemand zu sehen, aber sicher konnte man sich da nie sein. Die Idioten, die dafür verantwortlich waren, dass ich mal wieder in der menschenunwürdigsten Situation meines Lebens war, waren dafür bekannt, bestimmte Leute, zu denen ich auch zählte, zu quälen und zu drangsalieren. Immer wieder ich. Ich war so wütend und sauer auf mich selber, dass sie es mal wieder geschafft hatten und kletterte umständlich aus meinem stinkenden Gefängnis und verschwand so schnell ich konnte.

Ja, meine damaligen Klassenkameraden hatten einen Heidenspaß daran, mich regelmäßig in Mülltonnen zu werfen oder in andere, ekelhafte Situationen zu bringen. Ganz vorweg natürlich Kim und Markus, 2 Typen, die sich am Leid anderer nahezu ergötzten. Natürlich schauten alle anderen weg, selbst den Lehrern war es total egal. Ich war halt nicht so wie sie, sondern bei ihnen als Sonderling abgestempelt und diese wurden halt so behandelt. Ich ertrug es, denn wenn ich mich versuchte zu wehren, wurde es nur noch schlimmer. Ich interessierte niemanden. Wahrscheinlich wäre es eh niemanden aufgefallen, wenn ich plötzlich einfach nicht mehr aufgetaucht wäre.

Rückblende Ende

Laut schnaubte ich auf und schüttelte diese Erinnerung von mir ab. „NIE WIEDER" rief ich mir selber laut zu und holte mir noch schnell ein Wasser aus der Küche, schmiss es in meine Tasche und lief los in meine neue Zukunft. Denn der Kurs würde in Kürze beginnen und ich wollte unbedingt schon etwas früher dort sein, um einschätzen zu können, ob ich das wirklich kann. Ich rannte Richtung Sbahn und erwischte sie sogar noch pünktlich. Auf der Fahrt mischten sich unter meinen Enthusiasmus auch wieder Zweifel, das kannte ich schon.

Was ist, wenn ich mit den Menschen nicht kann, die außer mir noch da sind? Oder mit der Trainerin? Kann ich das wirklich? Schaffe ich das? Soll ich lieber wieder nach Hause fahren?

Gedanken über Gedanken, die über mich herein krachten und sich mit den anderen, positiven, entschlossenen so heftig stritten, das mir beinahe schlecht wurde. „Seid jetzt endlich still" rief ich ihnen im Stillen zu und unterbrach somit das Gemetzel in meinem Kopf. Ich wollte es, ich wollte es einmal schaffen. Ganz von allein. Nur ich, ohne dass mir jemand reinredete oder mich beschwor, es nicht zu tun. Auch wenn das nur meine Gedanken mit mir machten.

Schnell steckte ich mir meine Kopfhörer in die Ohren und schaltete meine Musik auf dem Handy an und stieg aus. Es kam genau der richtige Song für den Weg in mein neues Abenteuer. „Heroes" von David Bowie dröhnte durch meine Ohren als ich ausstieg und Richtung Kursort lief. Ich freute mich, dass mich meine Zweifel diesmal nicht zur Umkehr bewegen konnten und war nach einem kurzem Fussmarsch schon an dem kleinen, unscheinbaren Haus angekommen. Noch war dort alles still und dunkel, niemand schien bereits da zu sein.

So zog ich mir noch eine Zigarette aus meiner Jacke, zündete sie an und versuchte mich zu beruhigen. Ein Blick auf meine Uhr verriet mir, dass ich wirklich etwas zu früh da war. So setzte ich mich auf einen der Stühle, die vor dem Haus herum standen, schloss die Augen und spürte, wie sich meine Aufregung, ob ich wirklich das Richtige tat, einen Weg in meinen Kopf suchte.

„Manno, ich dreh gleich durch" sagte ich leise zu mir, stand auf und ging zwei Schritte als ich plötzlich gegen jemanden knallte und mich auf dem Boden wiederfand. „Woah" entfuhr mir ein Stöhnen. „Ohje, es tut mir leid, ich habe Dich nicht gesehen" sprach jemand zu mir, als ich meine Augen wieder öffnete, den Blick von den Sportschuhen vor mir löste und diesen immer weiter herauf gleiten ließ. „Was?" fragte ich nochmal leise nach und die Stimme über mir entschuldigte sich nochmals bei mir. Endlich erblickte ich das Gesicht zu den Sportschuhen und war sprachlos. Diese Augen, ich hielt sie mit meinen fest, ich konnte nicht mehr wegsehen. Dieses Blau blickte mir so fest in meine braunen, es war, als würde die Welt stehenbleiben.

Zögernd, jedoch kraftvoll streckte sich eine Hand in meine Richtung und ich ergriff sie, um mich daran hochzuziehen. Keiner löste dabei den Blick, auch nicht, als ich mit einem schüchternen „Danke" antwortete. Verlegen löste ich meine Augen und ließ sie an ihrem Körper nach unten und wieder zurück schnellen. Was ich da sah, ließ mich hart schlucken. Wie kann man nur solch einen Hammerbody haben, fragte ich mich und schämte mich sofort wieder für meinen Eigenen.

Enttäuscht schaute ich nach unten auf den Boden und wünschte mir, bloß nie auf diese Idee gekommen zu sein, hier her zu gehen. In Gedanken trat ich schon den Rückweg an und wollte gerade los laufen, als sie mich fragte, ob ich für den Kurs gekommen sei. Schüchtern antworte ich mit einem „Ja". „Schön, ich bin Ellen Winter und leite den Kurs" und drückte meine Hand fester. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass meine Hand noch immer in ihrer war. Unsicher erwiderte ich den Händedruck, hob meinen Blick herauf und stellte mich mit meinem Namen vor. „Hallo, ich bin Nora"„Und wie weiter?" fragte sie mich. „Lessing" kam es von mir. „Gut, Nora Lessing, wollen wir reingehen, ganz schön kalt hier draußen, oder?" "Ja, bitte" antworte ich und löste meine Hand aus ihrer. „Wow, was war das denn?" dachte ich mir und ging ihr hinterher ins Studio, wo der Kurs gleich beginnen sollte.


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